„Aktiv zu werden und sein Recht einzufordern, stärkt ungemein“
Menschen mit HIV erleben in erheblichem Maß Diskriminierung. Das hat die DAH-Befragung positive Stimmen ebenso belegt wie die Studie 50plushiv der Goethe-Universität Frankfurt und der Freien Universität Berlin. Am häufigsten wurde dabei von verweigerter medizinischer Hilfe oder unfairer Behandlung im Gesundheitswesen berichtet.
Zu vergleichbaren Befunden kommt Kerstin Mörsch von der Kontaktstelle HIV-bezogene Diskriminierung der Deutschen AIDS-Hilfe, wo in den letzten zwei Jahren über 100 Menschen Rat und Unterstützung gesucht haben. „Mit Sonderbehandlung und Vorurteilen müssen HIV-Positive auch bei Arztbesuchen und Klinikaufenthalten rechnen“, sagt Mörsch. „Aber wie wir immer wieder feststellen, lohnt es sich auch, dagegen vorzugehen.“
„Es lohnt sich, gegen Diskriminierung vorzugehen“
Wie im Fall von Marion B.*, die ein Kind erwartete und in der Universitätsklinik ihrer Heimatstadt auf natürlichem Weg entbinden wollte. Man bot ihr dort aber nur einen Kaiserschnitt an – unter Bedingungen, die nicht der aktuellen Deutsch-Österreichischen Leitlinie zur HIV-Therapie in der Schwangerschaft und bei HIV-exponierten Neugeborenen entsprachen. Marion musste daher eine andere Klinik wählen, die eine vaginale Geburt ermöglichte – für die werdende Mutter war das alles mit viel Stress verbunden.
„Eine HIV-Schwerpunktärztin und ich haben die Uniklinik dann um eine Stellungnahme gebeten“, erläutert Kerstin Mörsch. „Man wolle künftig die für eine natürliche Geburt erforderlichen Bedingungen schaffen, wurde uns daraufhin versichert.“
Auch Christian K. konnte geholfen werden. Der junge Mann wollte in einer Klinik an einer Studie teilnehmen, in der auch Akupunktur angewandt werden sollte. Diese Behandlung, so die Klinik, könne er nicht bekommen. Weil sie ohne Schutzhandschuhe erfolge, bestehe Infektionsgefahr, der sich die Akupunkteure nicht aussetzten wollten. Eine schriftliche Beschwerde Christians und der Kontaktstelle sowie ein persönliches Gespräch haben schließlich bewirkt, dass sich die Klinik bei Christian entschuldigte und ihm die gewünschte Akupunktur ermöglichte.
Diskriminierung im Gesundheitswesen hat unterschiedliche Gesichter. Meistens speist sie sich aus Unwissenheit und unbegründeten Infektionsängsten. So auch im Fall von Miriam R., die bei einem Klinikaufenthalt bemerkte, dass man ihre Patientenakte außen mit „HIV“ gekennzeichnet hatte. Als sie den Grund dafür wissen wollte, habe man ihr erklärt, das geschehe zum Schutz des Personals, erzählt Kerstin Mörsch.
Verletzung des Patientenrechts „zum Schutz des Personals“
Die Klinik habe datenschutzrechtliche Einwände nicht gelten lassen und darauf verwiesen, dass alle dort Tätigen zur Verschwiegenheit verpflichtet seien. „Wir haben uns dann bei der Klinikleitung, der Ärztekammer und dem Datenschutzbeauftragten beschwert. Das zusammen mit einem Schreiben der örtlichen Aidshilfe führte dazu, dass die Klinik sich bei Miriam entschuldigte und versicherte, fortan von dieser Maßnahme Abstand zu nehmen.“
Um Probleme zu vermeiden, geben manche HIV-Positive vor einer Behandlung ihre Infektion erst gar nicht an. Wie David L. bei einem Klinikaufenthalt. Dass er HIV-positiv ist, hat die Klinik trotzdem erfahren: von einem Arztkollegen und damit durch den Bruch der ärztlichen Schweigepflicht.
„Die Klinik hat David L. daraufhin unter Druck gesetzt: Er habe das Personal gefährdet, dessen Vertrauen missbraucht und sich strafbar gemacht, weil er seine Infektion verschwiegen habe. Doch eine solche Informationspflicht gibt es gar nicht“, erklärt Kerstin Mörsch. „So etwas wird zu Recht als Verdrehung der Tatsachen und als Willkür erlebt. Wir haben jetzt den Klinikleiter um eine Stellungnahme gebeten, eine Antwort steht noch aus.“
„Bedauerlicherweise sehen die Ärztekammern oft keinen Handlungsbedarf“
Auch Victor O. wartet noch auf den Ausgang seines Falles. Eine Rehaklinik hat ihn unter Verweis auf das raue Klima in der Region und die besonders anstrengenden Rehamaßnahmen als Patient abgelehnt. „Über unsere Beschwerde beim Kostenträger ist noch nicht entschieden“, sagt Mörsch. „Auch die Klinik hat sich noch nicht geäußert.“
Zuständig für Beschwerden in solchen Fällen sind eigentlich die Ärztekammern, doch die sehen oft keinen Handlungsbedarf. Offensichtlich ist man sich dort nicht bewusst, was diskriminierendes Verhalten von Ärzten bei den Patienten anrichten kann.
