30 JAHRE HIV

Vom „Schwulenkrebs“ zur chronischen Krankheit

Von Holger Wicht
Die Geschichte der Katastrophe ist auch eine Erfolgsgeschichte. Doch nicht alle Menschen profitieren von den Erfolgen der Prävention und Behandlung – oft fehlt es an politischem Willen

HIV mit roter Schleife
(Foto: istockphoto)

Am 5. Juni 1981 berichtet das Mitteilungsblatt der US-amerikanischen Centers for Disease Control (CDC) über fünf junge homosexuelle Männer mit einer seltenen Form von Lungenentzündung, einhergehend mit einer Pilzinfektion. Diese Meldung vor 30 Jahren gilt als erste wissenschaftliche Erwähnung von HIV und Aids.

Einen Monat später, am 3. Juli 1981, meldet die New York Times: „Seltener Krebs bei 41 Homosexuellen festgestellt“. Die Männer leiden an der seltenen Hautkrebsart Kaposi-Sarkom. Durch diese Nachricht erfährt erstmals die breitere Öffentlichkeit von der rätselhaften neuen Krankheit. Die erhält kurz darauf den Namen GRID – Gay Related Immune Deficiendy (in etwa: „bei Schwulen vorkommende Abwehrschwäche). In Deutschland ist teilweise vom „Schwulenkrebs“ die Rede.

Erst später erhält die Krankheit den Namen „Acquired Immune Deficiency Sndrome“, kurz AIDS. Denn schon bald ist klar, dass nicht nur Homosexuelle betroffen sind. Die Angst vor der Epidemie wächst. Alle Anstrengungen richten sich darauf, die Ursache zu identifizieren.

Medizin steht dem Virus lange Zeit machtlos gegenüber

Schon im Jahr 1983 identifiziert der französische Forscher Luc Montagnier das Virus, das später HIV genannt werden wird, schon bald ist ein Test verfügbar, mit dem sich die Infektion nachweisen lässt. Doch die Medizin steht dem Virus, das bei den meisten Menschen nach wenigen Jahren zu schweren Erkrankungen und dem Tod führt, machtlos gegenüber.

Das ändert sich 1996: Auf der XI. internationalen AIDS-Konferenz in Vancouver wird eine neue Art von Medikamenten vorgestellt, die so genannten Protease-Hemmer. Gemeinsam mit bereits vorhandenen Substanzen ermöglichen sie eine sehr wirkungsvolle Behandlung. Die Medikamente können HIV zwar nicht aus dem Körper entfernen, blockieren aber die Virusvermehrung. Nach diesem Prinzip wird HIV bis heute behandelt. Im Jahr 2011 stehen mehr als 20 Substanzen zur Verfügung, die verschieden kombiniert werden können.

Es dauert allerdings erschütternd lange, bis die Therapien auch in größerem Umfang Menschen in ärmeren Ländern zur Verfügung stehen. Im südlichen Afrika und in Südostasien wütet die Epidemie Ende in den 90ern zunächst fast ungehindert weiter.

Internationale Anstrengungen gegen HIV reichen noch lange nicht aus

Erst in den letzten Jahren ist es der Weltgemeinschaft gelungen, HIV durch Prävention und Behandlung zumindest zu bremsen. Die Neuinfektionszahlen sinken, die Zahl der Menschen mit Zugang zu antiretroviralen Therapien steigt.

Und doch reichen die internationalen Anstrengungen noch lange nicht aus. Knapp zwei Drittel der Menschen, die 2009 eine Therapie brauchten, erhielten die lebensnotwendigen Medikamente nicht. Das UN-Millenniumsziel, bis 2010 allen Menschen einen uneingeschränkten Zugang zu Prävention und Therapie zu ermöglichen, blieb eine Utopie.

Noch immer fehlt es an Geld, noch immer gibt es in vielen Ländern aufgrund ideologischer Barrieren keine Prävention für Männer, die Sex mit Männern haben, und für Drogenkonsumenten. Die fortgesetzte Tabuisierung führt unter anderem dazu, dass HIV sich zurzeit in Osteuropa und Zentralasien rasant ausbreitet.

Mit anderen Worten: Die Welt weiß heute, wie Prävention und Behandlung funktionieren – doch es fehlt vielerorts noch der Wille, alle Menschen daran teilhaben zu lassen.

Auch Deutschland kann sich davon nicht freisprechen. So führt zum Beispiel in Bayern eine restriktive Drogenpolitik nicht nur zu zahlreichen vermeidbaren Todesfällen durch Überdosis, sondern trägt auch zu HIV-Infektionen bei. Und das, obwohl die Zahlen bundesweit aufgrund guter Prävention rückläufig sind.

Wir haben viel gelernt – wenden wir’s an!

Und trotzdem: Die Geschichte von HIV/Aids ist nicht nur die Geschichte einer Katastrophe, sondern auch eine Erfolgsgeschichte. Selten schritt die medizinische Forschung so schnell voran. Die Krankheit, die vor allem ohnehin stigmatisierte Gruppen wie Schwule und Drogenkonsumenten betraf, trieb letztlich deren Emanzipation voran und brachte innovative Präventionsmodelle hervor, bei denen die besonders betroffenen Gruppen einbezogen wurden.

Die Selbsthilfebewegung kritisierte wirkungsvoll die Tabuisierung der Krankheit und forderte selbstbewusst Aufklärung und Gegenmaßnahmen ohne Ausgrenzung der Betroffenen.

Im deutschen Gesundheitswesen sorgte die neue Herausforderung für Innovationen wie das „Schöneberger Modell“, das ambulante und stationäre Versorgungsangebote gut miteinander verzahnt. Und wohl nie zuvor zeigten sich Patienten so selbstbewusst und aufgeklärt wie angesichts der HIV-Epidemie.

Nach 30 Jahren muss das Fazit darum lauten: Wir haben viel gelernt – wenden wir’s an!

(Holger Wicht)

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