MENSCHENRECHTE

„Ich wollte nicht zulassen, dass man so mit mir umgeht“

Von Gastbeitrag
Weil Michael W.* während seiner sechsjährigen Haft in Bayern trotz Indikation nicht substituiert wurde, klagte er und ging durch alle Rechtsinstanzen. Nun liegt seine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Wir haben mit Michael W. gesprochen.

Michael*, im Dezember 2014 bist du nach sechs Jahren Haft entlassen worden. Wie ist es dir in der bayrischen Haftanstalt ergangen?

Schlecht. Ich wurde vor der Inhaftierung 18 Jahre lang substituiert. Bei Haftantritt wurde ich sofort auf null gesetzt, obwohl ich schon so lange in Behandlung war und obwohl ich HIV- und HCV-positiv bin. Bis dahin wusste ich nicht, was es heißt, von Methadon zu entziehen. Hinzu kommt, dass ich Schmerzpatient bin – ich habe unter anderem eine Polyneuropathie. Der Entzug und die Weigerung, mich zu substituieren, waren daher für mich besonders schwer.

„Ich hatte starke Schmerzen und verlor an Gewicht“

Wie war damals deine gesundheitliche Verfassung und wie ist sie jetzt?

In der JVA ging es mir gesundheitlich oft sehr schlecht, ich hatte starke Schmerzen und verlor an Gewicht. Zum Ende meiner Haftzeit hatte ich Untergewicht, war kraftlos und kämpfte mit starkem Husten. In den letzten Tagen in der JVA wollte ich mich daher noch mal untersuchen und behandeln lassen. Man hat aber nur abgewunken und alles auf mein Alter geschoben.

Als ich dann entlassen wurde, bin ich direkt zum Arzt. Ich hatte Fieber, und er hat eine Lungenentzündung festgestellt und mich sofort in die Notaufnahme des Krankenhauses geschickt. Dreizehn Tage lag ich dann dort mit einer doppelseitigen Lungenentzündung. Inzwischen geht es mir besser, die Lungenentzündung ist ausgeheilt, und ich werde substituiert, aber insgesamt bin ich natürlich noch angeschlagen.

„In der JVA wurde keiner substituiert, grundsätzlich nicht“

Warst du in der JVA der einzige Gefangene, der substituiert werden wollte?

Es gab auch noch andere Gefangene, die das wollten. Einer von denen hat auch geklagt, er ist bis vors Oberlandesgericht München gezogen, hat danach aber aufgegeben. In der JVA wurde keiner substituiert, grundsätzlich nicht. Wir wurden dort strikt voneinander getrennt, und ich habe erst spät erfahren, dass auch ein anderer Gefangener auf Substitution klagt.

Was glaubst du, warum man dir die Substitution verweigert hat?

Gesagt wurde: „In Bayern ist das so üblich, bei uns gibt es das nicht.“ Eine HIV- und HCV-Infektion war nicht Grund genug, auch nicht, dass ich nur noch 62 kg gewogen habe. Ich hätte vielleicht meine HIV-Medikamente weglassen können, damit es mit mir noch weiter bergab geht, aber das wollte ich nicht. Ich habe einfach nur noch meinen Entlassungstag herbeigesehnt, um endlich eine adäquate Versorgung zu bekommen.

„Man hat das Gefühl, der Tag und dann die Nacht vergehen einfach nicht“

Gab es Momente, wo es für dich besonders schwer war, im Gefängnis ohne Substitution zurechtzukommen?

Besonders schwer war es, wenn ich starke Schmerzen hatte. Die Zeit im Knast vergeht sehr langsam, besonders wenn man auf Entzug ist und dann auch noch Schmerzen hat. Man hat das Gefühl, der Tag und dann die Nacht vergehen einfach nicht – das ist nur schwer auszuhalten.

Zwischenzeitlich konnte ich nicht mehr richtig laufen, in meinen Füßen fühlte es sich an, als bekäme ich tausend Stromschläge, es war furchtbar. Aufgrund meiner Erkrankungen wurde ich auch externen Ärzten vorgestellt. Ein Arzt hatte dann auch die Substitution vorgeschlagen, doch der wurde schließlich gewechselt. Der nächste Arzt schlug die Verabreichung von Opiaten vor, und auch da wurde ich dann nicht mehr vorgestellt. Nach Angaben der JVA haben die externen Ärzte nur beratende Funktion. Die Entscheidung, ob dann tatsächlich substituiert wird, liegt beim Anstaltsarzt.

Warum bist du den Klageweg gegangen?

