Nebenwirkungen

Führen TAF-haltige HIV-Therapien zu einer Gewichtszunahme?

Von Axel Schock

Viele HIV-Patient*innen beklagen nach einem Wechsel ihrer Kombinationstherapie von TDF-  zu  TAF-basierten Medikamenten eine ungewünschte Gewichtszunahme. Wie diese Nebenwirkung zu erklären ist und wie darauf reagiert werden kann, erläutert der HIV-Mediziner Prof. Dr. Christian Hoffmann.

Der Wirkstoff Tenofovirdisoproxilfumarat (TDF) ist seit langer Zeit ein wichtiger Baustein der meisten Kombinationstherapien und befindet sich zum Beispiel in gängigen Medikamenten wie Delstrigo® oder Truvada® und Generika. Auch in der medikamentösen HIV-Prophylaxe PrEP kommt er zum Einsatz.

Allerdings kann TDF die Nierenleistung verringern und die Knochendichte verringern. Diese Nebenwirkungen sollen mit einer Therapie auf Basis des Wirkstoffs Tenofoviralafenamidfumarat (TAF) vermieden werden.

Doch viele HIV-Patient*innen beklagen nach einem Wechsel von TDF auf TAF, das z.B. in den Medikamenten Biktarvy® und Odefsey® enthalten ist, eine unerwünschte Gewichtszunahme.

Wie lässt sie sich erklären und was bedeutet dies für die Patient*innen und deren Therapie? Wir haben mit dem HIV-Experten Prof. Dr. Christian Hoffmann vom Infektionsmedizinischen Centrum Hamburg-Stendal (ICH) gesprochen.

Professor Hoffmann, bei TAF-basierten Therapien sind Nebenwirkungen wie eine schwächere Nierenfunktion oder eine Verminderung der Knochendichte seltener. Allerdings kommt es nach der Umstellung auf TAF immer wieder zu deutlichen Gewichtszunahmen. Hat Sie diese Nebenwirkung überrascht?

Christian Hoffmann: In der Tat, in den Zulassungsstudien war eine Gewichtszunahme zu keiner Zeit Thema. Als TAF zugelassen wurde, ist sicherlich niemand davon ausgegangen, dass dies ein Problem werden könnte.

In der Schweizer HIV-Kohortenstudie wurde eine mittlere Gewichtszunahme von 1,7 kg in den ersten 18 Monaten nach der Umstellung ermittelt. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen in der Praxis?

Prof. Dr. Christian Hoffmann (Bild: Infektionsmedizinisches Centrum Hamburg)

Man sollte solche Zahlen mit Vorsicht betrachten. Bei einer großen Kohortenstudie gibt es sehr viele Störgrößen. Zum einen legen wir alle über die Zeit an Gewicht zu, die US-amerikanische Bevölkerung beispielsweise im Schnitt 800 bis 1000 Gramm pro Jahr. Es ist da nicht leicht, den zusätzlichen Effekt von TAF herauszurechnen.

Bei einer mittleren Gewichtzunahme von einem bis zwei Kilo gibt es außerdem einige wenige, die ganz erheblich zugenommen haben, andere haben ein relativ stabiles Gewicht und wieder andere haben sogar abgenommen.

Es ist also nicht so, dass alle zunehmen. Man muss die Gewichtszunahme deshalb immer von verschiedenen Seiten betrachten und sollte sich nicht auf Mittelwerte fokussieren. Man sollte eher darauf schauen, wie viel Prozent einer Gruppe zum Beispiel mindestens fünf Prozent innerhalb von zwei Jahren zugenommen haben oder wie viel Menschen tatsächlich übergewichtig geworden sind. Und selbst dann gibt es ein Verzerrungspotenzial.

„Die Gewichtszunahme ist  ein relevantes Problem“

In der Schweizer Kohorte wechselten knapp 14 Prozent der Patient*innen, deren Therapie auf TAF basiert, vom Normalgewicht zu Übergewicht oder Adipositas. Bei Patient*innen, die bei TDF geblieben sind, waren es nur 8,4 Prozent. Also durchaus ein signifikanter Unterschied.

Wobei auch hier zu bedenken ist, dass jemand vielleicht nur knapp davor war, als übergewichtig oder adipös zu gelten, und mit einem Kilo mehr bereits in die Gruppe gerutscht ist.

Allerdings deckt sich das mit meiner klinischen Beobachtung. Die Gewichtszunahme ist auf jeden Fall ein relevantes Problem, und das bereits seit einigen Jahren. Dass es mit den Medikamenten zusammenhängt, erscheint naheliegend. Ob es aber ausschließlich mit TAF zu tun hat, wissen wir derzeit noch nicht genau. Denn auch zu den Integrasehemmern gibt es deutliche Hinweise, vielleicht ist es auch die Kombination.

Lässt sich sagen, ob bestimmte Faktoren – etwa Therapiedauer, Alter oder Vorerkrankungen – diese Gewichtszunahme beeinflussen?

