Leben mit HIV

Ja, ich bin HIV-positiv

Von Philipp Spiegel
Philipp Spiegel HIV-positiv Fotograf und Autor
Lange hat Philipp Spiegel Scham und Schuld wegen seiner HIV-Infektion empfunden. Erst durch eine neue Liebe und seine Kunst schafft er es, sich seinen Ängsten zu stellen. Und steht endlich zu sich.*

An einem kalten Februar-Abend 2018 sitze ich alleine in einer 70er-Jahre-Bar in Wien. Ich habe mich in der hintersten Ecke mit einem Glas Wein versteckt, halte mein Handy, meine Finger zittern nervös.

Ausstellungseröffnung ohne den Künstler

Das Telefon leuchtet auf. Eine Freundin schickt mir das Bild einer gut besuchten Galerie und die schönen Worte „Wow – da sind echt viele Leute! Herzlichen Glückwunsch!“

Denn während ich da in der Bar sitze, findet zwei Straßen weiter eine Ausstellungseröffnung statt. Es ist die erste Ausstellung von Philipp Spiegel, meinem Pseudonym.

Und es geht um mein Leben mit HIV und den Umgang damit. Ich zeige dort Bilder meiner Medikamente. Verschwommene Frauenbilder, die an mein früheres Leben als Fotograf erinnern sollen – und zeigen, was ich durch HIV verloren habe. Es gibt verwischte Selbstportraits, die meinen Kampf mit meinem neuen, positiven Leben zeigen.

Ich will zeigen, wie es ist, HIV zu haben. Was es mit mir macht, die psychologischen Auswirkungen. Es ist mein Versuch, HIV zu erklären.

Aber ich bin selber gar nicht dabei.

Ich habe Angst vor der Angst der anderen

Ich trau mich nicht hin. Ich habe Angst, verurteilt zu werden. Ich habe Angst vor der Angst der anderen. Angst, diese Blicke zu sehen, die sich vor mir fürchten.

Das lähmt mich und hält mich gefangen.

Denn auf der einen Seite will ich genau darüber reden: meine HIV-Infektion, dass ich heterosexuell bin, dass es passiert ist und wie es passiert ist.

Gleichzeitig habe ich diese riesige Angst, dass jemand herausfindet, wer Philipp Spiegel wirklich ist.

Denn HIV ist wie ein Stempel auf der Stirn, ich habe Angst, ihn nie wieder loszuwerden.

Dazu kommt die Scham: HIV wird mit Unmoralischem assoziiert, Sex, Drogen, Prostitution… HIV ist schmutzig. Ist widerlich und vor allem giftig.

Scham- und Schuldgefühle wegen HIV

Dazu kommen Schuldgefühle. Und ich meine nicht Schuldgefühle, weil ich jemanden angesteckt haben könnte. Das habe ich – glücklicherweise – nicht. Bei mir wurde das Virus so früh entdeckt, dass dazu keine Zeit gewesen ist.

Nein, ich frage mich: „Wie konnte mir das passieren? War ich unvorsichtig? Hätte ich es vermeiden können?“

Diese Schuld nagt an mir. Macht mich fertig.

Als ich unter dem Pseudonym Philipp Spiegel meine ersten Texte veröffentlicht habe, in denen ich von meiner HIV-Infektion und vom Dating erzählt habe, war ich überrascht, was ich damit ausgelöst habe.

Der Hass hat mich schockiert

Einerseits diese Angst in den Kommentaren. Andererseits wurde ich verurteilt und beschimpft. „Mit dem Leben von anderen spielen – das ist hinterhältig, rücksichtslos, komplett egogesteuert, charakterlos“, schrieb einer. Dieser Hass hat mich schockiert.

Andererseits kamen ziemlich viele Anfragen für Interviews und Artikel. Ich bekam sehr viele positive Rückmeldungen von Lehrer_innen, Ärzt_innen und anderen HIV-positiven Menschen. Sie ermutigten mich, weiterzumachen.

Das Pseudonym Philipp Spiegel als Ventil, um von HIV zu erzählen

Das Pseudonym Philipp Spiegel wurde immer mehr zum Ventil für mich, um von HIV zu erzählen. Ich wollte aufklären, dass ich dank der heutigen Medikamente mit HIV sehr gut leben kann. Dass ich Kinder kriegen könnte, ohne das Virus weiterzugeben.

