„Das Drogenverbot tötet Menschen, statt zu helfen“
Zum internationalen Gedenktag für verstorbene Drogengebraucher*innen am 21. Juli lassen wir Betroffene zu Wort kommen, die geliebte Menschen, Freund*innen oder auch Bekannte aufgrund der mit dem Drogengebrauch einhergehenden Umstände verloren haben.
Um verstorbener Menschen würdig zu gedenken, ist es unabdingbar, die besonderen Umstände ihrer Biografien zu beachten und ihre Geschichten zu erzählen. Martina erzählt uns für magazin.hiv, wie Verluste von Menschen, die im Zusammenhang mit Drogengebrauch verstorben sind, sie geprägt haben und wie diese sie immer wieder aufs Neue bewegen.
Von Antonia Luther
Der internationale Gedenktag für Drogengebraucher*innen löst bei mir jedes Jahr aufs Neue viele verschiedene Gefühle aus. Jedes Jahr ist es für mich unbegreiflich, wie viele Menschen an den direkten und indirekten Folgen des Drogenverbotes versterben und bereits verstorben sind.
Drogengebrauch begleitet mich schon lange in meinem Leben. Ich habe dadurch vieles erfahren und ich habe viele Bekanntschaften geschlossen. Gerade dieses Jahr sind wieder gute Freund*innen von mir verstorben. Die Pandemie hat die Situation für Drogengebraucher*innen zusätzlich verschärft. Die Zahl der Menschen, die im Zusammenhang mit Drogen versterben, steigt immer mehr und bildet dabei nicht einmal die erschreckende und traurige Realität ab.
Drogengebrauch begleitet mich schon lange in meinem Leben.
Eine Freundin von mir ist erst kürzlich, im Januar 2022, verstorben. Wir waren über zehn Jahre lang sehr eng befreundet und vier Jahre lang Nachbarinnen. Ein anderer guter Freund von mir ist ebenfalls von uns gegangen. Das macht was mit mir.
Als ich 30 Jahre alt war, habe ich angefangen, eine Liste anzufertigen von den Menschen, die aus meinem Umfeld durch die Umstände oder Folgen von Substanzgebrauch verstorben waren. Damals waren es erschreckenderweise schon 35 Menschen auf dieser Liste. Im Laufe der Jahre stieg diese Zahl immer weiter an. Hinter jeder dieser Zahlen steht ein Mensch, eine Lebensgeschichte.
Ich bin viel umgezogen und war an vielen unterschiedlichen Orten. Es ist so „normal“ für mich geworden, dass die Menschen sterben, egal wo. Trotzdem bewegt mich jede dieser Geschichten, von denen ich einen Teil mitbekommen durfte oder ein Teil war. Die Ohnmacht im Zusammenhang mit diesen Todesfällen begleitet mich stetig. Die Ungerechtigkeiten und die Tatsache, dass diese Menschen nicht hätten sterben müssen, machen mich sehr betroffen. Immer wieder denke ich: „Das kann doch nicht sein.“
Diese Menschen hätten nicht sterben müssen.
Besonders trifft mich, dass viele bis heute keine Chance auf eine Hilfe bekommen, die ihnen wirklich hilft. Dass Abstinenz die Ausgangsvoraussetzung für viele Therapieformen ist, verschließt Aussichten auf die Behandlung psychischer Erkrankungen. Auch in anderen Bereichen unseres Gesundheitssystems konnten mir und vielen weiteren Betroffenen nicht die Hilfen angeboten werden, die ich mir, die wir uns gewünscht hätten. Dieser Zustand besteht fort und muss sich, nicht zuletzt der Gerechtigkeit wegen, dringend zugunsten betroffener Personen verändern.
