TRAUERKULTUR

Orte des Gedenkens und kollektiven Erinnerns

Von Axel Schock
In der Frühphase der Aids-Epidemie waren auch in Westeuropa sehr bald zahlreiche Tote zu beklagen. Im Laufe der Zeit wurden verschiedene Wege des gemeinsamen Gedenkens an diese Verstorbenen entwickelt, um so die Trauer zu teilen und zugleich öffentlich zu machen. Axel Schock stellt einige dieser Projekte vor.

 „Man lebt zweimal“, schrieb Honoré de Balzac: „Das erste Mal in der Wirklichkeit, das zweite Mal in der Erinnerung“. Wie also erinnern wir uns an die an Aids verstorbenen Menschen? Was bleibt von ihnen, wie bleiben sie in unserem Gedächtnis? Mit diesen und anderen Fragen zum Gedenken beschäftigt sich der Blog-Themenschwerpunkt in diesem Monat.

Stele „Gegen das Vergessen“ in Berlin

Die Stele mit roter Aidsschleife in Berlin
Eine Stele „Gegen das Vergessen“ (Foto: Positiv e.V. Berlin)

Über viele Jahre war der Zielpunkt des Berliner Trauermarsches anlässlich des Welt-Aids-Tages eine große, rote Aidsschleife an der Urania. Das Metallobjekt an einem Fußgängerübergang war an diesem besonderen Anlass stets umgeben von einem Lichtermeer aus Kerzen. 2010 wurde dort eine vom Berliner Steinmetz Bernhard Keller gestaltete Stele eingeweiht.

Die Worte „Gegen das Vergessen“ finden sich auf der Front des Steins in 22 Sprachen. Etwas irritierend ist jedoch, dass die Seiten der Stele mit einer langen Sponsorenliste versehen sind.

 

Aids-Memorial München

Die Gedenksäule am Münchner Sendlinger-Tor-Platz
Die Gedenksäule am Münchner Sendlinger-Tor-Platz (Foto: Axel Schock)

Der Sendlinger-Tor-Platz in der Münchener Innenstadt ist ein stark frequentiertes Geschäftszentrum und zugleich einer der wichtigsten Knotenpunkte des öffentlichen Nahverkehrs. Zudem mündet hier die Müllerstraße, die „schwule Meile“ Münchens mit zahlreichen Bars, Cafés und anderen Szeneeinrichtungen. Hier wurde 2002 das von dem als Fotograf bekannten Künstler Wolfgang Tillmans entworfene Aids-Memorial enthüllt.

Seine zunächst schlicht und zurückhaltend wirkende türkis-blaue Säule und die zwei steinernen Sitzbänke bieten sich als ein Ort des Verweilens an, inmitten der hektischen Betriebsamkeit des Sendlinger Tors.

„Das Memorial sollte emotional wirken, ohne den Betrachtern vorzuschreiben, wie sie sich verhalten müssen. Deshalb habe ich eine eindeutig lesbare oder erzählerische Symbolik vermieden und mich stattdessen einer Form bedient, die den meisten Münchnern vertraut ist, nämlich die gekachelten Säulen der U-Bahn“, erklärte Tillmans seinen Entwurf. Die Säule trägt auf zwei Seiten die Inschrift:

„Aids – Den Toten, den Infizierten, ihren Freunden, ihren Familien 1981 bis heute“

Denkraum: Namen und Steine

In über 2.300 Pflastersteine wurden seit 1992 die Namen von an Aids verstorbenen Menschen eingraviert. Die Steine wurden dann in 26 überwiegend deutschen, aber auch in einigen europäischen Städten im öffentlichen Raum installiert. „Denkraum: Namen und Steine“ heißt das 1992 vom Künstler Tom Fecht in Zusammenarbeit mit der Deutschen AIDS-Stiftung ins Leben gerufene Projekt.

Die ersten Installationen mit den Namen ausschließlich prominenter Künstler wie Keith Haring, Robert Mapplethorpe, Miles Davis und Vito Russo wurden 1992 anlässlich der documenta IX in Kassel als langes Band entlang einer Freitreppe eingelassen und zur documenta X 1997 auf insgesamt 648 Steine ergänzt.