Ich kann Sex ohne Kondom haben und stecke niemanden an, weil die Medikamente die Viruslast senken.

Das heißt, dass die Viren in meinem Sperma so gering sind, dass HIV nicht übertragbar ist. Obwohl ich das Virus noch immer in mir trage, ist es dermaßen unterdrückt, dass es sich nicht vermehren kann. Das macht mich als Sexpartner sicher.

Und trotz dieser ganzen Fakten war da diese riesige Angst in mir, mich dazu zu bekennen. Weil: Fakten zählen nicht mehr.

Und an irgendeinem Punkt habe ich mich gefragt: Wenn ich schon Angst vor mir selber habe, und diesem Ding in mir – wie soll jemand anderer da keine Angst haben?

Und so bleibe an diesem eisigen Abend in Wien meiner eigenen Ausstellungseröffnung fern.

Das Verstecken kommt mir lächerlich vor

Nachher treffe ich mich mit all den Freund_innen und Kolleg_innen, die bei der Ausstellung waren.

Wir trinken, lachen und sie alle gratulieren mir.

Aber es rattert in mir.

Ja, ich bin froh eine Ausstellung darüber gemacht zu haben – den ersten Schritt zu einer neuen Konfrontation mit HIV.

Aber gleichzeitig kommt mir dieses Verstecken so lächerlich vor.

Ich ärgere mich über mich. Einerseits will ich schreien: „Es ist doch egal ob ich HIV-positiv bin!“ Andererseits will ich mich verkriechen.

Ich würde erst viel später erkennen, dass ich mir meine HIV-Infektion noch immer nicht verziehen hatte.

Wendepunkt in Barcelona

Ein paar Wochen später bin ich bei einem Poetry Slam in Barcelona. In der Stadt am Meer, in der ich mir langsam meine zweite Heimat aufbaue, und wo ich bis jetzt einen viel offeneren Umgang mit HIV erlebt habe. Hier kann ich offener darüber sprechen.

Und bei dieser Veranstaltung in einer alten Fabrikhalle sehe ich sie. Eine der Dichterinnen erhellt mit ihrem Lächeln den Raum. Ihre wunderschöne, warme Ausstrahlung trifft mich wie ein Blitz.

Es ist das erste Mal seit über fünf Jahren, seit vor meiner Diagnose, dass ich Schmetterlinge im Bauch spüre.

Und dann sehe ich sie. Mit ihrem Lächeln erhellt sie den Raum

Unsere Blicke treffen sich – und wir lachen uns an. Ohne auch nur ein Wort zu sprechen, hat es gefunkt.

Wir reden ein wenig, aber die eigentliche Sprache zwischen uns ist unsere körperliche Anziehung. Es liegt so eine magische Spannung in der Luft, dass man einfach nur in die Augen des anderen eintauchen will.

Obwohl wir an dem Abend getrennte Wege gehen, schreiben wir die ganze Nacht hin und her.

Und in meinem Kopf dreht sich die eine Frage: Soll ich ihr von HIV erzählen? Und wenn ja, wann? Und wie? Und wie wird sie reagieren?

Ich war schon oft in dieser Situation – sag ich’s oder sag ich’s nicht –, jedoch nie mit diesem Gefühl des Verknalltseins.

Am nächsten Tag hole ich sie bei strömendem Regen von der Arbeit ab. Wir gehen ins nächste Café.

Ich hab das Bedürfnis, sie zu inhalieren. Ihr Geruch, ihr schönes Lachen und ihre warmen Blicke und Berührungen – all das betört mich.

Wir reden über Literatur, über Poesie – ich halte ihre Hand an meinen Mund – und als sie mich fragt, worüber ich schreibe, rattert es in meinem Kopf.

Sag ich es ihr? Oder nicht? Oder doch? Oder nicht? Was ist, wenn? Und … und. Wie wird sie reagieren?

Fuck. Jetzt oder nie. Was ist stärker – Angst vor HIV oder dieses Gefühl der Liebe?

Liebe ist stärker als die Angst vor HIV

Ich atme tief ein, fange mich. Dann lächle ich, hebe meinen Kopf und sage, stolz und bestimmt: „Wie würdest du reagieren, wenn ich dir sagen würde, dass ich HIV-positiv bin?“

Dann kommt die Stille. Mein Herz setzt kurz aus – zumindest fühlt sich das so an. Die paar Sekunden Stille kommen mir wie Stunden vor.

