Kunst & Aktivismus

Die stärkste Werbekampagne für Aids: AA Bronson über General Idea

Von Axel Schock
Blick in die Ausstellung: An zwei rot-blau-grün gemusterten Wänden hängt jeweils ein Gemälde mit dem AIDS-Logo in GRoßbuchstaben, einmal in Grün auf Rot, einmal in Rot auf gelb-grünem Hintergrund
Blick in die General-Idea-Ausstellung im Martin-Gropius-Bau (Foto: Axel Schock)

Eine Retrospektive im Berliner Martin-Gropius-Bau zeichnet das einzigartige künstlerische Vermächtnis des kanadischen Künstlerkollektiv General Idea nach, das mit oft humorvoll-satirischen Arbeiten die Grenzen zwischen Kunst, Medien und Aktivismus verwischte. Mit dem Tod der an Aids verstorbenen Mitglieder Felix Partz und Jorge Zontal löste sich die Gruppe 1994 auf. Im Interview spricht der 1946 geborenen AA Bronson, das letzte lebende Mitglied der Gruppe, über ihre künstlerische Auseinandersetzung mit Aids und seine lebenslange Trauer.

Euer vielfach variiertes Logo aus den vier Buchstaben kennen selbst Menschen, die den Namen „General Ideal“ noch nie gehört haben. Was verbindest du heute mit diesen vor über 30 Jahren im Kontext von Aids entstandenen Werken? Sind sie lediglich (Kunst-)Geschichte oder Monumente der Erinnerung, der Wut und Trauer?


Das Wort „Aids“ wurde in den USA in der Öffentlichkeit vermieden, die Krankheit versteckt. Wir planten daher eine Art Werbekampagne für Aids zu machen.

AA Bronson: Es ist seltsam, wie schnell die Zeit vergeht und Dinge verändert. Es war damals so etwas wie ein Aufruf zu den Waffen. Das Wort „Aids“ wurde in den USA in der Öffentlichkeit vermieden, die Krankheit versteckt. Wir planten daher eine Art Werbekampagne für Aids zu machen. Das klingt etwas seltsam, aber genau das schwebte uns vor. Doch je länger das alles zurückliegt, desto mehr ist das „AIDS“-Emblem zu einem Memorial geworden für all jene, die an dieser Krankheit gestorben sind, insbesondere in diesen Jahren der Aidskrise.

Durch Covid kamen wir in eine Situation, die mich sehr an damals erinnerte: die Art und Weise, wie das Virus übertragen werden konnte, wie die Menschen auf die Gefahr reagierten, wie wenig die Regierung darauf vorbereitet war. Nur war diesmal die ganze Gesellschaft betroffen und nicht nur eine kleine Gruppe. Insofern erinnert uns das „AIDS“-Emblem nun auch an unser Verhältnis zum Gesundheitssystem, an die Mechanismen und daran, wie wir auf neue Krankheiten reagieren.

Zugleich werde ich an meine verstorbenen Partner, an Felix und Jorge erinnert, jedes Mal, wenn ich eine dieser Arbeiten sehe. Sie stehen deshalb für mich ganz persönlich auch für Trauer.

Für mich verändert und wandelt sich die Bedeutung dieser Arbeiten immer wieder. Deshalb kann ich abschließend nicht sagen, wofür sie eigentlich stehen.

AA Bronson in Berlin (Foto: Axel Schock)

Das erste „AIDS“-Gemälde war demnach als eine Art Werbekampagne gedacht. Und offensichtlich war diese sehr erfolgreich.

Wir hatten gehofft, dass es funktioniert, weil wir das „LOVE“-Logo als Vorlage verwendet hatten. Als wir es erstmals in Deutschland zeigten, haben es selbst Teenager sofort erkannt. Sie wussten nicht, dass das Kunst sein sollte, aber sie wussten, dass da eigentlich „LOVE“ anstatt „AIDS“ stehen müsste. Es spricht alle Generationen unmittelbar an, weil Robert Indianas „LOVE“-Gemälde so einprägsam ist.

Hat er jemals darauf reagiert?

