Don’t talk, don’t show
In Ost-Europa ist ein Rollback im Gange, der die Menschenrechte von Schwulen und Lesben, Bi- und Transsexuellen massiv gefährdet. Noch ist unklar, ob es sich bei der neuen Strategie „Don‘t talk, don‘t show“ um ein letztes Aufbäumen der Konservativen handelt oder ob sie erfolgreich sein werden. In St. Petersburg läuft im Moment der Feldversuch: ein neues Gesetz verbietet die „Propaganda für Homosexualität“ – das heißt, das öffentliche Sprechen übers Schwul- oder Lesbischsein. Mehrere Aktivisten wurden bereits verhaftet und zum Teil zu erheblichen Geldstrafen verurteilt. Die Summen für Institutionen und Vereine können dabei das Mehrfache eines russischen Jahresgehaltes erreichen. Die Aktivisten vor Ort befürchten ein völliges Zerschlagen der schwullesbischen Infrastruktur – inklusive der HIV/Aids-Aufklärung und der Coming-out-Arbeit.
Madonna ist mutiger als der Außenminister
Und St. Petersburg ist nur der Anfang. Drei weitere Regionen Russlands haben ein ähnliches Gesetz verabschiedet und in die nationale Duma ist eine Vorlage eingebracht. In der Ukraine und in Moldawien gibt es Nachahmer in einzelnen Städten. Die Bundesregierung schweigt öffentlich zu all dem. Sie hat keine Strategie. Dabei müsste man dem Versuch des Totschweigens Öffentlichkeit entgegen setzen. Madonna wird im Juni in St. Petersburg auftreten und hat angekündigt, gegen das Gesetz von der Bühne aus zu protestieren. Soviel Mut wünschte man sich von unserem Außenminister und soviel Interesse von Kanzlerin Merkel.
Generell gilt: Die beste Strategie für gleiche Rechte ist die Annäherung an die EU. In Polen wird heute über eine Eingetragene Lebenspartnerschaft diskutiert – vor 10 Jahren undenkbar! Und es wird deutlich, dass in den Staaten, die der Europäischen Union beigetreten oder auf dem Weg dorthin sind, die Rechte von Schwulen und Lesben etwa bei Pride-Märschen geschützt werden. Wo in Moskau und Minsk die Polizei auf Schwule und Lesben einprügelt – wie ich bereits selbst erleben durfte –, werden in Belgrad und auch in Budapest die CSDs von Beamten geschützt. Ich bin gespannt, wie der erste Pride-Marsch in Kiew am 20. Mai ablaufen wird, an dem ich selbst teilnehmen will.
Aber auch EU-Staaten sind vor dem Rollback nicht sicher. In Ungarn müssen wir wachsam sein. Dort sitzen Neo-Nazis im Parlament und fordern die Wiedereinführung von Haftstrafen für Schwule und Lesben. In Finnland fordern die dortigen „Wahren Finnen“, dass Schwule und Lesben eine Armbinde tragen sollen. All das zeigt: Der Kampf ist nicht gewonnen. Im Osten erhebt sich das hässliche Gesicht der Homophobie erneut. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass es das letzte Zucken einer sterbenden Gesinnung bleibt. Mit Solidarität und Aufmerksamkeit!
Volker Beck ist seit 1994 Kölner Bundesstagsabgeordneter. Er ist Erster Parlamentarischer Geschäftsführer und menschenrechtspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen und Mitglied im Parteirat der Grünen.
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