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Aidshilfen und der Rechtsruck: „Wir bleiben ein sicherer Ort!“

Von Axel Schock
EU-Flagge in Regenbogenfarben
© DAH | Bild: Renata Chueire

Bei den anstehenden Europa- und Landtagswahlen zeichnet sich ein deutlicher Stimmenzuwachs für rechtsextreme Parteien ab. Auch viele Mitgliedsorganisationen der Deutschen Aidshilfe (DAH) spüren den gesellschaftlichen Rechtsruck. Doch bleibt diese Entwicklung nicht unwidersprochen. Momentaufnahmen aus Brandenburg, Berlin, Sachsen und Thüringen.

In Prognosen kommt die AfD bei der Landtagswahl in Thüringen im September auf rund 30 Prozent Stimmenanteil – weit entfernt zwar von einer absoluten Mehrheit; auch ein möglicher Koalitionspartner ist derzeit nicht in Sicht. Dennoch ist eine in Teilen faschistische Landesregierung dort kein völlig unwahrscheinliches Szenario mehr – mit einschneidenden Folgen nicht nur für Klimaschutz, den Kampf gegen Rechtsextremismus und für Demokratieprojekte, sondern auch für regionale Aidshilfen.

Diese sind zumeist nicht institutionell gefördert und hangeln sich deshalb mit Projektförderungen von Jahr zu Jahr. Wichtigster Geldgeber der Aidshilfe Weimar & Ostthüringen etwa ist das Land Thüringen. „Würde uns diese ohnehin sehr knapp bemessene Finanzierung teilweise oder gar komplett gestrichen, wäre das für uns existenzbedrohend“, sagt Jessica Daschkeit. „Und ob wir unter einer AfD-Regierung weiterhin in die Schulen gehen und dort Workshops zu Safer Sex, Sexualität, HIV und Geschlechtskrankheiten geben dürfen, wage ich zu bezweifeln“, ergänzt die Geschäftsführerin der Weimarer Aidshilfe.

Ob wir unter einer AfD-Regierung weiterhin in die Schulen gehen und Workshops zu Safer Sex, Sexualität, HIV und Geschlechtskrankheiten geben dürfen, wage ich zu bezweifeln.

Jessica Daschkeit, Aidshilfe Weimar & Ostthüringen

Allein schon, wenn Förderungen infrage gestellt oder nur noch bestimme Teilaufgaben öffentlich finanziert würden, erschwerte dies den Aidshilfen die tägliche Arbeit massiv, sagt Ute Hiller, Projektmanagerin in der Bundesgeschäftsstelle der Deutschen Aidshilfe. „Wir befürchten, dass deren gemeinnützige Arbeit – zum Beispiel wirkungsvolle, zielgruppenorientierte Prävention – massiv eingeschränkt wird.“ Bei einer restriktiveren Drogenpolitik etwa wären bestimmte Angebote zur Schadensminimierung vielleicht nicht mehr umsetzbar.

Selbst in Schulklassen macht sich der Rechtsruck bemerkbar

Insbesondere Menschen aus stark marginalisierten Gruppen, wie queere Geflüchtete, trans und nicht-binäre Personen, sind beunruhigt, erzählt Matthias Gothe von der Aidshilfe Weimar & Ostthüringen. Viele spielten bereits das Szenario einer direkten oder auch indirekten Regierungsbeeinflussung durch die AfD durch und was das für sie bedeuten könnte. „Diese Menschen sitzen in Gedanken bereits auf gepackten Koffern“, sagt Gothe.

Die Diskursverschiebung zeichnet sich auch in den Schulklassen ab. Das berichten Mitarbeitende der Aidshilfe-Jugendarbeit aus mehreren Städten: In Schulworkshops zu Sexualität und sexueller Gesundheit lästern einzelne Jugendliche ganz offen und laut über sexuelle Vielfalt und sprechen abschätzig über queere Menschen. Auch im Beratungsalltag erleben Aidshilfe-Mitarbeitende, dass sich Klient*innen durch ihre Äußerungen klar als rechts zu erkennen geben und etwa Migrant*innen diffamieren.

Wir erleben, dass CSDs immer häufiger angegriffen werden.