In der zahnärztlichen Versorgung scheint die Unwissenheit in punkto HIV und damit auch das Diskriminierungspotenzial besonders groß zu sein. Das zumindest legen die vielen Fälle nahe, die gerade aus diesem Bereich gemeldet werden. Arslan G. zum Beispiel wollte man in der Zahnarztpraxis nur den letzten Tagestermin geben. Man begründete das mit Hygienevorschriften, die Arslan dann sehen wollte. Was ihm daraufhin per Post zugeschickt wurde, bezog sich aber gar nicht auf HIV.
Zahnarzttermine nur am Ende der Sprechzeit
Die Kontaktstelle hat der Praxis daraufhin das Infoblatt zur zahnärztlichen Behandlung von HIV-positiven Patienten der Deutschen AIDS-Hilfe und der Bundeszahnärztekammer sowie die Empfehlungen des Robert Koch-Instituts zur Hygiene bei blutübertragbaren Erregern zukommen lassen. „Das Praxispersonal hat Arslan dann einen anderen Behandlungstermin angeboten – jedoch ohne sich zu entschuldigen“, so Mörsch. „Er lehnte ab: eine Behandlung bei diesem Zahnarzt kam für ihn nicht mehr infrage.“
Zur „Sonderbehandlung“ beim Zahnarzt kann Kerstin Mörsch auch regionale Daten nennen. Sie stammen aus einer Telefonrecherche der Beratungsstelle für sexuelle Gesundheit und Aufklärung in Wismar, die sich ein Bild von der Situation in Westmecklenburg verschaffen wollte. Ein Mitarbeiter hatte dazu 105 Zahnarztpraxen angerufen und unter dem Hinweis, dass er HIV-positiv sei, um einen Termin für die jährliche Kontrolluntersuchung gebeten.
Das Ergebnis der Recherche: Bei 42 % der Anrufe konnte problemlos ein Termin vereinbart werden. Bei 31 % war nur ein Termin am Ende der Sprechzeit zu haben, und bei 27 % wurde der Anrufer rundheraus abgewiesen, oft mit der Begründung, man sei in Sachen Hygiene und Desinfektion nicht auf HIV-positive Patienten eingestellt.
„Die Kassenzahnärztliche Vereinigung (KV) Mecklenburg-Vorpommerns hat die Kollegin in Wismar darauf hingewiesen, dass zur Behandlung von HIV-Positiven eine weitere ‚Stuhlassistenz‘ nötig sei, die von der Krankenkasse allerdings nicht bezahlt wird“, führt Kerstin Mörsch aus. „Wir haben daraufhin die Bundeszahnärztekammer informiert, die Kontakt mit der KV Mecklenburg-Vorpommerns aufnehmen will, weil so etwas überhaupt nicht erforderlich ist.“
Viel Überzeugungsarbeit und ein langer Atem sind notwendig
Viel Überzeugungsarbeit und ein langer Atem sind notwendig, um Veränderungen zu bewirken. Das mühselige Geschäft ist auch nicht immer von sichtbaren Erfolgen gekrönt. Doch Kerstin Mörsch ist zuversichtlich: „Ich glaube, dass Beschwerden bei Ärztekammern und Briefe an Kliniken und Kostenträger diese dazu bringen, sich mit der Versorgungslage vor Ort auseinanderzusetzten und ein Umdenken anzustoßen. Außerdem stärkt es die Betroffenen ganz ungemein, wenn sie aktiv werden und ihr Recht einfordern.“
Kerstin Mörsch versäumt es nicht, hier auf die gute Zusammenarbeit mit HIV-Schwerpunktärzten zu verweisen. „Ausdruck dafür ist zum Beispiel der gemeinsame Appell der Deutschen AIDS-Gesellschaft (DAIG), der Deutschen Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter (dagnä) und der Deutschen AIDS-Hilfe gegen Diskriminierung und Stigmatisierung im Gesundheitswesen auf dem Deutsch-Österreichischen Aids-Kongress 2015. Oder auch die gemeinsame Stellungnahme von dagnä und DAIG zur zahnmedizinischen Betreuung HIV-Positiver auf deren Webseiten.“
Was bisher erreicht wurde auf dem Weg zu einem fairen Umgang mit HIV-positiven Patienten und welche weiteren Schritte notwendig sind, ist Thema des Fachtags „Wir machen uns stark… für eine diskriminierungsfreie Versorgung von Menschen mit HIV im Gesundheitswesen!“ der Deutschen AIDS-Hilfe am 4. Dezember in Berlin. Dazu sollen zunächst die in der Kontaktstelle dokumentierten Fälle ausgewertet sowie Selbsthilfe-Initiativen und Aktivitäten der Kooperationspartner als Beispiele guter Praxis vorgestellt werden. Anschließend soll diskutiert werden, wie sich Hygienerichtlinien besser kommunizieren lassen, wie man den Wissensstand von Ärzten und Pflegekräften nachhaltig verbessen kann und welche Modelle einer diskriminierungsfreien Versorgung – Stichwort „Praxis der Vielfalt“ – Aussicht auf Erfolg hätten.
* alle Namen von der Redaktion geändert
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1 Kommentare
LOL 4. Dezember 2015 13:11
„wo in den letzten zwei Jahren über 100 Menschen Rat und Unterstützung gesucht haben“
da kann von diskriminierung bei der anzahl an hiv-positiven in deutschland kaum eine rede sein. in was fuer einem wolkenkuckucksheim lebt die dah eigentlich?
die genannten umfragen waren alle nicht repräsentativ, also für den lokus und belegen gar nichts.