KREUZBERG UNTER DRUCK

Sitzblockade gegen Drogenhilfe

Von Holger Wicht
Kaffee, Kuchen, freundliche Worte – so sieht normalerweise ein Tag der offenen Tür aus. Ganz anders ging es am Donnerstag zu, als das Berliner Drogenhilfeprojekt Fixpunkt versuchte, sich der Öffentlichkeit vorzustellen: Am Kreuzberger Brennpunkt Kottbusser Tor kam es zu lautstarken Protesten und Blockaden. Denn die offene Drogenszene, die sich hier trifft, sorgt seit einigen Monaten für heftige Konflikte.

Genau genommen sollte es ein Tag der offenen Autotür werden: Fixpunkt will an diesem sonnigen Donnerstagnachmittag drei Präventionsmobile zum ersten Mal an einem neuen Standpunkt postieren und den Kreuzbergern erklären, was das Projekt macht: Spritzentausch, Beratung und zahnmedizinische Prophylaxe. 12 Stunden in der Woche, verteilt auf drei Tage, ist Fixpunkt vor Ort, um den Heroinabhängigen zu helfen.

Doch rund 50 Anwohner wollen davon nichts wissen: Sie versperren die Zufahrt zu dem kleinen Platz an der Reichenberger Straße mit einer Sitzblockade und besetzen das Terrain, indem sie sich an mitgebrachten Tischen zum Kartenspielen niederlassen. Die unmissverständliche Botschaft: Wir wollen euch hier nicht.

Sitzblockade gegen Prävention: „Viele unterscheiden nicht zwischen Drogenszene und Hilfsangeboten.“

Die Fixpunkt-Mitarbeiter lassen sich nicht entmutigen, gehen auf die Knie, um mit den Blockierern zu diskutieren. Immer wieder versucht der Sozialarbeiter Ralf Köhnlein rüberzubringen, dass Fixpunkt ein soziales Projekt ist, das helfen will – auch den Menschen, die hier wohnen. Doch manche Protestierer sind so wütend, dass er überhaupt nicht zu Wort kommt. „Viele unterscheiden nicht zwischen der Drogenszene und uns“, stellt der Streetworker fest.

Die Anwohner lehnen die Fixpunkt-Busse so vehement ab, weil sie oft hier vorbeikommen und manche sich gerne auf dem Platz treffen. Immerhin stehen dort ein paar Bänke in der Stadtlandschaft. Außerdem befürchten die Kiezbewohner, dass sich die offene Drogenszene am Kottbusser Tor direkt vor ihre Haustür verlagern könnte. Bisher trifft die sich nämlich auf der anderen Seite der Hochbahn, die den Kreisverkehr am Kottbusser Tor in zwei Hälften teilt, am Eingang zur U-Bahn.

Aber auch dort ist Fixpunkt nicht willkommen, die Besitzer von Läden und Imbissen haben heftig protestiert und letztlich den Sieg davon getragen. „Wir kriegen überall Gegenwind“, sagt Köhnlein. „Da drüben haben sie Fahhradständer aufgestellt und im Boden verankert, damit wir mit den Bussen nicht mehr an unseren Platz fahren konnten.“

Die Stimmung in Kreuzberg ist aufgeheizt wie nie zuvor. Die Anwohner klagen, dass die Süchtigen sich ihre Spritzen in den Hauseingängen und Hinterhöfen setzen und dort auch ihre Notdurft verrichten. „Die Kinder hier kriegen von ihren Eltern gesagt, dass sie nicht die Wände anfassen dürfen“, sagt eine junge Frau türkischer Abstammung, selbst Mutter eines Sohnes.

Auch von Pöbeleien und fliegenden Flaschen berichten einige. Viele fühlen sich benachteiligt – als Anwohner des armen Kreuzbergs, als Migranten. Die meisten hier stammen aus der Türkei oder arabischen Ländern. „Mit uns kann man’s ja machen“ – so etwas sagen viele an diesem Sommernachmittag.

Seit letztem Herbst macht eine Bürgerinitiative gegen die Fixer am „Kotti“ mobil. Die Kreuzberger sind zugleich aber auch enttäuscht von den Bezirkspolitikern. Sie kritisieren, dass es noch nicht einmal ein paar Toilettenhäuschen gebe, obwohl Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) schon lange eine Lösung für das Problem versprochen habe. Bezirksstadtrat Knut Mildner-Spindler (Linke), der sich in die Höhle des Löwen gewagt hat, muss sich einiges anhören, weil sein Amt Fixpunkt eine Genehmigung für diesen Standort augestellt hat. „Sie ignorieren die Interessen der Bürger!“, brüllt ein Mann.

„Es geht darum, den richtigen Standort zu finden – und das ist möglich!“

Nein, der Kreuzberger Stadtrat für Gesundheit hat es nicht leicht. Die Lage hat sich kürzlich sogar noch verschärft: Das nahe gelegene SKA, ein Kontaktzentrum mit Drogenkonsumraum, musste schließen, weil ihm der Mietvertrag gekündigt wurde. Neue Räume sind noch nicht gefunden. Nun gehen die rund 300 Süchtigen, die sich am Kottbusser Tor treffen, erst recht in die Hauseingänge.

Der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele glaubt trotz allem an eine Lösung für die Probleme im Kiez. Er hat sich ins Getümmel gestürzt, um zu beschwichtigen. „Die große Mehrheit der Leute hier findet es richtig, dass es solche Angebote gibt“, sagt er. „Man muss jetzt den richtigen Standort finden, und das ist auch möglich.“

Die junge Mutter sieht das ähnlich: „Das sind kranke Menschen, die brauchen Hilfe. Aber nicht hier, wo unsere Kinder alles mitbekommen. Das kann man vermeiden.“

Auch Ralf Köhnlein sieht die Aktion am Ende trotz aller harten Worte als Erfolg: „Wir haben hier heute Aufklärung betrieben. Wir konnten den Leuten sagen, dass wir nicht nur Spritzen verteilen, sondern dass wir die auch wieder einsammeln.“

Die Fahrzeuge von Fixpunkt sollen nun erstmal doch wieder am alten Standort stehen. Richtig spannend wird es dann wieder am Dienstag. Dann nimmt ein paar Ecken weiter, am Moritzplatz, ein neues Drogenkonsummobil von Fixpunkt die Arbeit auf, das vorübergehend den Druckraum des SKA ersetzen soll.

Vielleicht hilft einigen Anwohnern die Gedenkveranstaltung für die verstorbenen Drogenabhängigen am Dienstag, Verständnis für die Arbeit des Projekts zu entwickeln.

1 Kommentare

alivenkickn 17. Juli 2009 19:48

Die Bielefelder Geisteshaltung ist überall

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