Die Hilfen, die für Drogengebraucher*innen im Rahmen der aktuellen Drogenpolitik bestehen, helfen nur zu einem gewissen Grad und sorgen dabei leider oft für viel Stress bei den Betroffenen. Hier fehlt es an individueller Betrachtung des Menschen und der Geschichte, die dieser Mensch mitbringt. An Strukturen, die diese Betrachtung erlauben. Das finde ich unfassbar schade. Ein großer Teil der Menschen, die ich kennengelernt habe, nutzten Drogen zum Beispiel sehr oft als eine Art Selbstmedikation. Viele von ihnen haben psychische oder körperliche Leiden. Der Gebrauch von Substanzen kann ein Weg sein, mit diesen Leiden umzugehen, den Alltag zu bewältigen.
Ein anderes Beispiel: Substituierte Menschen erfahren in ihrer Behandlung durch bestimmte Strukturen eine massive Erschwerung ihres Alltags. Durch strenge Kontrollen und viele weitere Aspekte dieser schon besonderen medizinischen Versorgung wird diese für viele Betroffene zum zweischneidigen Schwert. Ist die medizinische Versorgung mit einem Substitutionsmittel gewährleistet, so kommen mit dieser Versorgung auch diverse Regeln und Pflichten, die nicht für alle zu bewältigen sind und den Alltag auch schwerer statt leichter machen können. Dass man zum Beispiel den gewünschten Wirkstoff auf Anhieb erhält, ist die Ausnahme. Dass die flächendeckende Versorgung im Substitutionsbereich noch nicht gewährleistet ist, stellt für Betroffene ebenfalls ein großes Problem dar – Politik, Kassen und Ärzt*innenschaft müssen hier dringend tätig werden.
Dass ich offen mit meiner Geschichte umgehe und sicher in meiner Haltung bezüglich der Thematik bin, stößt nicht immer auf Verständnis. Bei Offenbarung folgt oft die gewohnte Vorverurteilung oder Stigmatisierung, mit der viele drogengebrauchende Menschen täglich konfrontiert sind. Das Bild, was in unserer Gesellschaft von Drogengebrauch und den gebrauchenden Menschen besteht, erschrickt mich. Oft ist es in keiner Weise objektiv, eher weltfremd und nicht zeitgemäß. Substanzgebrauch ist kein Scheitern. In unserer Gesellschaft ist es jedoch leider noch lange nicht die Norm, akzeptierend mit Substanzgebrauch umzugehen.
Damit sich das ändern kann, muss Betroffenen mehr zugehört werden. Fehlende Augenhöhe durch die Abwertung von Drogengebrauch hilft meiner Erfahrung nach niemandem. Die Personen, die ähnliche Formen von Stigmatisierung erfahren, können füreinander sehr viel Verständnis aufbringen, was zu engen Beziehungen führen kann. Das schweißt zusammen, man sitzt im selben Boot. Ich bin nach all den Jahren und Erfahrungen enttäuscht von den Hilfen, die der Staat leistet – oder leisten kann –, denn es ist so viel Potenzial da. Es braucht jedoch ein enormes und aufrichtiges Umdenken, um dieses nutzen zu können und die Bedingungen für Menschen, die Drogen konsumieren, wirklich nachhaltig zu verbessern. Selbst bei Fachkräften in den Hilfen für drogengebrauchende Menschen braucht es mehr Offenheit gegenüber neuen und vor allem akzeptanzorientierten Konzepten.
Ich hoffe auf eine Zukunft, in der es Gerechtigkeit für drogengebrauchende Menschen gibt. Eine Zukunft, in der die Reaktion auf den Drogengebrauch einer Person nicht mit Abwertung einhergeht, sondern mit Wertschätzung der Lebensgeschichten und Erfahrungen dieser Personen. Ich wünsche mir, dass flächendeckende Angebote wie Drogenkonsumräume und Drug-Checking die Norm sein werden für die Zeiten, in denen noch keine Entkriminalisierung oder gar Regulierung von Drogen durch die Bundesregierung umgesetzt sind. Hier wünsche ich mir eine angemessene und verhältnismäßige Verantwortungsübernahme. Diese Maßnahmen retten Leben und sind eine Möglichkeit, innerhalb des Drogenverbotes Hilfe für Betroffene zu leisten.
Der Tod sollte selbstbestimmt und in Würde geschehen dürfen.
