POSITHIV HANDELN

Die Demokratie braucht viele Helferzellen

Von Axel Schock
Foto von Gottfried Dunkel mit Materialien der Kampagne
Gottfried Dunkel © DAH | Bild: Johannes Berger

Die Positiven-Selbsthilfe NRW POSITHIV HANDELN reagiert auf die zunehmende Ausbreitung und Normalisierung rechtspopulistischer und rechtsextremer Bewegungen in Deutschland mit einer öffentlichkeitswirksamen Kampagne. Was hinter dem Slogan „HELFERZELLEN GEGEN RECHTS – DEMOKRATIE LEBEN – POSITHIV HANDELN“ steht, erläutert Gottfried Dunkel, Mitarbeiter der Aidshilfe NRW im Bereich Positive Selbsthilfe/Empowerment für Menschen mit HIV.

Lag das Motto auf der Hand oder gab es mehrere Vorschläge zur Auswahl?

Gleich zu Beginn der Ideenfindung war klar, dass wir auf die jetzige gesellschaftliche Entwicklung, die uns allen Sorgen macht, reagieren müssen und ein deutlich politisches Jahresmotto ins Zentrum unserer Aktionen stellen wollen. Dies bedeutet nicht, dass die Motti der zurückliegenden Jahre nicht auch politisch gewesen wären. Mit „POSITHIV DIVERSITY“ etwa wollten wir darauf hinweisen, dass die positive Community nicht nur aus schwulen, weißen cis Männern besteht, sondern sehr viel größer ist. Diesen vielfältigen Lebensrealitäten wollten wir damit mehr Raum und Stimme geben. Das Motto „SELBSTVERSTÄNDLICH POSITHIV“ sollte ermutigen, offen zum eigenen Positivsein stehen zu können. Das letzte, dezidiert politische Motto war „STRAFTATBESTAND: HIV“. Damit wollten wir uns gegen die drohende Kriminalisierung wenden, der Menschen mit HIV durch Sex mit Nichtpositiven ausgesetzt sind.

Welche Angst treibt positive Menschen vor einer erstarkenden politischen Rechten um?

Menschen mit HIV sind nicht allein durch diese Infektion stigmatisiert, sondern noch weiteren Diskriminierungen ausgesetzt. Weil sie unter anderem queere Menschen oder solche mit Migrationsbiografie sind, weil sie Drogen konsumieren, Sexarbeiter*innen oder Migrant*innen sind. Oder als Frauen in einer patriarchal geprägten Gesellschaft oft noch benachteiligt sind. Das zeigt sich beispielsweise auch darin, dass die meisten Spätdiagnosen, oft schon im Stadium Aids, bei heterosexuellen Frauen erfolgen.

Wir sind jetzt schon in vielen Bereichen gefordert, gegen Stigmatisierung und Diskriminierung anzugehen. Wie soll das erst werden, wenn jene rechten Strömungen, die diese Identitäten bereits infrage stellen, die politischen Möglichkeiten erhalten, diese noch zu bekämpfen und/oder ihnen die Rolle des Sündenbocks zuzuteilen?

Welche konkreten Gefahren habt ihr bei einem politischen Erstarken der Rechten ausgemacht?

Wir bekommen mit, wie beispielsweise versucht wird, Einfluss auf die Erziehung von Kindern und Jugendlichen zu nehmen, also dass ein traditionelles heterosexuelles Familienbild propagiert wird und alternative Formen von Familie, Ehe und Partnerschaft delegitimiert werden. Wenn die Rechten an die Macht kommen, verfügen sie in den zuständigen Landes-oder Bundesministerien über strukturelle Stellschrauben, um etwa durch Streichung von Fördergeldern die Arbeit ihnen missliebiger Strukturen und Institutionen auszubremsen.

Aidshilfe steht für den Respekt und die Akzeptanz unterschiedlichster Lebensstile und -realitäten.

Gottfried Dunkel, POSITHIV Handeln NRW

Mir geht es jedoch nicht darum, Schreckensszenarien zu entwerfen, denn damit ist uns nicht geholfen. Wir sollten auch nicht den Teufel mit dem Beelzebub austreiben und wie die Rechten Ängste schüren.