Matthias Gothe, Aidshilfe Weimar & Ostthüringen

Das gesellschaftliche Klima hat sich deutlich verändert. Der Verein Opferperspektive – Solidarisch gegen Rassismus, Diskriminierung und rechte Gewalt e.V. zählte 2022 in Brandenburg 242 rechtsmotivierte Angriffe – 100 mehr als im Vorjahr. 2023 wurden in Rüdersdorf, Bernau, Dallgow-Döberitz, Spremberg und anderen Orten gehisste CSD-Fahnen angezündet oder heruntergerissen. „In Brandenburg ist der Rechtsruck keineswegs ein neues Phänomen“, sagt Frede Krischan Macioszek von der Aids-Hilfe Potsdam“, „er ist nur sichtbarer geworden“.

Auch in Thüringen hat sich die Lage drastisch verändert. Zwar ist es in den letzten Jahren auch durch die Vernetzungsarbeit der von der Staatskanzlei geförderten LSBTIQ*-Koordinierungsstelle gelungen, dass mittlerweile in vielen Städten des Landes CSDs stattfinden, wie Matthias Gothe betont, der auch im Verein Vielfalt Leben – QueerWeg in Jena aktiv ist. „Zugleich erleben wir, dass solche Veranstaltungen immer häufiger auch angegriffen werden.“ Mal werden am Rande von CSD-Demos queerfeindliche Plakate hochgehalten, mal kommt es zu verbalen Attacken und direkten Auseinandersetzungen.

Rechte Klientelpolitik und Diffamierungen

Für Matthias Gothe sind diese Entwicklungen auch eine unmittelbare Folge der politischen Debatten im Landtag: wenn dort etwa von einer „Genderideologie“ gesprochen wird oder die AfD in einer „Kleinen Anfrage“ wissen möchte, wie viele Homosexuelle in Thüringen leben, warum diese Menschen als „besonders schutzbedürftig“ eingestuft und in welchem Aufwand Mittel für die Entwicklung des „Landesprogramms für Akzeptanz und Vielfalt“ aufgebracht werden. Ohne es direkt auszusprechen, beflügele dieser an schlimmste Zeiten erinnernde Vorstoß rechtsnationale Wünsche nach neuen „Rosa Listen“ und bestätige, dass die AfD Homosexuelle grundsätzlich für „unnormal“ hält.

Die Intention solcher Aktionen ist für Matthias Gothe recht durchsichtig: Es geht darum, rechte Klientelpolitik zu betreiben und Minderheitenpolitik als Geldverschwendung zu diffamieren.

Sie wollen uns einschüchtern und mundtot machen.

Lars Bergmann, Landesverband AndersARTig e.V. in Potsdam

Wie das konkret aussieht, hat die AfD im Brandenburgischen Landtag vorgeführt, als sie 2018 die Auflösung der LGBT-Koordinierungsstelle forderte, um mit den freiwerdenden Mitteln vorgeblich notleidende Familien zu unterstützen. „Wir haben das damals mal nachgerechnet, damit wären für jede Familie zwei Kugeln Eis drin gewesen“, sagt Lars Bergmann vom queeren Landesverband AndersARTig e.V. in Potsdam. Der Antrag wurde zwar abgelehnt, seinen Zweck hatte er dennoch erfüllt: nämlich medien- und publikumswirksam Feindbilder zu festigen und die eigene Anhängerschaft zufriedenzustellen.

All das bleibt nicht ohne Wirkung. Seit nunmehr 25 Jahren wandert, organisiert von AndersARTiG e.V., der CSD im Rahmen der „LesBI*Schwule T*our“ durch viele größere und kleinere Städte Brandenburgs. „In den letzten Jahren jedoch haben verbale Angriffe, etwa an Infoständen, massiv zugenommen, berichtet Lars Bergmann. „Wir haben auch schon erlebt, dass ein Tross an Leuten auftauchte, die ungefragt die CSD-Besucher*innen fotografierten.“ Der Zweck solcher Aktionen sei klar: „Sie wollen uns einschüchtern, uns mundtot machen und die ohnehin kleine Community in Brandenburg demotivieren.“

Angebote für queere Menschen aufs Land und in die Kleinstädte!

Umso frustrierter und zugleich ratlos waren daher auch viele der engagierten Aktivist*innen, dass es von der amtierenden Landesregierung nicht mehr Unterstützung dafür gibt, „die über Jahre mühsam und meistens im Zustand des Mangels aufgebauten Strukturen auch für die Zukunft sicher und sturmfest zu machen“, erläutert Bergmann.

