Ein ganz besonderer Schlag von Ärzten
Sie waren schon früh dabei, in ihrem praktischen Jahr oder als Assistenzärzte. Sie kennen noch die Zeit, als Erkrankte immer wieder über Wochen auf den Stationen lebten und sie – die behandelnden Ärzte der ersten Aids-Patienten in Deutschland – Teil eines Mikrokosmos’ wurden, in dem Drogen Gebrauchende, schwule Männer und einzelne Heterosexuelle sich mischten. Dabei färbte durchaus ein Teil des Stigmas ihrer Patienten auf sie ab, was sie zum Beispiel zu spüren bekamen, wenn sie auf Wohnungssuche erzählten, wo sie arbeiteten.
Als Frau Prof. Dr. Eilke Helm die ersten Aids-Fälle 1982 in Frankfurt diagnostizierte, hatte sie schon eine größere infektiologische Herausforderung hinter sich: die Behandlung von Patienten, die am Marburgfieber erkrankt waren. Viele Wochen hatte sie mit ihnen und den Kolleginnen und Kollegen aus der Pflege auf der Isolierstation verbracht.
Schon mit dem ersten Aids-Patienten begann die Frankfurter Kohortenstudie
Ihr Abteilungsleiter war damals Prof. Wolfgang Stille. Beide waren sie Ärzte, die die Klaviatur der Hightech-Medizin ebenso beherrschten wie die Untersuchung von Patienten allein mit den Sinnen: Schauen, Hören, Tasten, Riechen. Als Frau Prof. Helm auch die Besucher der Erkrankten fragte, ob sie sie untersuchen dürfe, war schon mit dem ersten diagnostizierten Aids-Patienten die Frankfurter Kohortenstudie geboren.
Es war eine aufwühlende Zeit. Es wurde gestorben, und es wurde gefeiert: mit Patienten, Pflegern, Ärzten und Besuchern, im kleinen Kreis beim doch noch erlebten Geburtstag und in rauschenden Gartenfesten. Unterstützung gab es von den Aidshilfen und der Klinikseelsorge, und auch das mehrmals in der Woche organisierte Café und das gemeinsame Kochen auf den Stationen waren willkommene Hilfsangebote.
Die ersten Jahre in Frankfurt, in denen das Team der HIV-Ambulanz freie Räume gegen den Willen der Verwaltung besetzt hatte und Frau Prof. Helm für saubere Blutprodukte stritt, beschreibt diese eindringlich im Geschichtssonderheft der Zeitschrift „HIV& more“. Dort kann man auch nachlesen, dass sie die Honorare für Vorträge und die Behandlung von Privatpatienten in die Finanzierung eines weiteren Arztes und einer Pflegekraft gesteckt hatte.
Ihr ehemaliger Schüler Prof. Schlomo Staszewski, auf Kongressen bekannt als derjenige, der für das HI-Virus die „Hit hard and early“-Strategie forderte, setzte sich als junger Assistenzarzt dagegen ein, Patienten im Hinblick auf das verbreitete Wasting-Syndrom vor einem Raster nackt abzulichten, um die Gewichtsabnahme zu dokumentieren.
Patienten als Partner
Sein Kollege Reinhardt Brodt legte sich für mich mit einem arroganten Hochschullehrer an, der uns Patienten am liebsten von hinten und schon gar nicht in seiner Klinik sehen wollte. Und bei der entscheidenden Verhandlung stritt er an unserer Seite für die Finanzierung der Marburger Aidshilfe und gegen die Universitätsklinik Marburg, die eine Aidshilfe dort für überflüssig hielt. Patienten wurden von diesen Ärztinnen und Ärzten als Partner gesehen.
Neben diesen ganzen Aktivitäten entstand ein bundesweites Netzwerk von Medizinern, zunächst aus dem universitären Bereich, das im ständigen Austausch daran arbeitete, die Grundlagen zu entschlüsseln und die Krankheit in den Griff zu bekommen.
