POPMUSIK

„Ich wollte ein im besten Sinne positives Coming-out“

Von Axel Schock
Holly Johnson
Holly Johnson
30 Jahre nach dem Karrierestart mit seiner Popband „Frankie Goes To Hollywood“ meldet sich Holly Johnson mit einem Soloalbum zurück. Ein Gespräch über sein Leben mit HIV, sein positives Coming-out und deutsche Eigenschaften.

Ein sonniger Oktobertag in Berlin. Holly Johnson hat bereits einen nervenaufreibenden Vormittag hinter sich. Denn die Airline, mit der er am frühen Morgen von London angereist ist, konnte seinen Koffer nicht mehr finden – und in dem befanden sich nicht nur die Zahnbürste, sondern auch seine HIV-Medikamente.

„So etwas setzt einen ganz schön unter Stress“, erzählt Johnson. Freunde konnten ihm den Kontakt zur HIV-Ambulanz des Berliner Auguste-Viktoria-Klinikums vermitteln, wo man ihn mit den benötigten Tabletten versorgte. „Ich bin in den 80er-Jahren sehr viel mehr gereist als heute, aber so was ist mir noch nie passiert. Das war mir eine Lehre: Ab sofort nehme ich immer die doppelte Medikamentenration mit, die eine im Koffer und die andere in der Hosentasche!“, scherzt der 54-jährige Musiker. Der Mann ist nicht nur guter Laune: Dafür, dass er auf Promotionstour für sein neues Album „Europa“ ist, seiner ersten Soloveröffentlichung seit 1991, wirkt er auch ausgesprochen entspannt.

Holly, als du 1983 mit Frankie Goes To Hollywood weltweit bekannt wurdest, warst du so ziemlich der einzig offen schwule Sänger in der Musikszene und damit auch ein Vorbild für die Gay Community. Hast du nach deinem zweiten Coming-out als HIV-Positiver zehn Jahre später ähnlich viel Zustimmung bekommen?

Oh, überhaupt nicht. Ich habe ein paar schöne, sympathische Briefe bekommen, das schon. Aber mein Telefon war plötzlich auffällig still. Für viele Leute aus der Musikindustrie existierte ich einfach nicht mehr. Zu meiner großen Überraschung bekam ich aber einen Anruf von David Bowie – jedoch keinen von Elton John. (lacht)

„Nach dem Testergebnis hatte ich einen heftigen Nervenzusammenbruch“

Warum bist du damals mit deiner HIV-Infektion an die Öffentlichkeit gegangen? War das ein politischer Akt oder ein persönlicher Befreiungsschlag?

Ein bisschen von beidem. Ich hatte es 16 Monate für mich behalten. Diese Zeit brauchte ich für mich auch dringend, denn nach dem Testergebnis hatte ich einen heftigen Nervenzusammenbruch. Ich hatte mit diesem Befund zwar gerechnet, aber der Umgang damit fiel mir deshalb nicht leichter.

Du bist davon ausgegangen, dass der Test positiv ausfällt?

Damals waren schon so viele meiner Freunde erkrankt. Ich verlor innerhalb weniger Jahre meine komplette schwule Wahlfamilie, auch meinen engsten Freund Jed, der einen Tag vor mir geboren wurde und mit dem ich in Liverpool aufgewachsen bin. Er war wie ein Bruder für mich. Der Song „You Are In My Dream Tonight“ auf meinem neuen Album handelt von ihm. Er ist mir tatsächlich im Traum erschienen, hat seine Arme um mich gelegt und gesagt „Alles wird gut“. Ich will nicht soweit gehen und behaupten, dass das eine übersinnliche Erfahrung war, aber es hatte für mich damals etwas Tröstliches. Denn als ich meine Diagnose erhielt, war die Situation alles andere als leicht. Die Ärzte sagten: „Mach Urlaub, genieß deine Zeit, denn viel bleibt dir nicht. Vielleicht zwei Monate, mit etwas Glück zwei Jahre.“

„Ich verlor innerhalb weniger Jahre meine komplette schwule Wahlfamilie“

Wie siehst du es heute: Hättest du deine Diagnose besser für dich behalten sollen?

Es gab bereits Gerüchte. Die Klatschpresse klopfte an die Tür und wollte wissen, weshalb ich im Krankenhaus war. Ich wollte nicht, dass es herauskommt, sondern die Sache selbst in die Hand nehmen. Ich wollte nicht bloßgestellt werden, sondern ein im besten Sinne positives Coming-out draus machen. Trotzdem wurde es von der britischen Presse als Sensation aufgemacht. Aber auch in Deutschland war es so. Ich erinnere mich noch sehr genau an ein Fernsehinterview, das ich damals zu meiner HIV-Infektion gab. Die Aufnahmen waren heimtückisch: Die Kameraleute gaben sich größte Mühe, mich nur in Einstellungen zu filmen, bei denen ich möglichst krank und angegriffen aussah.

Kein Wunder, dass sich die Medien damals auf die Geschichte stürzten. Selbst heute noch sorgen Musiker mit einem positiven Coming-out für Schlagzeilen, wie zuletzt der Alcazar-Sänger Andreas Lundstedt oder John Grant.

Mit John bin ich seit einigen Jahren sogar befreundet. Ich mag seine Songs und seine wunderbare Stimme. Ich glaube, ich war einer der ersten, denen er von seiner HIV-Diagnose erzählt hat, und ich musste das noch eine Weile für mich behalten. Aber du hast natürlich recht: Ich war damals tatsächlich die einzige lebende Person in der Musikbranche, die offen HIV-positiv war. Aber es war, um ehrlich zu sein, sehr sehr einsam in dieser Position.