Ende April hat die Brandenburger Landesregierung nun allerdings ihren seit 2017 bestehenden „Aktionsplan Queeres Brandenburg“ fortgeschrieben, der wesentliche Zielmarken für den Abbau von Diskriminierung definiert und auch die Entwicklung von Angeboten und Strukturen für LSBTIQ-Menschen vorsieht.

Wie wichtig und vor allem auch wie nachgefragt jegliche Angebote gerade für junge Menschen sind, bekräftigt Jirka Witschak von der Landeskoordinierungsstelle Queeres Brandenburg. Vor allem im ländlichen und kleinstädtischen Raum dürsteten die Leute geradezu nach Informationen, Veranstaltungen und gemeinsamen Erlebnissen.

Wir wissen, dass es nur einen Federstrich braucht – und dann sind wir alle weg.

Lars Bergmann, Landesverband AndersARTig e.V. in Potsdam

Lars Bergmann sieht jedoch nicht nur die queeren Strukturen in Gefahr, sondern auch Projekte von und für Frauen und Mädchen oder solche zur Demokratieförderung. Letztlich seien alle Projekte, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzten und deren Finanzierung nicht langfristig gesichert sei, von einer rechten Politik akut bedroht. „Wir wissen, dass es nur einen Federstrich braucht – und dann sind wir alle weg.“

Doch kampflos aufgeben, sich wegducken und wieder verstecken oder gar wegziehen ist zum Glück für viele queere Menschen dennoch keine Option. Im Gegenteil: Die Entwicklungen motivieren viele, sich stärker politisch zu engagieren oder sich auf kommunaler bzw. Bundesebene aktiv einzubringen. Aktivist*innen der verschiedenen Communitys sehen sich mehr denn je in der Verantwortung, rechtspopulistischen Anfeindungen, Desinformationen und Diffamierungen zu widersprechen – und eigene Positionen sichtbar und hörbar zu machen, stellt Matthias Gothe fest.

Die Interessensvertretungen wie Aidshilfen sieht Gothe zudem in der Pflicht, die Communitys zu stärken und zu unterstützen. „Wir können die Leute nicht mit ihren Ängsten und Sorgen allein lassen, sondern müssen mehr denn je sicheren Raum zum Austausch geben und gemeinsam Strategien entwickeln, wie auf diese Entwicklungen reagiert werden kann.“

Gerade junge queere Menschen zeigen Flagge

Und während sich viele queere Schüler*innen aus Angst vor Diskriminierung eher schwertun, sich vor der Klasse zu outen, finden mehr denn je von ihnen trotzdem den Mut, zum CSD zu gehen. Die Teilnehmendenzahlen der verschiedenen Christopher-Street-Day-Events quer durch Brandenburg wachsen von Jahr zu Jahr – und 80 Prozent, so schätzt Jirka Witschak, sind unter 25 Jahre alt. „Das hatten wir vor fünf oder zehn Jahren noch nicht. Diese jungen Menschen wollen Gesicht und Flagge zeigen und klar zum Ausdruck bringen, dass sie an ihrer Situation etwas ändern wollen. Dass sich etwas ändern muss.“

Die Demokratie zu stärken und Demokratie zu leben ist eine unserer ganz zentralen Aufgaben.

Ute Hiller, DAH Berlin

Aidshilfen, Aktivist*innen, Organisationen und Initiativen wissen, wie wichtig die anstehenden Wahlen sind, und machen sich bereit für ein entscheidendes Wahljahr. Die Selbsthilfe-Initiative „positHIV handeln NRW“ hat sich dazu ein sehr treffendes Jahresmotto ausgedacht: „Helferzellen gegen rechts. Demokratie leben. PositHiv handeln.“ Denn: „Die Demokratie zu stärken und Demokratie zu leben ist eine unserer ganz zentralen Aufgaben und deshalb sollten wir dies gerade jetzt stärker kommunizieren“, sagt Ute Hiller von der DAH. Und zwar sowohl nach außen als auch nach innen.

Mit dem Positionspapier „Aidshilfen gegen Rassismus“ hat die DAH bereits einen wichtigen Grundstein gelegt, sich auch im eigenen Verband selbstkritisch mit Rassismus auseinanderzusetzen und etwa entsprechende Maßnahmen zu erarbeiten und Awareness-Workshops anzubieten.

