Sex, Aids und Wut
Am 15. November wurde der erste Teil der Ausstellung „LOVE AIDS RIOT SEX“ in den Räumen der neuen Gesellschaft für bildende Kunst in Berlin eröffnet. Die Schau spiegelt die künstlerische Auseinandersetzung mit HIV und Aids wider. Von Axel Schock
2013 ist ein Jahr der Jubiläen: die Deutsche AIDS-Hilfe feierte gerade ihren 30. Geburtstag, Positiv e.V. den 25., der Welt-Aids-Tag findet zum 25. Mal statt, und vor 30 Jahren entdeckten Wissenschaftler das HI-Virus. Aids ist mittlerweile ein Teil der Geschichte, und zumindest in den westlichen Ländern ist aus der einst unvermeidlich tödlichen HIV-Infektion eine chronische Krankheit geworden.
Die Bilder von massenhaftem Sterben, elendem Siechtum, offener Ausgrenzung, von Wut und Verzweiflung gehören weitgehend der Vergangenheit an. Die neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) ruft sie nun mit der Ausstellung „LOVE AIDS RIOT SEX“ noch einmal ins Gedächtnis zurück.
Künstlerischer Umgang mit der Bedrohung durch Aids
Mit „Vollbild Aids“ hatte Kurator Frank Wagner bereits vor 25 Jahren – noch ein rundes Jubiläum – die europaweit erste und damals breit und kontrovers diskutierte Ausstellung zu Kunst und Aids zusammengestellt. In einem stillgelegten Berliner S-Bahnhof war zu erleben, wie sich Künstler aus Europa und den USA mit der noch lange nicht gebändigten Bedrohung durch Aids ebenso wie mit den damals unkalkulierbaren gesellschaftlichen Reaktionen auf die Krankheit auseinandersetzten.
Eine ganze Reihe der damals gezeigten Arbeiten sind nun auch Wagners neuem Ausstellungsprojekt zu sehen, genauer gesagt in dessen erstem Teil: Während sich die gerade eröffnete Schau auf die Jahre 1987 bis 1995 konzentriert, wird in der Fortsetzung ab Januar zu erleben sein, wie sich die durch die antiretrovirale Therapie entscheidend veränderte (Über-)Lebenssituation der HIV-Infizierten auch auf den künstlerischen Diskurs auswirkte.
In den 1980ern und frühen 1990er Jahren waren es fast ausschließlich schwule Künstler, die sich dem Thema HIV und Aids widmeten. Im Vordergrund stand zumeist die Dokumentation der prekären Lebensverhältnisse im Zeichen einer Krankheit, die unvermeidlich zum Tode führte.
Zweieinhalb Jahre lang porträtierte beispielsweise Aron Neubert im Monatsrhythmus seinen aidskranken Fotografenkollegen Jürgen Baliga, ließ ihn mit seinem bereits zu Lebzeiten gefertigten Grabstein posieren, zeigte ihn bei ACT-UP-Aktionen und nackt und abgemagert im fortgeschrittenen Krankheitsstadium. Koni Nordmann wiederum dokumentierte den Arbeitsalltag des Zürchers Heiko Sobel, des ersten Aids-Pfarrers Europas, und Uwe Boek protokollierte in unaufdringlichen Schwarz-Weiß-Bildern den Alltag dreier Aidskranker zwischen einsamem Frühstück, Arztbesuch und Tabletteneinnahme.
Bilder von Würde und Kraft, dem Tod abgetrotzt
Die meisten der fotografierten Menschen sind schon vor vielen Jahren an den Folgen der Krankheit verstorben. In den Bildern bleibt nicht nur die Erinnerung an sie gewahrt, sondern auch ihre Würde und die Kraft, mit der jeder Tag dem Tode abgetrotzt wurde. Zu spüren ist zum anderen aber auch allenthalben die Einsamkeit und Isolation.
Nur selten sieht man in dieser Ausstellung HIV-Positive und Aidskranke in Gemeinschaft. Einen zunächst eher bizarr und komisch wirkenden, dann aber sehr berührenden Kommentar auf diese Vereinsamung stellt ein Video des New Yorker Multimedia-Künstlers Neil Goldberg dar. Der Endlosclip zeigt in schneller Schnittfolge Aidskranke, die ihre Katze streicheln – das Haustier als das womöglich einzig verbliebene Wesen, das noch uneingeschränkte Nähe und Berührung zulässt.
„LOVE AIDS RIOT SEX“ erinnert allerdings nicht nur an das Leid des Einzelnen beziehungsweise an das kollektive Trauma der Hauptbetroffenengruppen. Aids hat im ersten Jahrzehnt der Epidemie auch eine ungeheuer tatkräftige und kreative Protestbewegung mit politischen Aktionsgruppen wie ACT UP und Künstlergruppen wie Gran Fury und General Ideal hervorgebracht, die in der direkten Nachfolge des Agitprop gegenwärtige, provokante Kunst mit klaren politischen Botschaften schufen.
Dafür wurden häufig bereits bestehende und bekannte Motive plagiiert und für die eigenen Zwecke verändert. General Idea etwa adaptierte Robert Indianas berühmtes Gemälde „LOVE“ und ersetzte die vier Buchstaben durch „AIDS“ – die eigens geschaffene Farbvariation in Schwarz, Rot und Gold ist bis heute das Logo der Deutschen AIDS-Stiftung. Gran Fury wiederum imitierten für eine Plakataktion auf Bussen ein Werbemotiv von Bennetton, das drei Paare beim Küssen zeigt. Für Irritationen sorgte nicht nur, dass zwei von ihnen gleichgeschlechtlich sind, sondern auch die klare Botschaft an die Verantwortlichen in den Pharmakonzernen wie auch in der Politik: „Kissing doesn’t kill: Greed and Indifference Do“ („Küssen tötet nicht, Habsucht und Gleichgültigkeit tun es“). Das bewegte und erregte – ein Foto zeigt, wie die Motive 1990 in Chicago zwei Tage nach der Plakatierung aussahen: konservative christliche Gruppen hatten sie überall in der Stadt übermalt.
„LOVE AIDS RIOT SEX I – Kunst Aids Aktivismus 1987–1995“ läuft noch bis zum 5. Januar 2014 in den Räumen der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst in der Oranienstraße 25 in 10999 Berlin (Mo–Mi 12–19 Uhr, Do–Sa 12–20 Uhr, Eintritt frei).
Führungen mit dem Kurator Frank Wagner am 21. und 28. November, 12. Dezember und 2. Januar, jeweils 18 Uhr. Sonntag, 1. Dezember, 18 Uhr: Gespräch zwischen den Künstlern John Lindell (Gran Fury) und AA Bronson (General Idea)
„LOVE AIDS RIOT SEX II – Kunst Aids Aktivismus 1995 bis heute“ eröffnet am 17. Januar 2014 um 19 Uhr.
Ende Januar 2014 erscheint eine Publikation zum Ausstellungsprojekt mit Texten von Martin Dannecker, Frank Wagner und Gran Fury.
Diesen Beitrag teilen