God’s Own Country: eine der berührendsten Liebesgeschichten des Filmjahres
Von dem Hügel aus, den Gheorghe erklommen hat, erstreckt sich die Landschaft nach allen Seiten schier endlos in die Ferne. So früh im Jahr sind die weiten Wiesen und Felder zwar noch schmutzig-braun, aber zusammen mit den dramatisch sich auftürmenden Wolken hinterlässt diese archaische, kaum von Menschenhand gezähmte Wildnis einen tiefen Eindruck.
God’s Own Country: ärmliche, karge Lebensumstände
„Es ist schön hier“, sagt Gheorghe zu Johnny, „aber auch einsam“. In diesem kleinen Satz hat die rumänische Aushilfe bereits das ganze Dilemma des Jungbauern Johnny zusammengefasst.
Tourist_innen und Romantiker_innen mag diese abgelegene Ecke in Yorkshire ganz im Norden Englands als Paradies erscheinen.
Für den Mittzwanziger Johnny aber, der hier auf einer heruntergekommenen Farm lebt, ist der Blick auf die Schönheit der Natur verstellt. Die Viehzucht wirft kaum noch etwas ab, die Lebensumstände sind ärmlich, die Abgeschiedenheit und Einsamkeit eine Herausforderung.
Sich im Pub des nächstgelegenen Dorfes die Kante zu geben, ist die einzige Abwechslung, die Johnny nach den anstrengenden Arbeitstagen bleibt. Auf dem Viehmarkt in der Stadt ergibt sich dann sogar auch mal ein Quickie im Viehtransporter.
Durch Unzufriedenheit zum Kotzbrocken geworden
Viel mehr aber ist nicht. Seit der Vater nach einem Schlaganfall als Arbeitskraft ausfällt, lastet die Verantwortung für den kleinen Hof ganz auf Johnny (gespielt von Josh O’Connor).
Wem das Leben so wenig Perspektiven bietet, der verliert nicht nur den Blick auf die Schönheit der Landschaft, in der er lebt, sondern auch jegliche Freude.
Als Gheorghe als Saisonarbeiter angeheuert wird, hat sich Johnny längst durch seine Unzufriedenheit zum Kotzbrocken entwickelt. Er begegnet dem Arbeitsmigranten mit größtmöglicher Unfreundlichkeit und unverhohlenen Ressentiments, nennt ihn provozierend „Zigeuner“ und beäugt ihn misstrauisch.
Fast wortlos knackt Gheorghe Johnnys Panzer
Doch Gheorghe (Alec Secareanu), der sich als kompetenter Schafbauer und Landwirt erweist, lässt sich viel, aber nicht alles gefallen. Vor allem aber gelingt es ihm, den Panzer, den sich Johnny zugelegt hat, zu knacken. Wie das geschieht, fast wortlos, mit kleinen, kaum wahrzunehmenden Gesten, das ist eine der großen Stärken dieses wunderbaren Films.
„God’s Own Country“, das autobiografisch gefärbte Langfilmdebüt des Briten Franics Lee, ist in sich so stimmig, so umwerfend und bis ins kleinste Detail perfekt, dass man als Zuschauer_in manchmal vor Glück weinen möchte.
Schmutziger, rigoroser, authentischer als „Brokeback Mountain“
Schwule Liebe unter Viehhirten, da drängt sich selbstverständlich ein Vergleich mit „Brokeback Mountain“ auf, und tatsächlich gibt es sogar motivisch ähnliche, zentrale Szenen (etwa der erste Sex während eines mehrtägigen Arbeitseinsatzes auf einer abgelegenen Weide).
Doch nicht nur, dass in „God’s Own Country“ die Homophobie in der umgebenden Gesellschaft und Dorfgemeinschaft nur subtil angedeutet wird – im Vergleich zu Ang Lees Oscar-prämiertem Film wirkt „God’s Own Country“ ungemein schmutziger, rigoroser und ja: authentischer.
Der Schlamm auf den Feldern, die Kuhscheiße im Stall, die Geburt von Lämmern, das Verenden von Tieren sind ein so selbstverständlicher und quasi dokumentarischer Teil von Francis Lees Drama wie die windgepeitschte Landschaft und das unwirtliche Wetter. Und die beiden umwerfenden Hauptdarsteller ziehen dem Kadaver so souverän das Fell ab, wie sie Wunden verarzten und Steinmauern reparieren. Als hätten sie ihr Leben lang nie etwas anderes getan.
Ein schwieriger Weg zu Leidenschaft, Nähe und Zärtlichkeit
Mit der gleichen Intensität und Authentizität entwickeln sie vor der Kamera aber auch sexuelle Leidenschaft und schließlich mehr und mehr auch Nähe und Zärtlichkeit.
Der Weg dahin ist nicht leicht, für keinen der beiden Männer.
Johnny hat dabei den schwierigsten Part zu durchstehen. Allerdings nicht, weil er sein Schwulsein verdrängen würde – anders als „Brokeback Mountain“ handelt dieser Film nicht von einem verhinderten oder gesellschaftlich unmöglichen Coming-out.
Nein, besonders schwierig ist es für Johnny, weil seine Vorstellung von Schwulsein, von schwuler Sexualität völlig verkümmert zu sein scheinen.
Über Gefühle reden und sie zulassen
Wer hier aufwächst, redet generell nicht viel, schon gar nicht über Gefühle.
Das gilt für die Säufer im Pub, für Johnnys mürrischen, mit der eigenen Gebrechlichkeit hadernden Vater wie für die schmallippige Großmutter (Gemma Jones), die ihnen den Haushalt macht.
Und so muss Johnny erst einmal lernen, Gefühle überhaupt zuzulassen, zu ihnen zu stehen und sie notfalls eben auch ohne Worte auszudrücken.
Wie sich allein dadurch das Gesicht eines Menschen verändert, das zeigt Josh O’Connor mit einer geradezu Oscar-würdigen Leistung.
„God’s Own Country“. GB 2017. Regie und Buch Francis Lee. Mit Josh O’Connor, Alec Secareanu, Ian Hart, Gemma Jones.
104 min. Kinostart: 26.10.
Trailer und Webseite zum Film: gods-own-country.de
Voraufführungen im Rahmen der „queerfilmnacht“ (alphabetisch nach Ort):
Aachen, 20.10. Apollo, 22:15 Uhr
Augsburg, 25.10, Liliom, 19 Uhr
Bochum, 18.10., Casablanca, 21 Uhr,
Dresden, 16.10., Kino im Dach, 20:15 Uhr
Frankfurt/Main, 18.10., Mal seh’n, 20 Uhr
Freiburg, 15.10., Kandelhof, 21 Uhr
Fürth, 24.10., Babylon am Stadtpark, 20:15 Uhr
Halle/Saale, 24.10., Zazie, 21 Uhr
Hanau, 27.10., Stadtbibliothek, 20 Uhr
Heidelberg, 18.10. Karlstorkino, 21:30 Uhr
Jena, 19.10., Kino am Markt, 20 Uhr
Karlsruhe, 25.10., Schauburg, 21 Uhr
Köln, 24.10., Filmpalette, 21 Uhr
Magdeburg, 20.10., Studiokino, 20 Uhr
Oberhausen, 15.10. Lichtburg, 20:30 Uhr
Pforzheim, 26.10., Kommunales Kino, 19 Uhr
Regensburg, 19.10., Wintergarten, 21 Uhr
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