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„Block… Block… Stift“ – zum Leben und Werk von Keith Haring

Von Axel Schock
Bild zum Beitrag Leben und Werk von Keith Haring
Seine bunten, witzigen Strichzeichnungen – Strahlenbabys, kläffende Hunde, Herzen auf Beinen – zieren T-Shirts, Socken und Bettwäsche. Schon zu Lebzeiten war die künstlerische Welt von Keith Haring Teil der globalen Alltagskultur geworden. Am 16. Februar 1990 ist der Graffiti- und Pop-Art-Künstler an den Folgen von Aids gestorben, sein Werk aber ist weiterhin lebendig und wirkungsvoll.

Keine drei Minuten dauert die Aktion, dann ist das Kunstwerk auch schon fertig und Keith Haring wieder im Strom der Menschen untergetaucht. Und doch wurde er Anfang der 1980er Jahre immer wieder erwischt und von der New Yorker Polizei wegen Sachbeschädigung und Vandalismus festgenommen.

Seine Zeichnungen – weiße Kreide auf dem schwarzen Grund der ungenutzten schwarzen U-Bahn-Werbeflächen – waren meist nach wenigen Stunden bereits wieder verschwunden. Über 10.000 sollen es gewesen sein, mit denen er sich als Underground-Star und Graffiti-Künstler etablierte.

Bild ohne Titel von Keith Haring, 1982, (c) Keith Haring Foundation – Museum Folkwang

Tanzende Männchen, Hunde mit eckigen Schnauzen, Herzen und Babys mit Strahlenkränzen – schon damals hatte Haring mit unverkennbar eigener Handschrift und einfachen Umrisslinien ein umfangreiches Repertoire chiffreartiger Symbole geschaffen, die im Vorübergehen schnell zu erfassen sind und gute Laune bereiten.–

Der Junge aus der tiefsten Provinz von Pennsylvania hatte sich früh für Comics und Zeichentrickfilme interessiert. Doch weder seine Ausbildung zum Grafiker noch sein Studium an der New Yorker School of Visual Arts schließt er ab. Seine Begeisterung für Semiotik, ägyptische Hieroglyphen, die Zeichnungen der australischen Aborigines sowie für Werbegrafik und Cartoons waren für seine künstlerische Entwicklung wahrscheinlich weitaus entscheidender und prägender.

Steiler Karrierestart und Zusammenarbeit mit Weltstars

Die Karriere nimmt nach seinen Guerilla-Kunstaktionen in der New Yorker Subway einen Blitzstart. Galerien in Europa, den USA und Japan erzielen mit seinen Arbeiten immer höhere Preise, vor allem als er 1982 zur documenta 7 nach Kassel und zur Biennale in Venedig eingeladen wird.

Er arbeitet für und mit Madonna, Grace Jones, Andy Warhol und Yoko Ono, bemalt im Auftrag ganze Häuserwände, in Berlin ein Stück der Mauer (mit Männchen in Schwarz-Rot-Gold) und für BWM auch mal ein Sportcabrio. Und doch bleibt ihm wichtig, dass seine Kunst auch jenseits der elitären Welt der Sammler und Museen zugänglich bleibt. Zum einen, indem er in eigenen Läden Merchandising-Artikel wie T-Shirts, Notizbücher und Tassen anbietet, zum anderen, indem er verstärkt seine Kunst in den öffentlichen Raum bringt.

„Ich habe herausgefunden, dass ich jedes Kind zum Lächeln bringen kann“

Er gestaltet Kinderspielplätze, schafft sexpositive, lustige Wandmalereien für das Lesbian, Gay, Bisexual & Transgender Community Center in Manhattan und beglückt Krankenstationen, Kindergärten und Kinderheime mit seinen Zeichnungen. „Was mir an Kindern so gefällt, ist ihre Phantasie“, zitiert ihn sein Biograf John Gruen. „Diese Kombination aus Ungezwungenheit und Ehrlichkeit, die sie offenbar in die Lage versetzt, allem, was ihnen gerade durch den Kopf geht, Ausdruck zu verleihen. Und ich habe herausgefunden, dass ich jedes Kind zum Lächeln bringen kann.“

Doch es wäre fatal, Haring auf den Produzenten kommerzieller Massenware mit philanthropischem Charakter zu reduzieren. Er war – was lange übersehen wurde – stets auch ein politisch sehr wacher, ernsthafter und geradezu aktivistischer Künstler. Das machte die Münchner Kunsthalle 2015 mit ihrer Haring-Retrospektive unter dem Titel „Gegen den Strich“ deutlich.

Hypo-Kunsthalle: Ausstellung und Leihgeber-Essen, Keith Haring – Gegen den Strich, Foto: Marcus Schlaf, 29.04.2015

In seinen Werken setzte er sich immer wieder auch mit globaler Politik und sozialen Fragen auseinander: mit Kriegsangst, Rassismus und Apartheid, mit dem Machtmissbrauch durch Kirche, Staat und Großindustrie, mit der Zerstörung der Natur und den Gefahren der Atomenergie. Und früh auch mit der damals neuen Krankheit Aids.

Die Kunst als Ausdruck eines selbstbewussten schwulen Lebensgefühls

Haring, der schon als Jugendlicher offen schwul lebte, hatte sich nach seinem Umzug 1978 in der New Yorker Szene schnell eingelebt.