Ich hatte oft Suchtdruck, und es ging mir schlecht. Die Aidshilfe hatte ihre Unterstützung bei einer Klage angeboten. Im Vorfeld sprachen wir auch darüber, welche Repressalien auf mich zukommen könnten und ob ich mir das zutrauen würde, aber das war mir egal. Ich wollte nicht zulassen, dass man so mit mir umgeht, und mich für eine anständige Behandlung einsetzen. Dann wurde der Kontakt zum Rechtsanwalt und einem Berater in München hergestellt.

„Aufgeben wollte ich nie“

Hast du dir nicht irgendwann gesagt, jetzt sitz ich schon so lange ein, da brauch ich auch kein Methadon mehr?

Nein, weil ich keine Besserung erlebt habe. Ich besorgte mir manchmal illegal Substitutionsmittel, dann ging es mir ein paar Tage besser, und ich konnte ein wenig verschnaufen. Von diesen Tagen habe ich gezehrt und so habe ich überleben können – einfach ein paar Tage ohne die starken Schmerzen.

Aufgeben wollte ich nie, da hat es für mich keine Zweifel gegeben. Es war so unmenschlich, daher wollte ich nicht aufgeben. Ich habe auch an diejenigen gedacht, die nach mir in den Knast kommen.

Wie haben die Bediensteten auf deine Klage reagiert?

Bei den Bediensteten und Ärzten war ich dann noch unbeliebter als vorher, das machte aber nichts. Es gab auch einige, die das gut fanden. Als meine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angenommen wurde, wurden alle plötzlich etwas hektischer, und ich wurde auch schon mal gefragt, ob ich noch etwas bräuchte. Da änderte sich vieles.

„Es war immer klar, in Bayern gewinnen wir nichts“

Das Landgericht Augsburg und das Oberlandesgericht München haben, wie ich finde, schon recht „deftige“ Begründungen abgegeben, warum der Substitution nicht stattgegeben wird, wie etwa „antisoziale Charakterstruktur“ und Ähnliches. Wie hat das auf dich gewirkt?

Das hat mich nicht belastet, ich habe von den Gerichten in Bayern nichts anderes erwartet. Ich kenne die Juristen in Bayern, daher hat es mich nicht berührt. Es war immer klar, in Bayern gewinnen wir nichts.

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte – das hört sich erst mal gut an. Aber was würde es für dich bedeuten, wenn man deine Beschwerde zurückweist?

Für mich ist undenkbar, dass meiner Klage nicht stattgegeben wird. Ich habe über Jahre hinweg leiden müssen, und es wurde unmenschlich mit mir verfahren. Hätte ich 200 Kilometer weiter in Baden-Württemberg gelebt, wäre es mir ganz anders ergangen – das kann doch nicht sein! Sollte es trotzdem so kommen, ist zumindest etwas in Bewegung geraten.

„Mit der Substitution muss endlich begonnen werden!“

Was sollte deiner Meinung nach im bayerischen Justizvollzug verändert werden?

„Giftler“ sollten im Knast nicht mehr diskriminiert werden. Wer einen BtM-Eintrag hat [Anm.d.Red.: Dieser Eintrag erfolgt bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz], wird als Schmerzpatient nicht mehr angemessen behandelt, das muss sich ändern. Die Substitution ist natürlich meine Herzensangelegenheit – damit muss endlich begonnen werden!

*Name geändert

Interview: Bärbel Knorr

1 Kommentare

alivenkickn 8. Februar 2015 5:30

„Giftler“ sollten im Knast nicht mehr diskriminiert werden. Wer einen BtM-Eintrag hat [Anm.d.Red.: Dieser Eintrag erfolgt bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz], wird als Schmerzpatient nicht mehr angemessen behandelt, das muss sich ändern.

Das sind imo zwei paar Schuhe

Die Verweigerung einer ärztlichen Behandlung im Knast mit „Opioiden (darunter fällt AUCH Methoadon)“ weil man ein Schmerzpatient ist mit der Begründungen weil man ein „Giftler ist imo etwas völlig anderes als die Verweigerung einer Substituitionsbehandlung Mittel zum Entztug von einer Drogen wie z.b. Heroin z.b.

Bzgl der Polyneuropathie „in meinen Füßen fühlte es sich an, als bekäme ich tausend Stromschläge, es war furchtbar.“

Dagegen zu klagen weil eine JVA die ärztliche Behandlung wegen der Polyneuropathie verweigert z.b. mit Lyrica oder Gabapentin macht Sinn und ist richtig.

„Giftler“ sollten im Knast nicht mehr diskriminiert werden.“

Dem kann ich nur zustimmen.

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