Sie schaut mich an, fängt an zu lachen. Und dann sagt sie: „Du verdammter Bastard. Du weißt genau, dass du dich gerade viel interessanter gemacht hast.“

Ich lache zurück, bin erleichtert. Ich könnte weinen, so viel Stress und Ballast fällt von mir ab. Ich lehne mich über den Tisch und küsse sie.

Dieser Augenblick der Wahrheit und Liebe verändert mein Leben

Genauso wie die HIV-Diagnose mein Leben verändert hat, wird es auch dieses kurze Gespräch, dieses Geständnis in den nächsten Wochen und Monaten tun.

Denn dieser Augenblick der Wahrheit, der Liebe und der Ehrlichkeit war letztlich der erste Schritt, mich von meinen Ängsten zu erlösen.

An diesem Tag habe ich gelernt, dass ich die Verantwortung für mein Leben als HIV-positiver Mann übernehmen kann. Und dass Liebe über Angst siegt.

Aber in diesem Moment selbst, als wir bei strömendem Regen in dem Café sitzen, ist mir das alles noch gar nicht bewusst.

Erst mal geht es um diese wunderschöne, intelligente Frau vor mir, in die ich mich verliebt habe. Der noch dazu mein HIV-Status scheißegal ist.

Wir stürzen uns in eine wunderschöne und intensive Beziehung. Die erste Beziehung nach meiner HIV-Diagnose.

Befreiung nach Jahren der Angst

Ich fühle mich nach Jahren der Angst, Scham und Schuld wie befreit: Wenn so eine tolle Frau kein Problem mit meinem Virus hat – dann kann es doch tatsächlich kein Problem sein, denke ich mir.

Ein paar Monate geht es mit uns gut, aber schlussendlich sind wir uns dann doch zu ähnlich – wir haben unnötige Konflikte und Streitereien und trennen uns wieder.

Trotzdem ist das für mich keine gescheiterte Beziehung, sondern eher eine Befreiung. Uns verbindet bis heute eine innige Freundschaft, von der wir sehr viel lernen und an der wir wachsen können.

Endlich kann ich mir meine HIV-Infektion verzeihen

Und ich kann mir endlich für meine HIV-Infektion verzeihen. Ich fühle mich nicht mehr schuldig für das, was ich mir zugefügt habe.

Über den Sommer besuche ich meinen Bruder in New York. Er ist gerade Vater geworden und bereitet seinen Umzug nach Europa vor, weshalb ich auch brav mit anpacken muss.

Da ich mich immer mehr in Sachen Kunst mit HIV auseinandersetze, besuche ich in Ausstellungen über die Aids-Krise der 80er und 90er. Ich bin überrascht, wie präsent das Thema hier ist.

Auseinandersetzung mit der Kunst der 1980er- und 1990er-Jahre

Unter anderem besuche ich eine Ausstellung über David Wojnarowicz im Whitney Museum.

David Wojnarowicz war Künstler, Fotograf – und er war HIV-positiv wie ich.

Allerdings in den 80er-Jahren. 1992 ist er an Aids gestorben, da war er 37 Jahre alt. Ein Jahr älter als ich, als ich diesen Text schreibe.

In der Ausstellung hängen Bilder, die David Wojnarowicz von seinem Freund Peter Hujar gemacht hat. Auf den Bildern liegt er im Sterben. Auch er hatte Aids.

Während ich durch die Ausstellung laufe, wird mir quasi vor Augen geführt: HIV war in den 80er- und 90er-Jahren nicht nur Diskriminierung – sondern es war ein Kampf gegen die Zeit, ein Kampf ums Überleben.

Wer damals HIV-positiv war, der hatte maximal ein paar Jahre zu leben.

In einer Ausstellung denke ich: Was wäre, wenn ich keine Medikamente hätte?

Es gab keine Medikamente, die die Viruslast senken, so wie ich sie heute nehme. HIV konnte sich ohne diese Medikamente ungehindert vermehren und so nach und nach das Immunsystem zerstören.

Irgendwann konnte der Körper dann Krankheiten und Krebs nicht mehr abwehren. In diesem Stadium hieß die Krankheit dann Aids – und was folgte, war meistens der Tod.

Mir läuft ein Schauer über den Rücken.