Auf die Frage, ob er verärgert sei, dass General Idea sein „LOVE“-Bild gestohlen hatten, antwortete Robert Idiana: „Überhaupt nicht. Ich wünschte nur, ich wäre selbst darauf gekommen.“

Als wir das Bild 1986 anfertigten, haben wir versucht, Robert Indiana zu kontaktieren, konnten ihn aber nirgends ausfindig machen. Später haben wir erfahren, dass er völlig zurückgezogen auf einer Insel in Maine lebte. Er war zu dieser Zeit komplett aus der Öffentlichkeit verschwunden und fast vergessen. Er hatte keine Ausstellungen mehr, nicht mal mehr einen Galeristen. Das änderte sich schlagartig mit unserem Aids-Projekt. Mit einem Mal war er in der Kunstszene wieder präsent. In einem Interview mit dem Kunstmagazin „Connaisseur“ wurde er damals gefragt, ob er verärgert darüber sei, dass General Idea sein „LOVE“-Bild gestohlen hatten. Er sagte: „Nein, überhaupt nicht. Ich wünschte nur, ich wäre selbst darauf gekommen.“

Robert Indianas vielfach variiertes Gemälde von 1961 ist eine Ikone der Popart. Warum habt ihr euch gerade dieses Werk vorgenommen?

Diese Idee ist uns ganz spontan gekommen. Sie war einfach irgendwann da. Zunächst aber haben wir diese Idee nicht weiterverfolgt. Wir hielten sie schlicht für schlechten Geschmack. Dann erhielten wir eine Anfrage von amfAR (American Foundation for Aids Research, d. R.), ob wir für eine Kunst-Benefizauktion ein Bild stiften würden. Also malten wir das Bild und stellten es amfAR zur Verfügung. Es fand sich damals aber keine Person, die es haben wollte.

1989 beauftragte die Deutsche AIDS-Stiftung euch, ein Logo für sie zu entwerfen, das euer „AIDS“-Emblem aufgreift. Hattet ihr zunächst Bedenken, Kunst im Auftrag anzufertigen?

Überhaupt nicht, zumal es für eine Non-Profit-Organisation war. Wir haben sofort zugesagt. Wäre der Auftrag von einem Konzern gewesen, wäre unsere Entscheidung sicherlich anders ausgefallen.

General Idea entstand zwar in Toronto, eure künstlerische Arbeit ist aber eng mit New York verknüpft. Wie habt ihr dort den Beginn der Aidskrise erlebt?

New York war damals ein Epizentrum der Aidskrise und die Situation war dort in den ersten Jahren sehr schwierig und belastend. Das amerikanische Gesundheitssystem wollte mit Aids möglichst nichts zu tun haben, die US-Regierung wollte ebenfalls nichts davon wissen.

In Europa, Kanada und Australien hatte man etwas mehr Zeit, um sich auf die Epidemie vorzubereiten, deren Gesundheitssysteme erwiesen sich dann auch als wesentlich besser ausgestattet und stabiler als in den USA. Man muss sich nur die Anzahl der verfügbaren Krankenhausbetten in Relation zur Bevölkerungszahl anschauen. Die Rate in den USA ist eine der niedrigsten weltweit, in Deutschland eine der höchsten.

Ich hörte von Personen, die in Deutschland wegen Aids behandelt wurden und dann auch starben, dass insbesondere in Berlin alles versucht wurde, was möglich war. In den USA herrschten hingegen teilweise menschenunwürdige Zustände.

Ihr habt das direkt miterlebt und erfahren?

Wir lebten damals in New York in unmittelbarer Nähe eines Krankenhauses, in dem schwerpunktmäßig Aidskranke behandelt wurden. Wir hatten viele Freund*innen, die dort gelandet waren. Viele Menschen, die dort arbeiteten, weigerten sich die Aidsstation überhaupt zu betreten. Die Folge war, dass diese Zimmer nicht von den Reinigungskräften geputzt und die Betten nicht regelmäßig frisch bezogen wurden. Besucher*innen der Station wurden von den Pflegekräften als erstes eingewiesen, wo sie Handtücher und frische Laken finden, damit sie diese Aufgaben übernehmen konnten. Die Pflegekräfte weigerten sich auch, Essen an Aidskranke auszugeben. Deshalb hatte man im Aufenthaltsraum der Station einen großen Tisch aufgestellt und alle Besucher*innen brachten gutes, frisch gekochtes Essen mit, das dort zu einem Buffet für alle Patient*innen aufgebaut wurde. Es herrschte dort immer eine Art Partystimmung mit vielen wunderbaren Menschen: Patient*innen, deren Besucher*innen, aber auch viele Pflegekräfte waren Teil davon.