Jeder Verlust eines Menschen hinterlässt trauernde und bewegte Angehörige, Bekannte, Helfer*innen jeder Art. Menschen, die versucht haben, eine Hilfestellung zu sein. Substanzgebrauch ist kein Scheitern. In unserer Gesellschaft ist es jedoch leider noch lange nicht die Norm, akzeptierend mit Substanzgebrauch umzugehen. Ich hoffe auf baldige Veränderung der Bedingungen für alle Betroffenen und Beteiligten, egal, welche Drogen sie aus welchen Gründen konsumieren. Sterben sollte ein intimer Prozess sein. Der Tod und der dadurch entstehende Verlust eines Menschen sind in der Regel einschneidende und überwältigende Phänomene. Der Tod sollte selbstbestimmt und in Würde geschehen dürfen statt fremdbestimmt, ohne Würde, Wärme und allein.
Ich wünsche mir, dass alle Leben und auch Lebensentwürfe gleichermaßen wertgeschätzt werden können. Menschen konsumieren Drogen und haben in all den Jahren des Verbotes nicht damit aufgehört. Das Drogenverbot tötet, statt zu helfen. Es verhindert nicht nur Hilfen für und Zugänge zu Drogengebraucher*innen, es schafft zusätzlich unbegreifbares Leid für viele Individuen. Stattdessen sollten die Erfahrungen von uns Betroffenen hinreichend wertgeschätzt und anerkannt werden. Die Verluste der geliebten Menschen lassen sich nicht rückgängig machen, die Zukunft lässt sich jedoch besser gestalten. Für uns alle.
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1 Kommentare
Peter 22. Juli 2022 21:26
Auch als Nichtbetroffener ist es für mich bedrückend, daß sich an der Situation insbesondere dem offenen Elend z.B. im Frankfurter Bahnhofsviertel in den letzten Jahrzehnten m.M.n. nichts Substantielles gebessert hat.
Warum lassen wir es zu, daß wir Menschen sterben lassen? Meist an den Begleitumständen ihrer Sucht als der eigentlichen Substanz? Und ich belasse es nicht nur bei den o.a. Fragen:
Wenn wir um die Untauglichkeit der Drogenverbote seit mindestens fünf Jahrzehnten wissen u.a. Milton Friedman 1972 (!) – ja warum handeln wir nicht danach?
Von den knapp 1.600 Drogentoten des Jahres 2020 dürften ca. 1.000 im Zusammenhang mit Opiatabhängigkeit, deren Langzeitschäden plus Mischkonsum stehen (aktuellere Zahlen liegen laut statista nicht vor).
Zumindest diese Toten und die Trauer ihrer Angehörigen & Freunde wären vermeidbar – was hindert uns daran, Heroin als Dreimonatsrezept und Dauermedikation unbürokratisch frühzeitig abzugeben und nicht erst an „schwerst kranke Heroinabhängige“?
Und wenn wir schon dabei sind:
Welchen Nutzen stiften Kontrollen im Rahmen der Substitution, die Beikonsum verhindern sollen? Und wie realistisch ist überhaupt das Ziel der Abstinenz? Vor allem, wenn die Begleitumstände der Sucht deutlich schädlicher als Heroin selbst sind?
Ist uns als Gesellschaft nicht mehr gedient, den Betroffenen mit der Abgabe von Heroin aus der Apotheke ein ganz normales Leben zu ermöglichen? Und falls geboten, warum nicht auch Crack?
Ich bin mir sicher, ein solcher Paradigmenwechsel würde schlagartig das Leben der Betroffenen verbessern bzw. ihnen erst ein ganz normales Leben ermöglichen – mit Heroin kann man/Frau sehr alt werden nicht jedoch mit den Umständen!
Und hier noch ein Interview mit dem Nobelpreisträger für Ökonomie Milton Friedman in der NZZ aus dem Jahr 1992 (!) zum Thema. Die Klarheit seiner Argumente vermisse ich in der heutigen Debatte und haben m.E. nichts an Aktualität eingebüßt:
https://www.nzz.ch/folio/drogenkonsum-ist-privatsache-ld.1615372