Glamour, Kitsch und ein geheimes Leben
Drei Jahrzehnte lang war Liberace der exzentrischste Entertainer, den die USA bis dahin gesehen hatten. Sein Schwulsein verleugnete er bis zuletzt ebenso wie seine Aids-Erkrankung. Steven Soderbergh hat aus diesem Stoff nun einen seiner besten Filme gemacht. Von Axel Schock
Ob die Millionen Fans und Besucher seiner extravaganten Fernseh- und Las-Vegas-Shows wirklich so blind und ahnungslos waren? Konnte einfach nicht sein, was nicht sein durfte? Oder wie sonst lässt sich erklären, dass überhaupt jemand diesen klavierspielenden Paradiesvogel für heterosexuell halten konnte? Einen Mann, der so ziemlich alle schwulen Klischees in Potenz verkörpert und einen Harald Glööckler im Vergleich geradezu spießbürgerlich erscheinen lässt?
Schwule Klischees in Potenz
Die Shows des Wladziu Valentino Liberace begannen gewöhnlich damit, dass er sich in einem seiner zahlreichen Rolls-Royces direkt auf die Bühne fahren ließ, um dann erst einmal in seinem weißen, mit Bernstein verzierten und viele Meter langen Hermelinmantel eine Ehrenrunde auf dem Parkett zu drehen. Ebenso unverzichtbar: der goldene Kandelaber mit brennenden Kerzen auf dem Flügel und das Dutzend protziger Brillantringe an seinen Händen.
„Schauen Sie sich die nur gut an“, pflegte Liberace sein Publikum zu animieren und streckte ihnen dabei die geknickten Handgelenke entgegen, „Sie haben sie schließlich bezahlt.“ Liberace war in den 1950er bis 1980er Jahren ein Megastar. Zeitweilig verdiente er mehr als Elvis Presley und die Beatles.
Sein millionenschweres Vermögen investierte er nicht nur in geschmacklosen Luxus, sondern auch in Extravaganzen wie Penisimplantaten, Schönheits-OPs und eine Sammlung von 39 eigens angefertigten Konzertflügeln.
Glamour, Glitter und Exzess
Das private schwule Leben hinter dieser Fassade aus Glamour, Glitter und Exzess wurde erst nach seinem Tod 1983 der breiten Öffentlichkeit bekannt. Er starb offiziell an den Folgen einer schiefgelaufenen Wassermelonendiät. Lange ließ sich diese Lüge freilich nicht aufrechterhalten. Liberace war an den Folgen von Aids verstorben, wie eine von den Behörden erzwungene Obduktion schließlich ergab.
Wie verfilmt man eine solches Leben? Wie porträtiert man einen Mann, dessen ganze Erscheinung bereits so schrill und camp ist, dass eine satirische Steigerung kaum mehr vorstellbar ist?
Steven Soderbergh („Ocean’s Eleven“, „Magic Mike“) lässt „Liberace – Zu viel des Guten ist wundervoll“ als schwarze Komödie beginnen und führt so seine Zuschauer in das absurde Reich des „Mr. Showmanship“ein. Da tummeln sich nicht nur zickige Lover und umtriebige Manager, sondern auch ein geradezu grotesk von Liftings entstellter Schönheitschirurg (Rob Lowe).
In diesen Käfig voller Narren platzt ein 17-jähriger Junge vom Lande – und wird zu Liberaces Liebhaber. Der tierliebe Scott Thorson (Matt Damon), aufgewachsen in einer Pflegefamilie, findet in dem über drei Jahrzehnte älteren Liberace (Michael Douglas) einen Ersatzvater, umsorgenden Liebhaber und dominanten Sexpartner.
Eine fast alltägliche Liebesbeziehung
An diesem Punkt der Filmbiografie hat Soderbergh bereits den Ton gewechselt und erzählt nun von einer innigen, fast alltäglichen Beziehung – inklusive aller häuslichen Freuden der Zweisamkeit, Eifersucht und Diskussionen über eine sexuelle Öffnung der Partnerschaft.
