10 Jahre Buddy.hiv: persönliche Starthilfe und beidseitige Stütze

Bert und Fabian haben sich nach Fabians Diagnose über Buddy.hiv kennengelernt. Bert ist einer von über 60 bundesweit aktiven Buddys: Personen mit HIV, die von der Deutschen Aidshilfe geschult worden sind, um Menschen nach einer HIV-Diagnose zu unterstützen. Denn diese ist trotz allem medizinischen Fortschritt immer noch ein einschneidendes Erlebnis.
Bert, wie bist du Buddy geworden?
Bert: Ich bin seit 2004 HIV-positiv. Mit der antiretroviralen Therapie habe ich 2008 begonnen. Damals war es noch nicht selbstverständlich, direkt mit einer Therapie anzufangen. Viele Ärzt*innen waren damals noch zurückhaltend, weil noch nicht ganz klar war, wie gut die zum damaligen Zeitpunkt noch relativ neue Generation von Medikamenten wirkt, und ob sie Nebenwirkungen hat. Ich habe also erst noch einige Jahre ohne Therapie gelebt.
Buddy bin ich seit 2017. Für mich ist das jedes Mal auch ein Akt der Solidarität – Menschen, die sich in einer tiefgreifenden Krise befinden, kurzfristig zur Seite stehen. Ich versuche, vor einem Treffen schon aus dem Vorab-Kontakt herauszuhören, worum es gehen könnte – bei Fabian ging es zum Beispiel unter anderem auch um das Thema „HIV am Arbeitsplatz“. Dann bringe ich gezielt Infomaterial mit, die Deutsche Aidshilfe hat ja vieles kostenlos im Angebot. Ich spreche beim ersten Treffen auch gerne präventiv schon über mögliche Diskriminierungserfahrungen – gerade im Gesundheitsbereich – weil viele Menschen das schon unmittelbar nach oder sogar bereits anlässlich der Diagnose erleben. Es ist wichtig, ihnen zu zeigen, dass sie Rechte haben und nicht hilflos ausgeliefert sind.
Kannst du abschätzen, wie viele Menschen du bisher begleitet hast?
Bert: Grob würde ich sagen: zwischen 15 und 20. Aber nicht alle persönlich. Einige Kontakte liefen nur per Mail oder Telefon. Persönlich getroffen habe ich wohl etwa 15 Menschen, die meisten davon nur einmal. Mit Fabian wurde es etwas intensiver – wir haben uns dann mehrmals getroffen und später auch Veranstaltungen wie ein Treffen von „Positiv Handeln“ gemeinsam besucht.
Fabian, wie bist du auf das Buddy-Projekt gestoßen?
Fabian: Ich habe es tatsächlich über eine Suchmaschine gefunden. Ich hatte im August 2020 meine Diagnose bekommen, mitten in der Pandemie. Ich hatte gerade einen neuen Job angefangen und war in der zweiten Woche krank – grippeähnliche Symptome. Ich bin direkt am Tag der Diagnose zum Schwerpunktarzt gegangen und habe noch am gleichen Tag mit der antiviralen Therapie begonnen. Nach ein paar Wochen war ich bereits unter der Nachweisgrenze – und damit nicht mehr ansteckend.
FabianMedizinisch war also alles schnell geregelt, aber psychisch ging es mir weiterhin schlecht. Obwohl ich nicht mehr infektiös war, habe ich mich schmutzig gefühlt.
Medizinisch war also alles schnell geregelt, aber psychisch ging es mir weiterhin schlecht. Obwohl ich nicht mehr infektiös war, habe ich mich schmutzig und dreckig gefühlt – das waren wirklich die Worte, die ich über mich selbst gedacht habe. Mein Partner war sehr unterstützend, dennoch hatte ich das Gefühl, allein zu sein. Das war der Moment, an dem ich auf das Buddy-Projekt gestoßen bin. Ich habe Bert angeschrieben, denn ich fand sein Profil ansprechend, nicht nur menschlich, sondern auch weil er den Eindruck machte, schon ein paar Schritte weiter zu sein: genau das, was ich brauchte.
Wie lief der erste Kontakt?
Bert: Das lief per Email – nur ein kurzes Hin und Her, nicht wochenlang. Als es dann mit bestimmten Fragen konkreter wurde, habe ich gesagt: Bevor wir uns hier in langen Chats verlieren, lass uns lieber persönlich treffen. Das ist meist viel besser und effektiver. So läuft es bei mir eigentlich immer. Ich finde, es ist einfach etwas Anderes, wenn sich zwei lebendige Menschen gegenübersitzen – mit Mimik, Gestik, allem. Ich bin dann als ganze Person, zwar durchaus auch mit Infos im Gepäck, aber eben auch emotional präsent. Das macht einen gewaltigen Unterschied.
Fabian: Ich war ziemlich nervös vor dem ersten Treffen. Ich dachte: Was machst du da jetzt? Die Bedingungen waren ja auch nicht ideal: Es war kalt und wir haben uns während des Lockdowns etwas verborgen unter einer Rolltreppe in einer Einkaufspassage getroffen – an einem Ort, wo man sich zu der Zeit legal aufhalten durfte. Es war irgendwie absurd, in der Situation beinahe schon subversiv, aber es hat funktioniert. Wir haben lange gesprochen, mit Masken, und es war viel auf einmal: menschlich, inhaltlich, emotional. Aber ich bin danach nach Hause gefahren und dachte: Ich bin einen Schritt weiter.
Bert: Ich frag dich jetzt mal: Hattest du denn direkt das Bedürfnis, das zu vertiefen? Ich weiß gar nicht mehr, wie bald wir uns wieder getroffen hatten.
