Queere Community in Afrika

Eine queere Nacht in Accra

Von Gastbeitrag
In Accra, der Hauptstadt Ghanas, bietet ein monatlich stattfindendes Event queeren Menschen einen Ort zur Selbstentfaltung in dem großteils queerphoben westafrikanischen Land | © Carl Collison
Ghanas queere Community lebt tagtäglich unter dem Druck eines gewaltigen religiösen Fundamentalismus. Einmal im Monat bietet ihnen die „Yolo Lounge“, ein Kollektiv queerer Millennials, einen Ort, an dem sie loslassen und ein Gefühl der Zugehörigkeit entwickeln können.
Von Carl Collison

Accra ist einer der Orte, an denen man keinen Rosenkranz durch die Luft werfen kann, ohne den Wohlstand versprechenden Gebetsschuppen einer Pfingstgemeinde zu treffen. Die Millionenstadt ist, wie der Rest von Ghana, ein tiefreligiöser Ort.

Geschäfte tragen Namen wie „Gott-Ist-Eins-Spezial-Imbiss“ oder „Christus-ist-die-Antwort-Boutique“. Es gibt eine seltsame „Pension zur heiligen Dreieinigkeit“, das Café „Gottes Zeit ist die beste“ und das „Gott-mit-Uns“-Nagelstudio. Poster und Plakatwände flehen die Menschen an: „Komm zurück zu Jesus!“

„Heimtückische Wirkung auf die individuelle Selbstentfaltung“

„Die Leute hier sagen gerne, dass alle Ghanaer_innen in den Himmel kommen, weil wir so religiös sind“, bemerkt ein LGBTQIA+-Aktivist ironisch.

Wenn man den ghanaischen religiösen Konservativen Glauben schenkt, dann lautet der Spruch eher „alle Ghanaer, außer den Queers“.

In einem Bericht aus dem Jahr 2018 stellte Human Rights Watch fest, dass „die Kombination der Kriminalisierung einvernehmlichen gleichgeschlechtlichen Verhaltens von Erwachsenen [gemäß Abschnitt 104 des Strafgesetzbuches des Landes] und des zutiefst religiösen und sozial konservativen ghanaischen Kontextes eine heimtückische Wirkung auf die individuelle Selbstentfaltung hat.“

„Alle Befragten [für den Bericht] sagten, dass sie entweder das Gefühl hatten, keine andere Wahl zu haben, als selbstzensierendes Verhalten anzunehmen, oder, schlimmer noch, ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität zu verleugnen, um dem Verdacht von Familienmitgliedern und den Gemeinschaften, in denen sie leben, zu entgehen“, heißt es darin weiter.

Mit Trotz und Selbstorganisation gegen Queerfeindlichkeit

In einer trotzigen Geste von „Nimm deinen Hass und schieb ihn dir in den Hintern“ organisiert eine Gruppe junger queerer Aktivist_innen monatliche Veranstaltungen für die queere Community in der weitläufigen Hauptstadt.

Das vor zwei Jahren gegründete Kollektiv „Yolo Lounge“ besteht aus Moore, Cherry, Rash Berry und Nana (das sind die Spitznamen, unter denen sie bekannt sind).

Da soziale Räume für queere Menschen in Accra sehr selten sind, bieten die Veranstaltungen einen dringend benötigten Raum für die Community. „Die Religion ist der größte Stolperstein für unsere Rechte. Wir müssen Räume für Sichtbarkeit schaffen, damit die Menschen wissen, dass es uns gibt“, sagt der 23-jährige Moore.

„Wir müssen Räume für Sichtbarkeit schaffen“

Es scheint zu funktionieren. An einem Samstagabend in einer schicken Pool-Lounge und Bar in der Stadt machen sich die knapp 250 Queers, die an der „Color-Your Space“-Party des Kollektivs teilnehmen, sehr, sehr sichtbar.

Sasso („schwule Jungs“ in der Landessprache Ga) tragen regenbogenfarbene Taschen zur Schau und wunderschöne, großbrüstige Supi (Lesben) schaukeln mit Cocktails in der Hand ihre Afros und Bikinis im Wasser. Ansteckendes Lachen liegt in der Luft, wenn der neueste Klatsch ausgetauscht und gegenseitig die Outfits begutachtet werden.

„Es ist eine Poolparty und du trägst Balenciaga“, spöttelt jemand.

Ein anderer löst mit seinem Bekenntnis „Ich würde gerne twerken, aber ich habe keinen Hintern“ einen Spontan-Workshop aus.

Party und kollektive Erleichterung

„Klar, kannst du! Schau mir einfach zu …, wie ich u-u-u-ntertauche!“, kommt die schelmische Antwort, gefolgt von einem fieberhaften Unterwasser-Twerking!

