ASYLRECHT

Im Heimatland verfolgt, in Deutschland nicht immer anerkannt

Von Sophie Neuberg
Schwule, Lesben und Transidenten, die aufgrund von Diskriminierung und Verfolgung ihr Heimatland verlassen und in Deutschland Asyl beantragen, können nicht sicher sein, anerkannt zu werden. Im Rahmen einer vom Lesben- und Schwulenverband in Deutschland organisierten Podiumsdiskussion am 27. Januar wurden Gründe und Hindernisse erläutert und Forderungen formuliert. Von Sophie Neuberg und Susanne Reuber

Menschen auf dem Podium der Veranstaltung
Podiumsteilnehmer Jurist Dirk Siegfried, Psychologin So-Rim Jung und LSDV-Vorstand Katayun Pirdawari (v. l.n.r.) (Foto: Jouanna Hassoun)

Erst die gute Nachricht: Seit einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts von 1988 kann Homosexualität in Deutschland als politischer Asylgrund anerkannt werden.
Damals recht fortschrittlich entschied das Gericht, dass Lesben und Schwule mit „irreversibler, schicksalhafter homosexueller Prägung“ Anspruch auf Asyl haben, wenn sie bei einer Rückkehr in ihr Heimatland in die Gefahr geraten, mit schweren Leibesstrafen oder der Todesstrafe belegt zu werden.

„irreversibler, schicksalhafter homosexueller Prägung“

Doch mit diesem positiven Urteil sind auch viele Schwierigkeiten verbunden. Was zum Beispiel ist eine „irreversible, schicksalhafte homosexuelle Prägung“? Und vor allem: Wie soll sie nachgewiesen werden? Es kann zum Beispiel sein, erklärte Psychologin So-Rim Jung vom LSVD (Lesben- und Schwulenverband in Deutschland) im Rahmen der Podiumsdiskussion „Situation homosexueller Asylsuchender in Deutschland“, dass ein Flüchtling ein psychologisches Gutachten vorlegen muss, das diesen Umstand bestätigt.

Ein solches Gutachten ist aber für Flüchtlinge oft viel zu teuer und einen wie auch immer gearteten medizinischen „Beweis“ der Homosexualität gibt es nicht. Immerhin berichtete Rechtsanwalt Dirk Siegfried, dass die Gutachten in aller Regel positiv ausfallen.

Die Formulierung der „irreversiblen Prägung“ sei 1988 ein Fortschritt gewesen, denn damit habe das Bundesverwaltungsgericht ausdrücken wollen, die Homosexualität könne – wie Nationalität oder ethnische Zugehörigkeit – als eine unveränderliche Tatsache betrachtet werden, die das Asylrecht begründet.

Heute klingt es absurd, wenn Flüchtlinge ihre Homosexualität nachweisen müssen, er habe aber kaum jemals erlebt, dass ein Gutachten negativ ausfalle, berichtete Dirk Siegfried: „Meist scheitern die Asylverfahren aus anderen Gründen“, so der Anwalt.

Zuallererst ist es für die meisten Hilfesuchenden schwer, überhaupt erst mal nach Deutschland zu kommen. Der Landweg scheidet aus, da die deutschen Nachbarländer alle als sichere Drittstaaten gelten, wohin Flüchtlinge sofort wieder abgeschoben werden können. Auch über den Seeweg kommen nur sehr wenige ins Asylverfahren, so dass nur der Luftweg ohne Zwischenlandung in einem Drittland als Möglichkeit verbleibt.

Flüchtlinge fühlen sich oft nicht in der Lage, einem Beamten sofort Auskunft über ihre sexuelle Orientierung zu geben

Ein weiteres Problem ist, dass die Asylbewerber bei ihrer ersten Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verpflichtet sind, detailliert sämtliche Fluchtgründe vorzutragen. Kurz nach ihrer Ankunft fühlen sich schwule und lesbische Flüchtlinge aber oft nicht in der Lage, einem Beamten über ihre sexuelle Orientierung Auskunft zu geben. Bringen sie diesen Grund jedoch erst später im Verfahren vor, wird ihnen oft nicht geglaubt.
Hat es dann jemand tatsächlich geschafft, seinen Antrag auf Asyl zu stellen, lässt die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts von 1988 an mehreren Stellen viel Raum für Interpretation, zum Beispiel wenn es darum geht, welche Art der Verfolgung im Heimatland droht.

Da kann leider viel davon abhängen, welches Gericht in Deutschland die Entscheidung fällt, und wie im einzelnen Fall die Lage im Heimatland des Flüchtlings vom Auswärtigen Amt und vom Gericht eingeschätzt wird. So wird Schwulen und Lesben teilweise zugemutet, ihre Homosexualität im Verborgenen zu leben.