Fabian: Ich glaube, das war alles ziemlich nah beieinander. Ich habe das erste Gespräch ein bisschen sacken lassen, dann kamen neue Fragen auf. Wir haben uns nochmal getroffen, ich glaube, wir haben einen Spaziergang gemacht. Insgesamt haben wir uns so zwei- bis dreimal im Buddy-Kontext getroffen.
Bert: Genau. Ich finde es auch wichtig, dass es ein gegenseitiger Austausch ist und dass nicht nur eine Person, die „lebende Suchmaschine“ spielt. Es geht ja gerade um das, was ein Buch oder das Internet nicht leisten kann – diese persönliche Ebene, von der beide Seiten profitieren. Bei uns war das definitiv so. Wir sind in der Situation beide Buddys, trotzdem gibt es natürlich eine gewisse Rollenverteilung: Die eine Person sucht Unterstützung, die andere gibt sie. Auch wenn ich gerne immer betone, dass wir beide auf Augenhöhe sind, ist diese Dynamik doch erst einmal da. Was aber nicht heißt, dass nicht beide Seiten neugierig aufeinander zugehen und auch beide voneinander lernen würden.
BertWir sind in der Situation beide Buddys, trotzdem gibt es eine gewisse Rollenverteilung: Die eine Person sucht Unterstützung, die andere gibt sie.
Fabian, gab es konkrete Fragen, bei denen Bert dir besonders helfen konnte?
Fabian: Ja, ganz klar beim Thema Arbeitsplatz. Aber vor allem ging es um dieses Schuld- und Schamgefühl – diese innere Stimme die „Ich bin dreckig“ sagt, obwohl man längst nicht mehr ansteckend ist. Das war nicht unbedingt eine Frage, eher ein Gefühl, das Bert durch seine Art zu sprechen und durch seine Erfahrung nach und nach relativiert hat. Irgendwann habe ich das Prinzip N=N, also die Nicht-Infektiosität verinnerlicht – das war aber ein Prozess. Berts Leben hat mir gezeigt, dass es weitergeht, ganz normal, vielleicht sogar besser.
Bert: Ja genau: Gerade dafür ist ja die persönliche Begegnung, das direkte Gespräch so ungemein hilfreich. Das theoretische Wissen darüber, dass ein Mensch unter der Nachweisgrenze gar nicht mehr ansteckend ist, das muss vom Kopf auch erst mal in den Bauch sacken und dort auch wirklich ankommen. Genau dabei hilft der persönliche Kontakt zu einem anderen Menschen, der mit HIV lebt.
Fabian, wie geht es dir heute?
Fabian: Sehr gut. Das Buddy-Projekt war mein erster Schritt nach außen. Durch Bert habe ich gemerkt, wie gut es tut, sich aktiv einzubringen. Ich engagiere mich mittlerweile bei Positiv Handeln NRW, im September kandidiere ich für das Sprecher*innenamt. Ich hätte das nie gedacht, aber ich will etwas zurückgeben. Natürlich würde ich lieber ohne das Virus leben, aber die persönliche Entwicklung, die dadurch angestoßen wurde, hätte ich sonst vielleicht nie gemacht.
Bert: Wenn du Sprecher wirst, dann bin ich da auf jeden Fall gerne wieder mit dabei! Da hast du meine volle Unterstützung.
Fabian: Danke! Ich sehe das Buddy-Projekt als Möglichkeit, eine Art Mini-Netzwerk zu beginnen. Unsere Begegnung war intensiv und das hat sich dann in anderen Gruppen weiterentwickelt – etwa das Selbsthilfetreffen in Bochum, das war ja auch so ein weiterer Schritt. Das war wie ein Übergang: erst zu zweit im Buddy-Projekt, dann in kleinen Gruppen, jetzt ein größeres Netzwerk. Das war genau richtig.
FabianNatürlich würde ich lieber ohne das Virus leben, aber die persönliche Entwicklung, die dadurch angestoßen wurde, hätte ich sonst vielleicht nie gemacht.
Fabian, du hattest ja speziell Sorgen zum Thema HIV und Arbeitsplatz, wie lief es dort?
Fabian: Beim alten Arbeitgeber, einer kleinen Kanzlei mit 15 Leuten, war das überhaupt kein Problem. Es war eine sehr familiäre Atmosphäre. Ich habe mich schrittweise geoutet, aber sehr offen. Der Chef wusste es irgendwann auch. Heute würde ich das sogar noch offener machen. Beim neuen Arbeitgeber, einem großen Unternehmen mit über 1.000 Leuten, weiß es bisher niemand – aber nicht, weil ich es verheimlichen will, sondern weil es einfach noch nicht relevant war. Ich bin generell ein schlechter Lügner – und sehe auch keinen Grund, das zu verstecken. Ich arbeite im Patentbereich, da geht’s um Innovationen. Und ich denke mir: Ich nehme auch eine dieser Innovationen – eine Pille am Tag – und damit ist die körperliche Seite geregelt. Das ist doch faszinierend.
Bert: Es ist wirklich erstaunlich, wie unterschiedlich unsere Erfahrungen mit HIV und der Versorgungslage waren. Als ich damals positiv wurde, war es noch ein riesiges Thema, wann man überhaupt mit der Therapie beginnen sollte – heute geht das alles viel schneller. Das ist natürlich super. Aber dennoch bleibt der emotionale Aspekt für jede einzelne Person ungemein wichtig – das zeigt dein Beispiel ja ganz deutlich, Fabian. Und was es auch zeigt: Wie wertvoll es ist, wenn wir uns gegenseitig unterstützen!
Absolut. Schön zu sehen, wie sehr ihr beide voneinander profitiert habt. Bert, Fabian, danke euch für das ehrliche und offene Gespräch.
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