„Ich ahnte nicht, was da auf mich zukam“

Mit diesem Schritt hast du dir auf jeden Fall eine Ehrenmedaille der HIV-Community verdient!

Dafür hat es sich dann doch gelohnt! (lacht) Nur, warum musste es so schmerzhaft sein? Ich wusste, dass es nicht einfach werden würde, aber ich ahnte nicht, was da auf mich zukam. Dass Kinder, die dich auf der Straße erkennen, auf dich zeigen und dir „Aids-Monster, Aids-Monster“ hinterherrufen. Das war alles andere als leicht.

Wie hast du das ertragen?

Ich habe offenbar bestimmte Stärken, die mich das überstehen ließen. Und ich bin dankbar dafür, dass ich noch da bin und es mir wieder so gut geht. Ich denke, mich haben diese Erfahrungen zu einem teilnahmsvolleren Menschen gemacht. Denn wenn man mit Anfang 20 zum Popstar wird, kann einen dieser Ruhm und Rummel arrogant und abgehoben werden lassen. Ich musste in meinem Leben einige schwere Lektionen lernen, und die haben sicher dazu beigetragen, dass ich mich nicht in diese Richtung entwickelt habe.

„An den Erfolg der Kombinationstherapie hab ich zunächst nicht geglaubt“

Die Kombinationstherapie muss dir wie eine Chance auf ein zweites Leben vorgekommen sein.

Absolut! Wobei ich zunächst überhaupt nicht an den Erfolg geglaubt habe. Ich war von 1990 bis 1996 schwer krank. Ich hatte wegen meines Drogenkonsums eine schwere, sehr schmerzhaft Bauchspeicheldrüsenentzündung, und dazu eben auch HIV. Über all diese Jahre hatte ich alle möglichen Medikamente genommen und verschiedenste Therapien gemacht. Warum sollte nun ausgerechnet mit dieser neuen Therapie alles besser werden? Selbst zwei Jahre später, als mein Zustand tatsächlich enorme Fortschritte gemacht hatte, blieb ich skeptisch. Ich dachte, es wäre lediglich eine zeitweise Verbesserung. Erstaunlich, wie innerhalb so kurzer Zeit aus einer tödlichen Infektion eine Krankheit geworden ist, mit der man umgehen kann. Das war in den 90er-Jahren überhaupt nicht zu erwarten.

Welche Rolle spielte dein deutscher Lebensgefährte Wolfgang in diesen schweren Jahren?

Ohne ihn und seine Unterstützung hätte ich das sicherlich nicht durchgestanden. Er pflegte mich und kümmerte sich um mich die ganzen Jahre hinweg wie eine Krankenschwester. Wegen der Entzündung der Bauchspeicheldrüse hatte man mir angeraten, das Leitungswasser für mich extra abzukochen. Das Essen musste püriert und verflüssigt werden, damit ich es zu mir nehmen konnte. Der Charakter unserer Beziehung hatte sich dadurch völlig verändert. Er hätte mich auch verlassen können, aber zum Glück ist er bei mir geblieben. Und dafür bin ich ihm sehr dankbar.

„Er hätte mich auch verlassen können, aber zum Glück ist er bei mir geblieben“

Aber ihr habt noch nicht geheiratet.

Eigenartigerweise noch nicht. Ich verstehe auch nicht, warum er mich nicht heiraten will. (lacht)

Das heißt, du würdest gerne?

Ich würde das wollen, um uns oder ihn juristisch abzusichern. Wenn mir einmal etwas passieren sollte, müsste er unser Haus verkaufen, um die hohe Erbschaftssteuer bezahlen zu können. Andererseits muss man sich als schwuler Mann natürlich auch fragen, ob man Heteros wirklich in allem kopieren will und deshalb auch heiraten muss.

Aber Wolfgang hält noch etwas anderes davon ab: Er befürchtet, dass sich unsere Beziehung durch eine Heirat noch einmal grundlegend ändern könnte. Er möchte eine Scheidung vermeiden, die dann ja auch denkbar wäre. Und außerdem: So wie es ist, funktioniert es mit uns nun seit über 30 Jahren. Wir haben natürlich unsere Auseinandersetzungen, Streitigkeiten und unterschiedliche Ansichten, aber irgendetwas muss es geben, das uns zusammenhält. Wir lieben uns eben, das wird es sein.

„Er macht absolut perfekten Kartoffelsalat und Käsekuchen“

Ist er ein typischer Deutscher?

Wie könnte es anders sein, bei jemanden mit einem so teutonischen Namen wie Wolfgang! (lacht) Er hat sehr genaue Vorstellungen davon, wie der Boden gewischt werden muss. Ich denke, das ist schon mal ein verdächtig deutscher Zug an ihm. Und er macht absolut perfekten Kartoffelsalat und Käsekuchen. Er möchte aber nicht in Deutschland leben, sondern liebt es, in London zu sein. Ich hatte immer wieder mal mit dem Gedanken gespielt, uns vielleicht eine Wohnung auch in Berlin zu nehmen, aber das kommt für ihn überhaupt nicht in Frage: So viele Deutsche auf einem Haufen, das erträgt er nicht.

Holly Johnsons Album „Europa“ (Pleasuredome/Rough Trade) ist seit 24. Oktober im Handel. Im Dezember kommt er im Rahmen seiner „The Dancing With No Fear“-Tour für vier Konzerte auch nach Deutschland:

08.12. Stuttgart, LKA Longhorn

09.12. München, Tonhalle

11.12. Berlin, Kulturhaus Astra

13.12. Köln, Live Music Hall

 www.hollyjohnson.com

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