Es wäre ein Leichtes, aus Liberace eine peinliche, lächerliche Tunte und abgrundtief tragische Gestalt zu machen und aus Scott einen naiven, schamlos ausgenutzten Toyboy, dessen Loyalität er sich mit einem Leben im goldenen Käfig erkauft. Soderbergh und sein Drehbuchautor Richard LaGravenese aber tun nichts dergleichen. Stattdessen lassen sie uns diese Orgie aus Schampus, goldenen Wasserhähnen und Pelzroben beinahe vergessen und fokussieren sich auf eine letztlich ganz menschliche und auch traurige Liebesgeschichte. Nach sechs Jahren inniger Lebens- und Arbeitsbeziehung samt Drogen- und anderen Problemen hat sich Liberace einen neuen, jüngeren Liebhaber ins Maxi-Kingsize-Bett geholt. Scott Thorson wird aus Liberaces Reich hinauskomplimentiert.
Wie so manche Ehe endet auch diese Liebe mit einem schmutzigen Rosenkrieg, aus der Thorson seelisch verletzt und mit einer durch seine Anwälte erkämpften Abfindung in die Normalität zurückgeworfen wird.
Tristesse und Einsamkeit im Leben eines Entertainers
Soderberghs Film wird so nicht nur zu einer scharfsinnig beobachtenden Studie über eine außergewöhnliche und zuletzt gescheiterte Beziehung, sondern bringt auch all die Tristesse und Einsamkeit im Leben des Entertainers zum Vorschein. Michael Douglas hat sich dafür dem realen Vorbild soweit anverwandelt, dass die manierierten Showman-Posen, das durch unzählige Liftings festgefrorene Lächeln wie auch seine weichen Bewegungen allesamt natürlich und selbstverständlich erscheinen.
Seine Darstellung bleibt wie auch Soderberghs Regie so zurückhaltend wie nötig, um diese Figur mit der ihr eigenen Menschlichkeit und Tragik auszustatten. Matt Damon wiederum durchlebt glaubwürdig die Verwandlung vom netten Jungen von nebenan zum selbstbewussten Mann, der in Windeseile den Lebensstil seines Geliebten anzunehmen versteht.
So üppig und übertrieben dieser Liberace-Kosmos auch sein mag, Soderbergh kostet das Schrille und Exzentrische nur so weit aus wie notwendig, um sich schließlich wieder kammerspielartig auf Scott und Liberace zu konzentrieren. So wird auch die letzte Begegnung der beiden zu einem dramaturgischen wie auch schauspielerischen Höhepunkt.
Ein doppeltes Versteckspiel: schwul und an Aids erkrankt
Liberace ist bereits schwer erkrankt, seine Sorge um Scotts Gesundheit scheint glaubwürdig. Seine Einsamkeit, ohne dass sie ausgesprochen würde, ist unübersehbar. Ein offen schwuler Liberace schien undenkbar, dass aber der Schwarm der amerikanischen Hausfrauen an Aids erkrankt sein könnte, war für die US-Gesellschaft unvorstellbar. Auch ein Rock Hudson litt unter diesem Versteckspiel, erst kurz vor seinem Tod wagte er sein doppeltes Coming-out. Liberace hingegen fehlte dieser Mut.
An Courage lässt es bis heute auch die amerikanische Kinoindustrie fehlen. Die großen Hollywoodstudios hatten Soderberghs Filmprojekt sämtlich abgelehnt. Realisiert wurde der Film schließlich vom US-Kabelsender HBO. In den USA war „Behind the Candelabra“, so der Originaltitel, deshalb nur im TV zu sehen. In Europa kommt das Meisterstück glücklicherweise auf die große Leinwand, wofür es schließlich auch gedacht war.
„Liberace – Zu viel des Guten ist wundervoll“ (Behind the Candelabra), USA 2013. Regie Steven Soderbergh. Mit Michael Douglas, Matt Damon, Rob Lowe, Debbie Reynolds, Cheyenne Jackson, Pat Asanti. 119 Minuten, Kinostart 3. Oktober.
Vorpremiere am 2. Oktober im Rahmen des Gay-Filmnacht-Special (teilnehmende Kinos unter www.gay-filmnacht.de)
Link zum Filmtrailer.
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