Was wäre, wenn ich nicht getestet worden wäre?

Was wäre, wenn ich nicht diese Medikamente hätte?

Laut meinem Krankheitsverlauf könnte es dann dieses Jahr so weit sein. 2019 könnte bei mir auch Aids ausbrechen.

Ich bin am Leben und habe die besten Medikamente, weil viele Menschen die Vorarbeit geleistet haben.

Mein Verstecken, meine Angst, mich zu zeigen, kommen mir so lächerlich vor. So feig.

Eine Ausstellung zu Krankheit als weiterer Schritt zum HIV-Coming-out

Kurz danach erreicht mich, also mein Pseudonym Philipp Spiegel, die Nachricht, dass ich im Herbst bei einer Gruppenausstellung in London mitmachen darf. Zum Thema Krankheit und Stigmatisierungen.

Ich sage sofort zu, für mich wird es der nächste Dominostein hin zu meinem vollständigen Coming-out sein.

Ein paar Monate später ist es dann soweit. An einem stürmischen Oktober-Abend stehe ich in einer Galerie in London. Es ist die Vernissage.

Ich stelle zwei Fotos aus, zwei Selbstporträts, ich nackt mit einer Schutzmaske, die mein Gesicht verdeckt.

Die zwei Bilder heißen „Super Safe Sex“ – das soll eine Anspielung auf meine Infektion sein.

Ich mische mich unter die Besucher_innen der Ausstellung, bis auf die Kuratorin weiß niemand, wer ich bin.

Ich verstecke mich vor mir selbst, könnte genauso gut ein Gast sein.

Ich kreise um meine Bilder, beobachte fasziniert das Geschehen. Ich versuche, mitzuhören, was die Leute sagen, wenn sie meine Bilder betrachten.

Da hänge ich nackt an der Wand, stehe daneben und beobachte

Zwischendurch ist da der Impuls, auf sie zuzugehen. Mich zu zeigen.

Aber immer, wenn ich den ersten Schritt wagen will, zieht mich irgendwas wieder zurück.

Während ich mein Gesicht verstecke, schauen die Besucher_innen der Ausstellung meine Selbstporträts an.

Sie sehen das Bild, mein nackter Körper auf Augenhöhe.

Und sie lesen interessiert den Text dazu, der erklärt, wie es zu meiner Ansteckung kam.

Dass ich ein intensives, romantisches Wochenende mit einer Frau hatte, die ihre Periode hatte. Die nicht wusste, dass sie hoch ansteckend war. Dass natürlich Blut mit einer hohen Virenmenge im Spiel war.

Philipp Spiegel wird enttarnt – und ist unendlich dankbar

Es überkommt mich ein eigenartiges Gefühl. Da hänge ich nackt an der Wand, stehe daneben und beobachte das Ganze aus der Ferne. Ich frage mich, wen ich hier mehr verarsche, mich oder die Besucher_innen?

Ich bin nervös und unruhig und einfach mit der skurrilen Situation überfordert.

Ich drehe eine Runde durch die Galerie, hole mir ein Glas Wein, lege mehr Visitenkarten auf einen Tisch, schau mir die anderen, tollen Werke an. Über Krankheiten, Verunsicherungen und Akzeptanz – und wie die Künstler_innen vor ihren Arbeiten stehen. Voller Stolz erzählen. Und ich bewundere sie für ihren Mut.

Plötzlich kommt ein junger Mann auf mich zu, zeigt zu meinen Bildern und fragt: „Das bist du, oder?“

Ertappt. Ich reiße die Augen auf. Panik. Angst… und Befreiung.

Ich grinse. Fang an zu lachen. „Ja“, sage ich viel zu laut. Ein paar Leute drehen sich zu mir um.

Endlich: Ich rede und rede und rede

Dann fange ich an zu reden und zu reden und zu reden.

Ich erzähle, erkläre und beantworte alle Fragen, die die Besucher_innen mir stellen. Wie bei einem Geständnis erzähle ich von Tabubrüchen, davon, dass Philipp Spiegel Artikel über HIV geschrieben hat, in denen er sich zu allem bekennt.

Wir reden über Schein-Moral und Sexualität.

Wir lachen, wir philosophieren, es geht um Sex, Spaß und übertragbare Krankheiten. Aber nicht dramatisch oder traurig – sondern lustig, leicht und interessiert.