Aidshilfe, wie ich sie über die vielen Jahre kennengelernt habe, steht für Wissensaufklärung, um selbstbestimmte Entscheidungen treffen zu können, wie auch für den Respekt und die Akzeptanz unterschiedlichster Lebensstile und -realitäten.

Es gibt durchaus Anlass, uns Sorgen zu machen, dass politische Lager dem entgegenstehen. Wir sollten nicht in Angstszenarien erstarren, aber wir erleben, dass die Art und Weise, wie die Rechte medial Ängste und Diskriminierung schürt bzw. Feindbilder aufbaut, nicht ohne Folgen in der realen Welt bleibt. Denken wir etwa an die Verrohung und verbalen Drohungen in den sozialen Medien, die dann auch in tätliche Gewalt umschlagen.

Das stimmt und es gilt dies deutlich zu machen. Das genau ist auch ein Anliegen unserer Aktion. Aufzeigen, was wäre, wenn Rechte noch mehr Einfluss auf unser Leben erhalten sollten. Unser Slogan „ICH BIN EINE HELFERZELLE GEGEN RECHTS, DENN RECHTE ERREGER SIND GEFÄHRLICH“ ist in diesem Kontext auch als ein Warnhinweis zu verstehen. Besonders schön finde ich wegen des Wortspiels den Slogan „ICH BIN EINE HELFERZELLE GEGEN RECHTS, WEIL DIE DEMOKRATIE VIELE HELFERZELLEN BRAUCHT“. Denn wir Menschen mit HIV benötigen ein intaktes Immunsystem, damit wir auch weiterhin gesund leben können bzw. um nicht krank zu werden. Und die Demokratie braucht viele Helferzellen, die die Demokratie bewahren und die für deren Werte einstehen – ganz gleich, welcher politischer Couleur sie sind, ausgenommen der rechtsextremen Parteien.

Wie bringt ihr eure Slogans unter die Menschen?

Wir haben kurz vor der Europawahl eine Foto- und Videokampagne mit unseren Statements in den sozialen Medien gestartet. Das heißt, Menschen mit HIV haben Gesicht gezeigt und sich als „HELFERZELLEN GEGEN RECHTS“ positioniert. Bei vergleichbaren Aktionen in früheren Jahren war es nicht immer leicht, Menschen zu finden, die den Mut hatten, sich als HIV-positiv zu outen. Diesmal aber war es anders. Es fühlten sich viele Menschen ermutigt und ermuntert, erstmals diesen Schritt zu gehen.

Die Zeit des Schweigens ist vorbei. Wenn es so weit kommt, dass wir uns wieder verstecken müssen, ist es vielleicht zu spät.

Gottfried Dunkel, Aidshilfe NRW

Diese Kampagne führen wir nun weiter. Beim CSD-Empfang in Köln beispielsweise haben sich auch namhafte Politiker*innen solidarisiert und sich ablichten lassen. Beim Global Village auf der Welt-Aids-Konferenz in München haben sich Menschen aus aller Welt an der Fotoaktion beteiligt.

Es ist ermutigend mitzubekommen, dass das politische Interesse und Engagement so groß ist wie schon lange nicht mehr. Ganz sicher auch, weil alle wissen, was auf dem Spiel steht, wenn Parteien an die Macht kommen, die uns nicht wohlgesonnen sind. Wir wollen die Aktion auch nach den Landtagswahlen in den neuen Bundesländern weiterführen, denn die Zeit des Schweigens ist vorbei. Wenn es so weit kommt, dass wir uns wieder verstecken müssen, ist es vielleicht zu spät.

Gab es intern auch Einwände gegen die Kampagne?

Nur sehr vereinzelt. Etwa „Was habt ihr immer gegen den Rechtspopulismus? Es gibt ja auch Linksextremismus“. Das ist auch richtig, aber wir solidarisieren uns ja nicht mit anderen extremen Strömungen, sondern wir benennen bzw. identifizieren jene, die für uns eine Gefahr darstellen. Das ist in diesem Fall etwa die AfD, die bereits so erstarkt ist und in deren Programmen ja teilweise schon genau nachzulesen ist, was wir zu befürchten haben, wenn sie tatsächlich in Regierungsverantwortung kommen sollte.

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