Wollte denn die Kunstszene damals überhaupt Kunst zu Aids sehen und zeigen? Und wurde solche Kunst überhaupt gekauft?

In New York war zumindest die Kunstszene in Downtown sehr alternativ und schwulenfreundlich, und wohl keine andere Community in der Stadt war so unterstützend wie diese, zum Beispiel durch Benefizveranstaltungen.

Im Gegensatz zu den Arbeiten des aus ACT UP heraus entstandenen Künstlerkollektivs Gran Fury waren eure nie vordergründig agitatorisch, also gezielt als Instrumente des Protestes konzipiert.

Das ist richtig. Wir haben uns bereits in den Sechzigerjahren als Gruppe gefunden, Gran Fury in den späten Achtzigern. Das allein hat uns voneinander stark unterschieden.

Aus der Sicht von ACT UP taten wir nichts, außer Aids zu vermarkten. Sie wussten nicht, das Aids auch Teil unseres Lebens war.

Standet ihr in Verbindung mit ACT UP und wart ihr an deren Aktionen beteiligt?

Wir waren aus Kanada und konnten damals ohne Aufenthaltserlaubnis in den USA leben, ohne dass es jemanden gekümmert hätte. Zumindest solange man weiß war und nicht in Konflikt mit dem Gesetz geriet. Wir lebten also illegal in New York und wollten nicht an Demonstrationen teilnehmen, um nicht in Gefahr zu geraten, verhaftet und dann nach Kanada abgeschoben zu werden. Wir haben auf unsere Weise versucht, uns zu engagieren, mit Ausnahme von Demonstrationen. Bei ACT UP drehte sich aber alles um Demonstrationen. Zudem waren sie 20 Jahre jünger als wir. Damals galt die Devise: „Trau keinem über 30.“ Und wir waren da schon über 40.

In den ersten Jahren wurde General Idea von ACT UP dezidiert abgelehnt. Man nahm an, dass wir das „AIDS“-Logo nur kreiert hätten, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Aus ihrer Sicht taten wir nichts, außer Aids zu vermarkten. Sie wussten nicht, das Aids auch Teil unseres Lebens war und auch wir uns um an Aids Erkrankte kümmerten.

„Fin de Siècle“ im Martin-Gropius-Bau-Lichthof (Foto: Axel Schock)

Im Lichthof des Martin-Gropius-Baus wird die Installation „Fin de Siècle” zu sehen sein. Sie entstand unmittelbar nach der HIV-Diagnose von Felix und Jorge. Ist diese Arbeit eine direkte Reaktion darauf?

Ausgangspunkt war eine Kampagne von Brigitte Bardot gegen das Töten der Robbenbabys. Zu dieser Zeit war allerdings die Population der Seerobben in Kanada geradezu explodiert, sodass die Heringsbestände in Gefahr waren und die kanadische Regierung deshalb eine Prämie für jede getötete Robbe ausgelobt hatte. Brigitte Bardot also setzte sich für den Schutz der süßen, weißen Robbenbabys ein und wir waren uns sicher, dass sie sich nicht in gleicher Weise für vom Aussterben bedrohte alte queere Männer engagieren würde – ganz im Gegenteil.

Als wir die Installation 1992 im Württembergischen Kunstverein Stuttgart erstmals in Deutschland zeigten, fühlten sich Besucher*innen an Caspar David Friedrichs „Das Eismeer“ erinnert. Daran hatten wir bis dahin nicht gedacht, doch die Verbindung zu Friedrichs Gemälde funktioniert fantastisch.