Ab und zu fliegen die Hände im Rhythmus nach oben, während die Hüften zu den dröhnenden Beats von P-Square, Nicki Minaj und Rihanna kreisen. Die Party-Atmosphäre fühlt sich wie ein riesiger kollektiver Seufzer der Erleichterung an.

Angriffe durch religiöse Führer

Dabei hat die LGBTQIA+-Community Ghanas gerade erst wieder den Stachel des religiösen Konservatismus gespürt, nachdem bekannt wurde, dass die „Pan Africa International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association“ im Juli eine Konferenz in Accra veranstalten wollte. (1) Die Versammlung wäre die erste ihrer Art für Westafrika, und Ghanas Konservative und religiöse Führer sind „not amused“.

„Sie beleidigen uns …“, sagte Moses Foh-Amoaning, Exekutivdirektor der Nationalen Koalition für angemessene sexuelle Menschenrechte und Familienwerte.

Der örtliche Imam der Ashanti-Region, Sheihk Muumin Abdul Haroun, griff das Thema in einem Radiointerview auf und beschrieb Queerness als ein „Übel, das in keiner Weise geduldet werden darf, weil es von Gott verachtet wird“.

„Wallahi tallahi [ich schwöre] wir werden nicht zustimmen. Wir Muslime, Christen und die traditionelle Religion werden uns alle erheben. Wir werden nicht zulassen, dass sie auch nur einen Fuß hierhersetzen, und nicht einmal die Regierung kann sich uns in den Weg stellen. Das Land gehört ihnen nicht. Es gehört uns, also entscheiden wir, wer hier was tut“, sagte er gegenüber GhanaWeb.

Den Organisator_innen der Veranstaltung geht es vor allem darum „Sichtbarkeit zu schaffen“ | Bild: © Carl Collison

Queere Menschen in Ghana sollen sehen, dass sie nicht allein sind

Für die „Yolo Lounge“ ist der monatliche Raum für queere Menschen unerlässlich, um gegen Intoleranz vorzugehen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass sich Queers weniger isoliert fühlen. „Das einzige, was wir mit diesen Veranstaltungen erreichen wollen, ist, dass die queeren Menschen hier in Ghana sehen, dass sie nicht allein sind. Dass sie dort draußen eine größere Familie haben. Das ist für uns sehr wichtig“, sagt Moore.

„Und wenn ich die Community so sehe, sehe ich so viel Leben. Denn jeder Teil unseres täglichen Lebens wird normalerweise eingeschränkt. An einem Ort, an dem sie die Möglichkeit haben, sie selbst zu sein, kommt so viel Leben aus ihnen hervor.“

„Gestern Abend hatte ich tatsächlich das Gefühl, Leute wie mich um mich herum zu haben. Ich fühlte mich sicher dort. Und spürte ein Gefühl der Zugehörigkeit. Es war einfach voller Liebe, Glück und so viel Freude“, sagt Michael*, ein Transmann, am Tag nach dem Ereignis.

„Ich habe eine ganze Gemeinschaft, die mich unterstützen wird“

„Solche Dinge sind in unserer Community sehr wichtig, denn die Menschen kämpfen tagtäglich gegen Depressionen. Und wenn sie an solchen Treffen teilnehmen, weiß ich, dass es diese Depressionen und andere Dinge verringern wird. Auch ich war, bevor ich gestern das Haus verließ, nicht glücklich. Ich war niedergeschlagen. Aber als ich dort ankam und sah, wie es allen ging, fühlte ich eine gewisse Freude. Ich wurde einfach glücklich.“

Ayisha*, eine junge queere Aktivistin, schließt sich Michaels Gefühlen an. „Die gestrige Veranstaltung war unglaublich. Ich hatte wahnsinnigen Spaß. Die Community kennenzulernen und das Gefühl zu haben, dass ich dazugehöre! Die Leute haben gelacht und sich umarmt … es war herzerwärmend.“

„Weißt du“, fügt sie hinzu, „so oft, wenn man in seinem Schneckenhaus steckt, hat man das Gefühl, dass es Leute wie uns nicht gibt. Aber wenn man eine solche Veranstaltung besucht, bekommt man das Gefühl, okay, ich bin damit nicht allein. Ich habe eine ganze Gemeinschaft da draußen, die mich unterstützen wird. Und für uns hier ist das sehr, sehr wichtig.“

*Namen von der Redaktion geändert

(1) Die Konferenz wurde mittlerweile aufgrund der Corona-Krise auf unbestimmte Zeit verschoben.


Der Artikel erschien zuerst auf Englisch bei New Frame.

Aus dem Englischen übersetzt von Dirk Ludigs.

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