Es wird auch schon davon ausgegangen, die strafrechtliche Verfolgung der Homosexualität werde im Heimatland des Flüchtlings nicht wirklich angewandt. Bisweilen verlassen sich die deutschen Gerichte auch mal auf Aussagen des Auswärtigen Amts, wonach es im fraglichen Land Treffpunkte für Homosexuelle bzw. eine Szene gibt. Daraus wird dann geschlossen, man könne sich dort als Homosexueller durchaus arrangieren – so nach dem Motto: „Ein Schwuler muss nicht in Stöckeln durch Teheran herumlaufen“ –, mit etwas Diskretion würde es schon gehen.

Der Weg zum Standesamt kann für Asylbewerber zur Falle werden

Auch Asylbewerber, die mit ihrem deutschen Partner eine registrierte Partnerschaft eingehen wollen, können schon beim Standesamt in Schwierigkeiten geraten, weil ihnen unterstellt wird, auf diese Art und Weise ihren Aufenthalt sichern zu wollen. So droht sowohl vom Standesamt als auch von der Ausländerbehörde die Gefahr der Ausweisung, weil das Standesamt berechtigt ist, bei einem etwaigen Verdacht auf Scheinehe die Ausländerbehörde zu informieren.

Sowohl Podiumsteilnehmer als auch Publikum mussten bei diesen Erläuterungen oftmals den Kopf schütteln, insbesondere bei der Vorstellung, deutsche Gerichte fänden es zumutbar, unter Androhung der Todesstrafe (wie im Iran) seine Homosexualität im Verborgenen zu leben.

Das ist aber nicht alles, was sich im Asylverfahren als Problem herausstellen kann. Die Härte der drohenden Strafe und die Begründung der Verfolgung spielt auch eine Rolle. Dies hat auch mit der Entscheidung von 1988 zu tun: Das Bundesverwaltungsgericht wollte damals ausdrücklich nicht riskieren, den zu diesem Zeitpunkt in der Bundesrepublik Deutschland noch geltenden § 175 StGB als politische Verfolgung von Homosexuellen hinzustellen. Deshalb wurde präzisiert, eine Verfolgung wegen Verletzung der öffentlichen Sittlichkeit und Moral reiche nicht aus, um das Recht auf Asyl zu begründen.

Forderungen der Politik

Viel Entscheidungsspielraum für die Gerichte also und dementsprechend wenig Sicherheit für die Asylsuchenden, die während der ganzen Dauer des Verfahrens der sogenannten Residenzpflicht unterliegen. So dürfen sie den Bezirk oder Landkreis nicht verlassen, in dem die für sie zuständige Ausländerbehörde liegt.

Hinzu kommt, dass sie in einem Asylbewerberheim wohnen müssen, egal ob sie eventuell auch bei Verwandten unterkommen könnten. In den Heimen sind sie wiederum oft Zielscheibe von Diskriminierung und Misshandlung, denn auch unter Asylbewerbern ist Homophobie keine Seltenheit.

Am Ende der Diskussion fasste Rechtsanwalt Dirk Siegfried die wichtigsten politischen Forderungen zusammen, die sich aus der aktuellen Situation ergeben:

  • Abschaffung der Residenzpflicht
  • Entscheidung des Gesetzgebers, wonach die Gerichte von niemandem mehr verlangen dürfen, seine Sexualität zu verbergen
  • Aufnahme durch die Bundesrepublik Deutschland und/oder durch ein Bundesland von bestimmten Menschen, die persönlich bedroht sind bzw. von Menschen aus bestimmten Regionen, indem man diesen Personen aus „völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen“ ein Visum anbietet (dafür ist das Bundesministerium des Innern zuständig, § 22 und § 23 Aufenthaltsgesetz).

Katayun Pirdawari vom LSVD-Vorstand appellierte zum Schluss an die schwul-lesbische Szene, die ungeheuren Schwierigkeiten, Beleidigungen und Schmerzen zu bedenken, die Flüchtlinge gerade aus muslimischen Ländern auf sich nehmen, wenn sie Homosexualität als Fluchtgrund angeben. Sie bat eindringlich darum, diese Flüchtlinge offen aufzunehmen und ihnen zu glauben, auch wenn sie vom Aussehen oder Auftreten her unseren hiesigen Vorstellungen nicht entsprechen.

Mehr Informationen zum Thema:
– www.lsvd.de
„Fleeing Homophobia“ von Sabine Jansen und Thomas Spijkerboer, COC Nederland und Vrije Universiteit Amsterdam, September 2011 (vergleichende Studie zur Asylpraxis in der EU, zum kostenlosen Herunterladen in verschiedenen Sprachen)

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