Die Pflastersteinintallation in Hamburg
Die „Windrose“ vor der Heiligen Dreifaltigkeitskirche im Hamburger Stadtteil St. Georg (Foto: Axel Schock)

Weitere Dauerinstallationen entstanden, meist in Zusammenarbeit mit örtlichen Aidshilfen, in zahlreichen anderen Städten. Namen von bekannten Persönlichkeiten stehen hier neben jenen, die an Tote aus der jeweiligen Region erinnern. Seit 2000 richtet Tom Fecht keine Installationen mehr ein, aber die vorhandenen können um neue Pflastersteine mit eingravierten Namen ergänzt werden.

In Wuppertal formen 167 Pflastersteine das 1997 eingeweihte „Offene Quadrat“ in direkter Nähe des Willy-Brandt-Platzes. In Hamburg wurden sie kreuzförmig und entlang der Himmelsrichtungen als „Windrose“ an der Südseite des alten Glockenturms der Heiligen Dreieinigkeitskirche zu St. Georg in den Bürgersteig eingelassen.

Auf einer Anhöhe direkt gegenüber dem Hauptgebäude des Freien Tagungshauses Waldschlösschen hat Fecht eine Mauer errichtet, in die Steine mit den Namen von verstorbenen Aids-Aktivisten und Menschen, die dem Waldschlösschen verbunden waren, eingelassen sind.

Aids-Gedenkstele in Köln

Die Stele im neben der Kirche St. Maria in Köln
Aids-Gedenkstele im ehehmaligen „Leichenhof“ des Kölner Stifts (Foto: Axel Schock)

1994 wurde in Köln die im Rahmen des „Namen und Steine“-Projekts angelegte Installation „Kaltes Eck“ am Rheinufer/Ecke Markmannsgasse eingerichtet und parallel dazu eine weitere Aids-Gedenkstätte. Die Stele aus einem roh behauenen Stein befindet sich auf dem Lichhof („Leichenhof“) des ehemaligen Stifts neben der Kirche St. Maria im Kapitol. Sie wurde zur Erinnerung an Kölner Frauen und Männer aufgestellt, die an den Folgen von HIV und Aids gestorben sind. Die Inschrift, ein Haiku der Dicherin Gitta Benasseni, ist Programm: „Auch das Feuer seht, nicht nur das fallende Laub, wenn der Sommer geht.“ Gelegentlich finden an der Stele Gedenkveranstaltungen statt, etwa im Rahmen des Christopher Street Day und des Welt-Aids-Tages.

 

Aids-Memorial „Verletzte Liebe“ in Frankfurt/Main

Steinmauer mit eingeschlagenen Nägeln
Jeder Nagel steht für einen in Frankfurt an Aids Verstorbenen (Foto: Axel Schock)

Der Berliner Künstler Tom Fecht, von dem auch das Aids-Memorial-Projekt „Namen und Steine“ stammt, hat die Trauerstätte auf dem Peterskirchhof entworfen. Eingeweiht wurde sie 1994 fast zeitgleich zu dem nur wenige Schritte entfernten „Mahnmal Homosexuellenverfolgung“ auf dem Klaus-Mann-Platz.

Fecht hat in ein Stück Friedhofsmauer, unweit der Grabstätte der Mutter Johann Wolfgang von Goethes, den steinernen Schriftzug „Verletzte Liebe“ eingelassen. Dieser Titel soll über das aktuelle Anliegen hinaus ein Gefühl in den Vordergrund stellen, das rationale wie irrationale Elemente, Handlungen und Relationen einschließt.

Über 600 große Zimmermannsnägel sind in diese Wand gehauen – jeder einzelne steht für einen in Frankfurt an Aids Verstorbenen. Für jeden weiteren wird jeweils am Welt-Aids-Tag ein neuer eingeschlagen. Die Nägel, die auf die Stigmata des gekreuzigten Christus anspielen, sind nicht namentlich gekennzeichnet, individuell sind lediglich ihre Positionen auf der Wand und damit ihr Schattenwurf.