„Fin de Siècle” ist keine Arbeit, die sich in erster Linie mit Aids auseinandersetzt, sondern vielmehr mit dem Tod. Denn gerade in Nordamerika hatte die Gay Community damals das Gefühl, dass die Heterogesellschaft sehr froh darüber war, uns sterben zu sehen. Sie hatten keinerlei Ambitionen, diese Ausrottung zu stoppen und wir schwulen Männer sahen uns tatsächlich als eine aussterbende Art.  

Blick in die Ausstellung, rechts die Installation „30 Days of AZT“ (Foto: Axel Schock)

„One Year of AZT“ ist eine aus rund 2000 identischen Objekten bestehende Installation, die durch ihre Monumentalität geradezu erschlägt. In der Ausstellung ist das kleinere Pedant „On Month of AZT“ zu sehen. Die Bedeutung, die das Medikament für Felix und Jorge hatte, lässt sich gerade für jüngere Besucher*innen wahrscheinlich nur schwer erahnen.

Beide Installationen sollen das überwältigende Gefühl, das die Allgegenwart der Medikamente für die Erkrankten damals bedeutete und die massiven Auswirkungen, die sie auf das Leben der Aidspatient*innen hatten, widerspiegeln.

Felix hatte direkt nach seiner HIV-Diagnose mit der Einnahme von AZT begonnen. Die erste Installation haben wir direkt danach konzipiert. Sie zeigt komprimiert Felix‘ Zukunft: eine erschlagend große Menge an Pillen, die im Abstand von wenigen Stunden eingenommen werden musste. Seine Pillenschachteln waren immer und überall präsent. Jorge hingegen weigerte sich AZT zu nehmen.

Aus Angst vor den Nebenwirkungen?

Er traute diesem Medikament nicht und er lag damit letztlich richtig. Gestorben ist er dennoch.

Du bist der letzte Überlebende von General Idea, also gewissermaßen Zeitzeuge, Bewahrer eures künstlerischen Gesamtwerkes. Wie gehst du damit um?

Nicht sehr gut (lacht). Ich habe lange versucht meine künstlerische Karriere bewusst getrennt von General Idea aufzubauen und Arbeiten zu schaffen, die künstlerisch so weit wie möglich von General Idea entfernt sind. So habe ich mich deshalb einige Zeit auf Performance verlegt, etwa zu den Themen Heilung und Trauer. Es ist allerdings etwas seltsam, nach 25 Jahren General Idea mir nicht zu erlauben, General-Idea-Künstler zu sein. Mittlerweile bin ich deshalb dazu übergegangen wieder mehr im Geiste unserer Gruppe zu arbeiten.

Wie traumatisierend waren für dich auf lange Sicht der Verlust und die Erfahrungen aus der Zeit der Aidskrise?


Die Trauer hat eine enorme, rätselhafte Kraft. Ich verstehe sie nicht, aber sie hat eine große Macht über mich.

Das ist der allerschwierigste Part. Kurz nachdem Felix gestorben war, hatte ich ein Gespräch mit einem Psychotherapeuten und er sagte mir – entschuldige, dass ich jetzt weinen muss. Er sagte mir: Deine Trauer wird so lange andauern, wie du ihn gekannt hast, verurteile dich also nicht, dass du trauerst.  Ich kannte Felix 25 Jahre. Ich trauerte 25 Jahre, aber es hörte nie auf. Es sind nun 29 Jahre und ich trauere immer noch um ihn. Wahrscheinlich tue ich es mein Leben lang.

Auch das Trauma des Erlebten lebt weiter. Das gilt ja auch für Menschen, die Kriege oder den Holocaust überlebt haben und die dieses Trauma in ihren Familien zum Teil über mehrere Generationen hinweg weitergegeben haben. Die Trauer hat eine enorme Kraft und sie erscheint mir manchmal rätselhaft. Ich verstehe sie nicht, aber sie hat eine große Macht über mich. Als wäre die Welt in zwei Teile auseinandergebrochen und hätte sich nie mehr zu einem Ganzen zusammengefügt.

Die Retrospektive mit fast 200 Arbeiten von General Idea – darunter ihre subversiven und ironischen Skulpturen, Installationen, Malereien, Videos und Publikationen und ikonischen Logos – ist bis zum 14. Januar 2024 im Martin-Gropius-Bau in Berlin zu sehen.

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