Es ist wie gesagt keineswegs so, dass alle, die zu TAF wechseln, tatsächlich zunehmen. Wir wissen allerdings nicht, bei wem dies passiert. Aus einigen Studien geht zwar hervor, dass Frauen aus Subsahara-Afrika häufiger betroffen sind, aber ich hatte in meiner Praxis auch schon junge weiße Männer, die deutlich an Gewicht zugenommen haben. Gerade zu möglichen Risikofaktoren sind derzeit mehr Fragen offen als beantwortet.

Werden die Patient*innen vor der Umstellung ausreichend über diese mögliche Nebenwirkung aufgeklärt?

Ich weiß nicht, was die Kolleg*innen den Patient*innen erzählen. Ich würde auch davor warnen, dies in einem Beratungsgespräch zur Therapieumstellung zu sehr zu betonen. Man muss allerdings dann darüber reden, wenn Patient*innen von einer Gewichtszunahme berichten. Was man sagen kann, ist, dass es sich um keine Fettverteilungsstörung handelt, wie wir sie von der Lipodystrophie kennen.

Bei dieser Fettstoffwechselstörung verlagert sich Körperfett auf Dauer.

Eine wesentliche Ursache für die Gewichtszunahme bei TAF-Einnahme scheint ein größerer Appetit zu sein, so berichten es mir auch viele Patient*innen. Sie essen einfach mehr. Und wenig mehr pro Tag reicht! Anders als früher bei der Lipodystrophie kann man daran allerdings auch etwas ändern.

„Eine wesentliche Ursache für die Gewichtszunahme bei TAF-Einnahme scheint ein größerer Appetit zu sein“

Ich denke, man muss die Gewichtszunahme ernst nehmen, und das machen sicherlich auch alle Kolleg*innen. Man sollte das aber auch immer zum Anlass nehmen, über den Lifestyle zu reden, also über Ernährung und Bewegung.

Wenn diese zusätzlichen Kilos auch durch eine bewusste Ernährung und ausreichend sportliche Betätigung nicht wieder verschwinden, ist es dann auch sinnvoll, wieder zur ursprünglichen Therapie zurückzukehren?

Das ist immer individuell zu entscheiden. Wenn jemand deutlich zugenommen hat, muss man auf jeden Fall offen über die Ernährungsgewohnheiten sprechen, denn von nichts kommt nichts. Jede Gewichtszunahme wird dadurch verursacht, dass mehr Energie zugeführt als verbrannt wird.

In der Regel kann jeder Mensch sein Gewicht selbst beeinflussen, so schwer es uns allen auch fällt. Wenn allerdings durch kontrollierte Kalorienzufuhr die Gewichtszunahme nicht in den Griff zu bekommen ist, muss man auch über die HIV-Therapie sprechen. Eine Änderung der ART wäre für mich aber nicht die allererste Maßnahme.

Nehmen die Patient*innen permanent oder nur für eine gewisse Dauer zu, und das Gewicht stagniert dann?

Wir wissen nicht, ob irgendwann ein Plateau erreicht ist, ab dem es zu keiner weiteren Gewichtszunahme kommt. In einigen Studien, die über drei bis vier Jahre liefen, hat man den Eindruck, dass das so ist. Wir wissen aber auch, dass Menschen, wenn sie älter werden, einen geringeren Grundumsatz haben.

Wenn aber die Energiezufuhr nicht reduziert wird, kommt es mit dem Alter automatisch zu einer Gewichtszunahme. Viele Patient*innen sind um die 50 und älter, das heißt, sie nehmen auch einfach zu, weil sie älter sind und immer noch die gleichen Mengen essen wie mit 30.  

Von TAF wieder zu TDF? Das muss gut durchdacht werden

Falls man dann doch zur alten Therapieform zurückkehren möchte: Kann es da Probleme geben?

Da stellt sich zunächst die Frage, weshalb die Therapie umgestellt wurde. Gab es konkrete medizinische Gründe? Wurde die Therapie auf TAF umgestellt, weil Nierenprobleme oder Osteoporose vorlagen? Wenn wir wieder zu einer TDF-basierten Therapie zurückkehren, haben wir vielleicht auch diese alten Probleme und Nebenwirkungen wieder.

Eine Frage ist sicher auch, ob man Tenofovir, egal ob als TDF oder TAF, wirklich braucht. Das muss daher in jedem einzelnen Fall bedacht werden. Wenn es rückblickend keinen gewichtigen Grund gab, um von TDF auf TAF zu wechseln, fällt eine Rückkehr zu TDF sicherlich leichter.

Wenn die TAF-Patient*innen mehr zunehmen: Ist in der Folge auch eine Zunahme von Diabetes zu befürchten und langfristig deshalb auch ein Anstieg von Herz-Kreislauf-Erkrankungen?

Es gibt dazu bereits eine ganze Reihe Modellrechnungen, welche Folgerkrankungen durch die Gewichtszunahme zu erwarten sind. Gerade Diabetes wird vermutlich ein wenig zunehmen.

Ich bin bei solchen Prognosen jedoch sehr vorsichtig. Drei, vier zusätzliche Kilo werden das Risiko sicher nicht eklatant erhöhen. Und wenn wir beim Herz-Kreislauf-Risiko sind: Über das Rauchen sollte man sich mindestens genauso viel Gedanken machen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

3 + 3 =