FERNSEHDOKUMENTATION

Zurück an den Ursprung

Von Axel Schock
Wo und wann nahm die HIV-Epidemie ihren Anfang? Die TV-Dokumentation „Aids – Erbe der Kolonialzeit“ begleitet Forscher bei ihrer Spurensuche.

Wie aus dem Nichts war Anfang der 1980er-Jahre das mysteriöse Virus in den USA aufgetaucht. Dass es zunächst vor allem Schwule und Schwarze zu treffen schien, regte die Fantasie von Verschwörungstheoretikern an. Doch HIV ist weder die Folge eines außer Kontrolle geratene Laborunfalls noch ein gezielt von Geheimdiensten in unliebsame Bevölkerungskreise eingeschleustes biologisches Vernichtungsmittel.

Einzelne Aidsfälle konnten anhand archivierter Gewebeproben in den USA bereits für die 1960er-Jahre nachgewiesen werden, auch wenn damals noch niemand die Ursachen für die Erkrankungen erklären konnte. Wo aber liegt der Ursprung des HI-Virus? Wann hat die erste Übertragung vom Tier auf den Menschen stattgefunden?

Spurensuche als Wissenschaftskrimi

Der Biologe und TV-Dokumentarist Carl Gierstorfer hat für seine Reportage „Aids – Erbe der Kolonialzeit“, die am 28. November auf ARTE ausgestrahlt wird, Forscher über einige Jahre bei ihrer Spurensuche begleitet. Der Titel des einstündigen Films verrät bereits, wohin die Zeitreise führt und wie sicher sich die Experten sind: Auf ein Fragezeichen, auf das man bei nicht gänzlich gesicherten Forschungsthesen gerne zurückgreift, hat Gierstorfer verzichtet.

Dabei bedient sich der Filmemacher durchaus einiger Mittel, wie sie ansonsten eher in spekulativen und weniger seriösen Wissenschaftssendungen Verwendung finden: Die Suche nach in Paraffin konservierten Gewebeproben und nach alten Patientenakten in zugerümpelten Krankenhauskellern im Kongo wird mit einem dräuenden Thriller-Soundtrack zugekleistert, um daraus eine Art Wissenschaftskrimi zu machen.

Mit solchen Dramatisierungen will man erreichen, dass der Zuschauer bei der Stange bleibt. Notwenig sind sie nicht. Denn Gierstorfer gelingt es, die wissenschaftliche Argumentationskette durchaus auch für Laien verständlich zu machen – und die ist auch ohne aufgesetzte Suspense-Elemente abenteuerlich und spannend genug.

Der Kongo als Epizentrum der Pandemie

Dem belgischen Arzt und Mikrobiologen Dr. Peter Piot, der Anfang der 1980er-Jahre am Antwerpener Institut für Tropenmedizin die ersten Aidspatienten behandelte, war seinerzeit aufgefallen, dass unter ihnen auffällig viele Kongolesen oder im Kongo lebende Europäer waren. Beim Besuch eines Krankenhauses in der Hauptstadt Kinshasa bestätigte sich sein Verdacht: Er begegnete dort einer ganzen Reihe von Patienten mit Aidssymptomen. Warum aber sollte sich ausgerechnet in dem zentralafrikanischen Staat das Epizentrum der Aidspandemie befinden?

Um 1900, so haben die Wissenschaftler errechnet, muss die ursprüngliche Form des Virus, das im Kot von heute lebenden Schimpansen nachgewiesen werden kann, vermutlich beim Schlachten und Verzehr von Wildtieren auf den Menschen übergesprungen sein. Danach hat es sich dem Menschen angepasst – eine nicht sonderlich überraschende Parallele zum Ebola-Virus, das ebenfalls durch die Zubereitung und den Verzehr von Affenfleisch übertragen wird.

Fatale Folgen der Kolonialzeit

Dass sich das Virus aber ausbreiten und um 1960 zu einer – damals unerkannten – ersten HIV-Epidemie führen konnte, sei letztlich aber den belgischen und französischen Kolonialmächten zuzuschreiben, so die Argumentation der Forscher. Denn diese hatten bei der Ausbeutung der Region offenbar ideale Bedingungen dafür geschaffen.

Als in Französisch-Äquatorialafrika eine Schlafkrankheit-Epidemie ausbrach, wurde massenhaft geimpft: mit lediglich sechs nicht sterilisierten Spritzen wurden Tausende Injektionen verabreicht. Die Kolonialherren wiederum schleppten die Syphilis ein, die sich unter anderem durch Prostitution schnell ausbreitete. Die Syphilis führte zu den für diese bakterielle Infektion typischen Wunden, die das HIV-Übertragungsrisiko deutlich erhöhen. Die steigende Mobilität sowie kriegsbedingte Bevölkerungsbewegungen trugen zudem zur Verbreitung bei.

80 Jahre hat es gedauert, bis das Virus und die HIV-Epidemie überhaupt erst entdeckt wurden. Und es steht zu befürchten, dass weitere Erreger die Tier-Mensch-Schranke durchbrechen und damit neue Infektionskrankheiten entstehen werden. Aus den bei HIV gemachten Fehlern hat die Forschung allerdings gelernt: In Südostkamerun werden bei Menschen, die engen Kontakt zu Wildtieren haben, regelmäßig Blutproben entnommen, um auffällige Veränderungen frühzeitig zu erkennen.
„Aids – Erbe der Kolonialzeit“. Buch und Regie Carl Gierstorfer. D 2014, 52 Minuten.

Ausstrahlung am 28. 11., 21.50 Uhr, ARTE. Wiederholung am 1. 12., 8.55 Uhr

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