Die erste Methadonambulanz des Frankfurter Gesundheitsamts wurde mit einem Arzt aus der Infektiologie besetzt. Ärzte, die jenseits des Modellversuchs substituierten, liefen damals Gefahr, die Approbation zu verlieren und vor dem Strafrichter zu landen. Und es war ein langer Kampf, bis das strafrechtliche Schweigerecht auch den akzeptierenden Beratern in der Drogenhilfe zugestanden wurde.
In München etablierte sich Dr. Hans Jäger mit seinen Münchner AIDS-Tagen (heute die Münchner AIDS- und Hepatitis-Tage), einer Konferenz, die ganz selbstverständlich das Wissen aus den Sozialwissenschaften, der Pflege und den Communities einbezieht. Mit ihm war es 1993 möglich, in der Eröffnungsveranstaltung der Münchner AIDS-Tage eine Resolution zu Methadon als Option in der Standardtherapie sowie für die Abschaffung des Paragrafen 175 zu verabschieden. Dr. Heribert Knechten gab in Aachen ein Refugium für Vereinzelte aus ganz NRW. In Berlin stritt Dr. Jörg Gölz für den Aufbau der Substitutionsbehandlung für Opiatabhängige.
Das Siechtum und Sterben der Patienten lag genauso auf den Seelen der sie Behandelnden
Das war schon ein besonderer Schlag von Ärztinnen und Ärzten, die sich am 24.11.1990 als „Deutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter e.V.“, kurz „dagnä“, in Hamburg zusammengefunden hatte und die Gründung auch gleich mit einem Workshop beging.
Das Siechtum und Sterben, das die Drogen Gebrauchenden und die schwulen Männer in besonderem Maße zu tragen hatten, lag genauso auf den Seelen der sie Behandelnden. Frau Helm widmet ihren oben erwähnten Artikel zu den Anfängen von Aids in Deutschland allen verstorbenen HIV-Patienten. Damit unterstreicht sie noch einmal, dass für sie jeder gleich und die Unterscheidung zwischen Aids und HIV inzwischen obsolet ist.
Es ist nur folgerichtig, dass sich die Infektiologen von heute auch in der ehrenamtlichen Betreuung von Flüchtlingen und in der Behandlung Nichtversicherter engagieren. Frau Helm hat jetzt mit 79 Jahren ihre ärztliche Tätigkeit eingestellt, und auch die darauffolgende Generation geht so langsam in Rente. Prof. Brodt tut das guten Gewissens, weil man, so sagt er, alles erreicht habe, was man als Hochschullehrer erreichen könne, wenn die Schüler besser sind als man selbst.
Neben aller fachlicher Kompetenz zeichnet die Mitglieder der dagnä aus, dass sie auf der Seite ihrer Patienten stehen, kämpfen gelernt haben und bestens im Hilfesystem, mit den Aidshilfen oder den Beratungsstellen von Caritas und Diakonie, vernetzt sind. Sie arbeiten mit an der Aufklärung der Patienten, der Fortbildung der Pflegekräfte und Kollegen und am Aufbau von Hilfestrukturen. Die dagnä beteiligt sich an der Forschung und fördert Projekte, zum Beispiel als Mitinitiatorin des HIV-Community-Preises. Es gibt viele Gründe, warum es uns gut ansteht, der dagnä und ihren Mitgliedern zu danken.
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2 Kommentare
Bernd Aretz 24. November 2015 10:26
Noch eine kleine Anmerkung zum Artikel. Prof. Stille beschäftigte sich in seiner Dissertation mit dem gehäuften Auftreten von Kindbettfieber nach Fruchtabtreibung in Offenbach. Er glich dazu die Adressen der Patientinnen mit dem Stadtplan ab und kam so einer Engelmacherin auf die Schliche, die im Offenbacher Biergrund ihrem unsterilen Handwerk nachging. Krankheiten sind nun einmal nicht vom Umfeld isoliert zu betrachten. Dieser Sichtweise der Infektiologen ist er treu geblieben.
Lörri 30. November 2015 21:43
Super Artikel und eine gerechtfertigte Dankes-aufforderung. Vielen Dank an dägna und die Ärzte, die so viel leisten. Natürlich auch allen ein Dank, die die Ärzte bei ihren Tätigkeiten unterstützten.