„Kein Mensch dachte an etwas wie Aids. In der Szene zog man von einer Bar zur anderen und nach und nach fand ich heraus, welche die interessantesten Lokale waren – Bars wie ‚The Studs‘, wo Pornofilme liefen und es eine Art Darkroom für anonyme Sexkontakte gab, in denen die Typen ungestört aneinander rumfummeln konnten“, beschreibt er diese Zeit. „Anfangs war mir das fremd, aber schließlich wurde es zu einem way of life – es gehörte einfach zur allabendlichen Routine, wenigstens in meinen ersten Jahren in New York.“

Anders als etwa Andy Warhol, der in den 1960er Jahren seine Homosexualität weitgehend zu verbergen versucht und sie in seinen Arbeiten eher kaschiert zum Ausdruck brachte, demonstrierte Haring von Anfang an sein selbstbewusstes, schwules Lebensgefühl in eindeutigen homoerotischen Zeichnungen.

„Ich bin rüber an den East River, stand am Ufer der Lower East Side und habe bloß noch geheult“

Die HIV-Infektion war bei Haring recht früh diagnostiziert worden, doch anders als heute, gab es damals keinerlei Therapien. Im Herbst 1988 wurde nach einer Gewebeuntersuchung deutlich, dass sich bei Haring das Karposi-Sarkom, ein Aids-bedingter Hautkrebs, bereits im ganzen Körper ausgebreitet hatte.

„Ich bin rüber an den East River, stand am Ufer der Lower East Side und habe bloß noch geheult“, berichtete Haring seinem Biografen John Gruen, „aber dann muss man sich zusammenreißen, denn das Leben geht weiter.“

Von nun an arbeitete Haring noch mehr als zuvor und gestaltete verstärkt auch Plakatmotive für die Aids-Aktionsgruppe ACT UP und Zeichnungen für die Aids-Aufklärung. Seine Energie schien unerschöpflich. „Das einzig Gute an der ganzen Sache ist diese Intensität, die die Krankheit den Menschen angesichts der kurzen Zeit, die ihnen bleibt, aufnötigt“, kommentiert er 1988 seine Lebenssituation.

Wandbild von Keith Haring in Barcelona, (c) ESM

Geschenke an das Leben

Im Folgejahr malte er in Barcelona auf eine große Hauswand den hoffnungsvollen Satz: „Together we can stop Aids“. Nach Ausbruch der Krankheit hatte sich Haring entschlossen, in jeder Stadt, die ihn zu einer Ausstellung einlud, ein großes Projekt zu hinterlassen. Etwas, das bleiben und nicht, wie Graffiti, schnell wieder verschwinden würde. Er bemalte auch in anderen Städten ganze Hauswände oder Mauern und entwarf überdimensionale Plastiken für Parks, monumentale, bunte Klettergerüste für Spielplätze.

Als er im Dezember 1989 nach einem Arbeitsmarathon in Europa in die USA zurückkehrt, verschlechtert sich sein Gesundheitszustand rapide. Bald ist er zu schwach, um überhaupt noch einen Pinsel halten zu können.

Am 16. Februar 1990 stirbt Keith Haring mit nur 31 Jahren in seiner Wohnung am Broadway. John Gruen schildert in seiner Biografie die letzten Augenblicke. Beinahe über Nacht sei Keith Haring in beängstigender Weise abgemagert. „Die wasserhellen, blauen Augen lagen tief in den Höhlen, sein Gesicht hatte eine aschgraue Farbe angenommen. Wie sein keuchender stoßweiser Atem erkennen ließ, war er tatsächlich sehr erregt, und die Hände zogen an den Infusionsschläuchen, an den Geräten. Nachdem er sich wieder beruhigt hatte, flüsterte er: ‚Block… Block… Stift.‘“ Mühsam habe sich Keith aufgesetzt und einen kurzen Strich gezogen, dann einen zweiten. Es war ein stockender, zaghafter Vorgang, den Haring immer wieder unterbrechen musste.

„Plötzlich wurden zwei Beinchen sichtbar. Die ganze Zeit war er unglaublich konzentriert und sein Atem schien wieder normal … Es war erstaunlich, wie nun auf dem Blatt Keith Harings bekanntestes Symbol erschien: Das Strahlenbaby.“

Dieses lebensbejahende, ausdrucksstarke Zeichen, Inbegriff kindlicher Unschuld und ungebremster Kreativität, mit dem er zehn Jahre zuvor seine Karriere begonnen hatte, war sein letztes Geschenk an das Leben. Sein Gesamtwerk – und dessen weltweite Vermarktung – liegt in den Händen der Keith Haring Foundation.

Keith Haring, 1986, bei der Arbeit im Stedelijk Museum in Amsterdam (c) Nationaal Archief

Die Non-Profit-Organisation war 1989 vom Künstler noch selbst gegründet worden und finanziert aus ihren Erlösen Schul- und Ausbildungsprogramme für unterprivilegierte Kinder bzw. unterstützt HIV-infizierte Kinder und Jugendliche in Not.


Weiterführende Informationen zu Keith Haring:

„Discover the King of Street Art: Keith Haring” – Kurzporträt auf YouTube (in englischer Sprache)
Webseite der Keith Haring Foundation

Das Museum Folkwang Essen präsentiert vom 29. Mai bis zum 6. September 2020 eine umfassende Ausstellung zum Werk von Keith Haring. Mehr als 85 Werke – darunter großformatige Gemälde und Zeichnungen, Plakate, Fotografien und Videos – vermitteln ein breites Spektrum seines Oeuvres.

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