Hilfreich könnten zudem auch Trainings sein, um mit kritischen Situationen professionell und deeskalierend umgehen zu können. „Denn es ist wichtig, dass wir Diskurse nicht sofort abbrechen, sondern uns verbalen Angriffen oder Diskussionen, soweit möglich, stellen: freundlich, zugewandt, sachlich argumentierend, aber eben trotzdem bestimmt“, erläutert Ute Hiller.

Der Paritätische Gesamtverband bietet dazu seinen Mitgliedsorganisationen bereits Fortbildungen an – zum Beispiel auch dazu, wie professionell auf Hass und Hetze in Sozialen Medien reagiert werden kann.

Im Dialog bleiben

Auch Matthias Gothe ist es wichtig, im Dialog zu bleiben, und sieht dabei vor allem auch die Notwendigkeit, mit der Mitte der Gesellschaft ins Gespräch zu kommen. „Wir müssen deutlich machen, was es konkret bedeutet, wenn bestimmte AfD-Forderungen tatsächlich umgesetzt werden.“ Zum Beispiel, dass Mütter ihre Kinder künftig die ersten drei Lebensjahre komplett zu Hause erziehen – also auf ihre Berufstätigkeit verzichten sollen. Letztlich kann jede*r im persönlichen Umfeld dazu beitragen, dass den Menschen bewusst wird, welche radikalen Veränderungen gerade auch im sozialen Bereich die AfD plant.

Wir müssen deutlich machen, was es konkret bedeutet, wenn AfD-Forderungen tatsächlich umgesetzt werden.

Matthias Gothe, AIdshilfe Weimar & Ostthüringen

Jirka Witschak plädiert außerdem dafür, schon jetzt im Rahmen des Wahlkampfs auf die demokratischen Parteien zuzugehen, um sie für die konkreten Probleme, zentralen Projekte und die dafür notwendige politische wie finanzielle Unterstützung zu sensibleren, damit bei späteren Koalitionsverhandlungen diese Themen nicht untergehen oder einfach übergangen werden.

Eine Strategie, die in Dresden bereits umgesetzt wird: „Unser Vorstand nutzt aktuell beispielsweise den Kommunalwahlkampf und die Veranstaltungen der demokratischen Parteien, um unsere Arbeit und Pläne vorzustellen – angefangen bei der sexuellen Bildung über die Haftarbeit bis zu der geplanten Erweiterung unseres Checkpoint-Angebots“, sagt Christian Willno, Leiter der Beratungsstelle der Aids-Hilfe Dresden. „Um auf lange Sicht die notwendige Unterstützung der Politik zu bekommen, müssen wir ihnen die Wertigkeit und Wichtigkeit unserer Angebote vermitteln.“ Die Aids-Hilfe in Potsdam überlegt indessen aus gleichen Gründen einen Empfehlungskatalog zu erarbeiten und damit an Landespolitiker*innen und Parteivertreter*innen heranzutreten. 

Aidshilfen müssen Haltung zeigen

Der Rechtsruck beschäftigt allerdings keineswegs nur die DAH-Mitgliedsorganisationen in den drei Bundesländern, wo Landtagswahlen vor der Tür stehen. In einer neu gegründeten Arbeitsgemeinschaft tauschen sich mittlerweile ehren- und hauptamtliche Mitarbeitende und Aktivist*innen aus rund 30 Mitgliedsorganisationen quer durch die Republik aus – zum Beispiel darüber, wie sich der Rechtsruck auf sie selbst und auf die eigene Arbeit auswirkt und was er für die verschiedenen Zielgruppen der Aidshilfe bedeutet.

Denn klar ist: „Eine eher an rechten Ansichten orientierte Politik bedroht ganz konkret auch die strukturelle Prävention insbesondere für Menschen aus den besonders vulnerablen Gesellschaftsgruppen, seien es Sexarbeiter*innen, Drogengebraucher*innen, queere Menschen, Migrant*innen oder Geflüchtete“, sagt Ute Hiller.

Aidshilfen müssten deshalb Haltung zeigen. „Als Aids-Hilfe Dresden setzen wir bei Aktionen wie #WirSindDieBrandmauer ein klares Zeichen, wofür wir als Verein stehen“, erklärt Christian Willno. Das ist auch wichtig, um insbesondere jenen Personengruppen, die Anfeindungen und Diskriminierungen ausgesetzt sind, zu zeigen: Wir bleiben für euch ein sicherer Ort!

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