So soll ein jeder dieser Nägel auch symbolisch für den Tod der anonymen Opfer und für die Verletzungen stehen, die sich mit jeder neuen Erkrankung verbinden können: Einsamkeit, Diskriminierung, Angst und der Verlust an Vertrauen, Freunden und Zukunft.

The Names Project

Der Quilt in Washington
Zehntausende Quilts erinnerten 1996 in Washington an Aids-Verstorbene (Foto: The NAMES Project)

Um den an Aids Verstorbenen zu gedenken, ihre Namen zu bewahren und zugleich in Gemeinschaft die Trauer zu verarbeiten, gründete 1987 eine kleine Gruppe schwuler Männer in San Francisco das Projekt „The Names Project Foundation“. Quilts, handgearbeitete Patchwork-Stoffdecken, haben in den USA eine lange Tradition. Nun wurden sie zu sehr persönlich gestalteten Erinnerungs-Quilts umfunktioniert.

Über 40.000 entstanden über die Jahre landesweit, alle im exakten Format von 90 x 180 cm, was nicht von ungefähr der Größe einer Grabstätte entspricht. Zuletzt wurden sämtliche Quilts 1996 auf der National Mall in Washington D.C. ausgebreitet. Robert Epsteins „Common Threads: Stories from the Quilt“, der die Geschichte des Aids-Quilts und die Geschichten dahinter erzählt, wurde 1990 mit dem Oscar für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet.

In Deutschland konnte sich die Idee des Quilts nicht wirklich durchsetzen. Anders hingegen in Österreich. Dort ist das „Names Project Wien“ bis heute aktiv. Im Rahmen der 18. internationale Aids-Konferenz im Juli 2010 wurden ein Teil der inzwischen rund 370 Quilts bei einer Ausstellung gezeigt.

Aids-Memorial Wien

Eingebunden in den Kreuzweg vor der Wallfahrtskirche Maria Grün im Wiener Gemeindebezirk Leopoldstadt wurde 2007 eine Gedenkstätte für verstorbene Menschen mit HIV/Aids eingerichtet. Weiße Kieselsteine, beschriftet mit den Namen der Toten, sind dort rund um eine rote Schleife aus Blumen ausgelegt. Anlässlich des AIDS Memorial Day im Sommer werden in einer Gedenkfeier die Namen der im Vorjahr an HIV/Aids Verstorbenen verlesen.

www.Aktiv-gegen-das-Vergessen.de

„Netzwerk plus“, das bundesweite Netzwerk der Menschen mit HIV und Aids, hat im Internet eine eigene In-Memoriam-Seite eingerichtet. Dort soll an Freunde und Freundinnen, Liebhaber sowie Kollegen und Kolleginnen erinnert werden. Bislang sind rund 150 Verstorbene dort mit Namen aufgeführt, die

Liste kann von jedermann ergänzt, die einzelnen Einträge zudem auch mit kurzen Text, Bildern oder Traueranzeigen bestückt werden.

www.AidsMemorial.info

Screenshot der Internetseite

Die niederländische Organisation „The NAMES Project Netherlands Foundation“ hat auf ihrer sehr umfassenden Internetseite Informationen zu Aids-Gedenkstätten von Kassel bis Melbourne, zu Symbolen (wie dem Red Ribbon), Zeremonien wie dem Welt-Aids-Tag als auch Gedenkseiten im Internet zusammengestellt.

Diese informative Angebot kann in fünf Sprachen, darunter auch Deutsch, abgerufen werden.

 

Weiterer Beiträge in unserer Artikelreihe zum Thema Erinnern und Gedenken:

„Der Tod ist das zweite große Fest im Leben“ – Interview mit Matthias Hinz 

„Trauer erwächst aus Liebe, und deshalb vergeht sie auch nie ganz“ – Erinnern und Gedenken an Kirsten Schulz

„Ihr sollt nicht trauern, sondern weiter euren Träumen und Hoffnungen Folgen“ – Erinnern und Gedenken an Stephanie Schmidt“

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