IM VERBORGENEN

Der Untote: Jack Smith wird doch noch weltberühmt

Von Paul Schulz
Undergroundstar Jack Smith gilt als einer der wichtigsten – und unbekanntesten – Künstler Amerikas. 20 Jahre nach seinem Aids-Tod ist jetzt endlich sein Werk zugänglich. Ein Festival lässt ihn zu verdienten Ehren kommen. Ein Porträt von Paul Schulz

New York 1989: Jack Smith findet Aids eine „glamouröse Art zu sterben“ und weiß sich in guter Gesellschaft. Jede Woche fällt die Krankheit ein neues Genie.

Über das unbekannteste von ihnen hat Andy Warhol Anfang der 70er Jahre gesagt: „Er ist der Einzige, den ich je kopieren würde.“ John Waters ergänzte 10 Jahre später: „Er ist der einzig wahre Undergroundfilmer.“ Und Oscarpreisträger Todd Haynes setzte ihm in „Velvet Goldmine“ ein Denkmal. „Wir haben alle von Jack Fairy gestohlen“, lässt er seinen Protagonisten stellvertretend für alle schwulen Künstler der Erde sagen. Gemeint ist natürlich Jack Smith.

Der gilt als der Erfinder der Performancekunst und als Begründer des amerikanischen Experimentalfilms. Er hat Drag in seiner heutigen Form kreiert und den Begriff „queer“ neu definiert. Zu seinen Fans zählten neben Warhol und Waters unter anderem Federico Fellini, Susan Sontag und fast alle wichtigen amerikanischen Filmemacher der 1970er.

Smiths erster Langfilm „Flaming Creatures“ wurde nach seiner ersten Aufführung beschlagnahmt und ist in den USA bis heute wegen Obszönität verboten. Schon Ende der 60er Jahre hatte Smith darin eine Welt entworfen, in der es die Grenzen zwischen den Geschlechtern oder Sexualitäten nicht mehr gab: Jeder konnte alles sein, mit wem und wann immer er wollte. Mr. oder Mrs. Smith? Warum sollte man sich da festlegen?

Mr. oder Mrs. Smith? Warum sollte man sich da festlegen?

Die Kritiker feierten den Film, die Ordnungsmacht – und ein großer Teil des Publikums – verstand kein Wort. Darüber war Smith so enttäuscht, dass er nur noch einen weiteren Langfilm, „Normal Love“, fertigstellte. Statt weitere zu produzieren, war er persönlich anwesend, wann immer seine Filme aufgeführt wurden, um sie während der Vorführung anzuhalten, zu ergänzen oder sogar umzuschneiden, wie es ihm passte.

Das erschwerte den Zugang zu seinem Werk und sorgte dafür, dass er zum Zeitpunkt seines Todes außerhalb der New Yorker Theaterszene so gut wie vergessen war. Dass er es lange blieb, dafür sorgte seine Familie.

Kulturwissenschaftler Marc Siegel erklärt: „Smith ist einer dieser klassischen Fälle, in denen die Familie nach dem Tod des Künstlers das künstlerische Erbe an sich reißt, um es zu Geld zu machen.“

Smith hatte seine Freunde – unter ihnen Warhol-Superstar Penny Arcade – gebeten, sich seiner Hinterlassenschaft anzunehmen. Sie gründeten eine Stiftung, die „Plaster Foundation“ und kümmerten sich die letzten 20 Jahre um die Restaurierung und Bewahrung von Smiths Filmen und Fotografien. Doch zu sehen war sein Werk so gut wie nie.

Vor zwei Jahren wurde sein Nachlass nun vor einem New Yorker Gericht Smiths Schwester zugesprochen, die sich immer für die Homosexualität ihres Bruders geschämt hatte, und nicht wollte, dass die Öffentlichkeit erfuhr, dass er HIV-positiv war. Die besorgte Verwandte verkaufte alles innerhalb weniger Tage an eine New Yorker Galerie. Von der erhielt erst die Berlinale und dann das Berliner „Arsenal – Institut für Film- und Videokunst“ die exklusiven Aufführungsrechte für die Filme.

„Er kann komplett umkrempeln, wie du die Welt siehst.“

So kommt es, dass Siegel zusammen mit der Schauspielerin Susanne Sachsse und Stefanie Schulte-Strathaus vom Arsenal jetzt in Berlin ein Festival ausgerichtet hat, das Smith feiert. Bei „Live Film! Jack Smith!“ liefen alle Filme von Smith zum ersten Mal gesammelt vor Publikum.

Andy Warhols Drag-Superstar Mario Montez, ein enger Freund von Smith, betrat für das Festival zum ersten Mal seit 30 Jahren eine Bühne, nämlich die des Berliner Hebbel Theaters, und spielte zusammen mit Rainald Goetz, Diedrich Diedrichsen, Susanne Sachsse, Bruce LaBruce und Katharina Sieverding in „The Life of Juanita Castro“. Stars des Independent-Films wie Ulrike Oettinger und Guy Maddin haben speziell für das Festival neue Filme im Stil von Jack Smith gedreht. Außerdem gab es Dutzende Vorträge, Diskussionen und Ausstellungen um Smith und sein Werk.

„Es ist gut, dass Smith jetzt wieder bekannter werden wird“, erklärt Susanne Sachsse lächelnd ihr Engagement. „Er kann komplett umkrempeln, wie du die Welt siehst und das kann vielen Leuten heute nur guttun.“

Nachfolgeveranstaltungen in Paris, Rom und Toronto sind schon geplant. So kommt Smith 20 Jahre nach seinem Tod doch noch zu einer Weltkarriere. Schade, dass er das nicht mehr erlebt.

Ausführliche Informationen: www.arsenal-berlin.de
Noch bis zum 21. November läuft die Ausstellung „Tony Conrad: Re-Framing Creatures“ in der Galerie Daniel Buchholz

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

+ 34 = 41