Und wieder fällt ein Gewicht von meinen Schultern.

HIV gehört zum Leben, aber bestimmt es nicht mehr

Es stellt sich heraus, dass der junge Mann, der mich gefragt hat, gesehen hat, wie ich meine Visitenkarten hingelegt habe – so hat er mich enttarnt. Und ich bin ihm irrsinnig dankbar dafür.

Denn an diesem Abend bekommt mein Pseudonym, Philipp Spiegel, endlich ein Gesicht. Mein Gesicht.

Ich mache an diesem Abend in London den nächsten Schritt – übernehme endlich noch mehr Verantwortung. Es war eine Verwandlung. Ein Prozess den ich gebraucht habe.

An diesem Abend bekommt mein Pseudonym endlich mein Gesicht

Ja, ich bin HIV-positiv, ich trage dieses Virus in mir.

Es gehört zu meinem Leben, aber es bestimmt mein Leben nicht mehr einzig und allein.

Ich kann nun selbst entscheiden, wie schwer diese Last für mich ist. Und für andere.

Vor einem Jahr habe ich Frauen, die ich kennenlernte, meistens nicht von meiner Infektion erzählt.

Mein Virus war damals genauso wenig übertragbar wie heute – jedoch war meine Angst ansteckend.

Ich schämte mich, hatte Angst vor Ablehnung und vor den verschreckten Blicken.

Wenn ich davon erzählt habe, dann voller Scham und Schuld: „Ich muss dir etwas ganz Schlimmes sagen, das ist ganz fürchterlich und du wirst schockiert sein. Ich bin HIV-positiv.“

So habe ich die Angst, die mein Leben dominiert hat, meinem Gegenüber weitergegeben. HIV war ein Makel.

Heute gehe ich souverän mit HIV um

Heute mach ich das umgekehrt. Heute sage ich souverän: „Ich schreibe über Sexualität und über HIV… und ja, ich bin HIV-positiv. Ich möchte davon erzählen, weil so wenige Leute etwas darüber wissen. Weil es mir die Möglichkeit gegeben hat, mich mit mir und meiner Sexualität auseinanderzusetzen. Auf eine Art und Weise, wie ich es sonst nie getan hätte. HIV hat mir eine Möglichkeit gegeben, mich meinen Ängsten zu stellen und sie zu überwinden.“

Wenn ich so darüber spreche, dann mache ich mich vielleicht verletzlich, aber gleichzeitig auch stärker als je zuvor.

Ich trage die Verantwortung für meine Infektion. Anstatt sie als Makel zu sehen, drehe ich es einfach um und sehe sie als Bereicherung für meine Entwicklung.

Ja, es ist scheiße, HIV-positiv zu sein; aber auch das kann man als Lernprozess nutzen. Wie meine Freundin es damals sagte: Es kann mich interessanter machen.

Das Pseudonym Philipp Spiegel ist kein Schutzschild mehr, sondern Marker

Ich heiße in Wahrheit Christopher, Philipp ist mein zweiter Vorname.

Das Pseudonym Philipp Spiegel habe ich beibehalten. Immer wenn ich mich mit HIV auseinandersetze, tue ich das unter dem Namen Philipp Spiegel.

Es ist für mich ein Ventil geworden. Mein Alter Ego. Mein Künstlername.

Als Christopher bin ich einfach Fotograf, ich habe diverse Kund_innen, die mich buchen. Die müssen nicht unbedingt von meinen sexuellen Abenteuern lesen oder Bilder von meinem Penis zugemutet bekommen.

Der einzige Weg, meine Angst zu besiegen, war, ihr in die Augen zu schauen

Ja, und wer es ganz genau wissen will, der kann einfach auf meine Website gehen, da steht eigentlich alles über mein Pseudonym und auch über mich.

Fünf Jahre, nachdem ich von meiner HIV-Infektion erfahren habe, bin ich froh, dass ich endlich ganz offen dazu stehen kann.

Der einzige Weg, meine Angst zu besiegen, war, ihr in die Augen zu schauen.

Ich kann selber entscheiden, wie viel Macht ich ihr gebe.

* Der Beitrag wurde zuerst im Februar 2018 auf deutschlandfunknova.de veröffentlicht. Wir danken Philipp Spiegel und der Redaktion von Einhundert/deutschlandfunknova.de herzlich für die Erlaubnis zur Zweitveröffentlichung!

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