HIV „down under“: Wie sieht’s eigentlich bei den Aborigines aus?
Australien hat eine der niedrigsten HIV-Raten der gesamten westlichen Welt. Bis Ende 2011 wurden dort rund 31.600 HIV-Infektionen diagnostiziert, damals lebten ca. 25.000 Menschen im Land mit HIV, etwa 0,1 Prozent der Gesamtbevölkerung. Das entspricht etwa der Situation in Deutschland mit seiner fast viermal so großen Bevölkerung, wo Ende 2011 ungefähr 73.000 Menschen mit HIV lebten.
Gleich zu Beginn der Aids-Epidemie haben sich „down under“ zivilgesellschaftliche Organisationen gegründet, um politischen Druck zu erzeugen und dasVirus zu bekämpfen, und auch der Staat wurde früh aktiv. Besonders bekannt wurde ein 1987 ausgestrahlter und kontrovers diskutierter Fernsehspot zur Aids-Aufklärung, in dem ein „grimmiger Sensenmann“ auf einer Bowlingbahn immer mehr Menschen „wegkegelt“.
Vor HIV sind nicht alle gleich
Die Zahlen sprechen für eine insgesamt erfolgreiche HIV-Prävention. Doch vor HIV sind nicht alle gleich: Während die HIV-Rate auch bei den rund 470.000 Aborigines und Bewohnern der Torres-Strait-Inseln nicht über jener in der Allgemeinbevölkerung liegt, sind die Übertragungswege bei ihnen deutlich anders: 13 Prozent der Infektionen bei der indigenen Bevölkerung gehen auf den intravenösen Drogengebrauch zurück – in der Gesamtbevölkerung sind es nur zwei Prozent, während der Sex unter Männern, in beiden Bevölkerungsgruppen der häufigste Übertragungsweg, bei den Aborigines seltener Grund für eine Ansteckung mit HIV ist (56 Prozent gegenüber 72 Prozent).
Auch andere sexuell übertragbare Infektionen werden bei Aborigines bis zu viermal häufiger diagnostiziert als beim Rest der australischen Bevölkerung. Eine gerade veröffentlichte Studie des Kirby Institute for Infection and Immunity in Society zeigt, dass die Chlamydien-Infektionsrate bei den Indigenen innerhalb von drei Jahren von 22 auf 41 Prozent gestiegen ist, womit sie – wie auch bei Hepatitis – viermal so hoch ist wie bei der nicht indigenen Bevölkerung Australiens. Bei der infektiösen Syphilis ist die Rate fünfmal, bei Gonorrhö sogar 21-mal so hoch. Bei Reihenuntersuchungen wurden bei 80 Prozent der getesteten Aborigines sexuell übertragbare Infektionen festgestellt.
Marginalisierung und Diskriminierung sind tödlich
Doch wo liegen die Gründe für diese beeindruckenden oder besser: erschütternden Zahlen? Ein Blick in die Statistiken zeigt: Die indigene Bevölkerung ist unterdurchschnittlich gebildet, öfter obdachlos, wesentlich häufiger ohne Arbeit, gehört meist zum ärmsten Teil der Gesellschaft und ist in den Gefängnissen deutlich überrepräsentiert. Soziale Isolation und Vorurteile machen den Einzelnen und den Gemeinschaften zu schaffen. Aufgrund langer Entwertung der Aborigines-Kultur ist es für sie schwer, eine positive Identität zu entwickeln.
Eine Folge dieser Marginalisierung ist ein Kreislauf aus Entrechtung, Demoralisierung, niedrigem gesellschaftlichen Status und schlechter Gesundheit. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Nachkommen der Ureinwohner liegt wesentlich niedriger als die ihrer restlichen Landsleute – Aborigines sterben bis zu 20 Jahre früher als andere Australier.
Der Großteil der indigenen Bevölkerung lebt in weit abgelegenen Homelands – und hat damit bestenfalls Zugang zu einer medizinischen Grundversorgung. Das stets wechselnde ärztliche Personal wird zumeinst nur alle paar Monate für kurze Zeit eingeflogen, der Aufbau einer Vertrauensbasis und eine kontinuierliche Behandlung sind so kaum möglich. Zwar gibt es in größeren Aborigines-Siedlungen auch Kliniken und Praxen, die sich speziell um Geschlechtskrankheiten kümmern, doch viele Aborigines meiden sie aus Scham sowie Angst vor Stigmatisierung.
Gesundheit ist nicht gleich Gesundheit
Hinzu kommt, dass Gesundheit von den Aborigines anders verstanden wird als in der westlichen Medizin. Für die Nachkommen der Ureinwohner bezieht sie die Gemeinschaft, den Körper, die Umgebung, das Land, die Beziehungen bis hin zu den Regeln und Gesetzen mit ein. Gesundheit bedeutet also viel mehr als in einem individuellen Verständnis, sie umfasst das soziale, emotionale und kulturelle Wohlbefinden der gesamten Gemeinschaft. Um erfolgreiche Aufklärung und Behandlung anbieten zu können, muss man diese Dimension des Gesundheitsbegriffs mitdenken – anders erreicht man die Menschen nicht nachhaltig.
So wird der „Mainstream“-Gesundheitsversorgung zum Beispiel vorgeworfen, zu unpersönlich zu sein und zu wenig auf die individuellen Bedürfnisse und Traditionen der Aborigines einzugehen. Häufig gibt es etwa Bedenken, sich von gegengeschlechtlichem medizinischem oder pflegerischem Personal behandeln oder versorgen zu lassen. Problematisch ist auch, dass es kein oder kaum Personal aus ihrer eigenen Community gibt – mitunter kann schon die Sprache ein Problem sein, denn manchmal ist Englisch erst die Dritt- oder Viertsprache der Aborigines.
Kultursensible Prävention
Dieser Umstand wie auch die mangelnde Bildung vieler Aborigines macht klassische HIV-Präventionsmaterialien wie etwa Aufklärungsbroschüren wenig effektiv. Deshalb hatten sich bereits 1987 Mitarbeiter eines Aborigines-Gesundheitsprojektes in Townsville eine neue Form ausgedacht, um die wichtigsten Safer-Sex-Botschaften in ihrer Community zu vermitteln: Sie schufen die Comicfigur Condoman, dessen klassisches Superheldenkostüm in den Farben der Aborigines-Flagge leuchtet.
Die Figur, die in den frühen 90er-Jahren vor allem unter jungen Menschen Kultstatus erreichte und zu einer nationalen Ikone der HIV-Prävention wurde, machte erfolgreich Werbung für den Kondomgebrauch. Die zentrale Botschaft lautete: Safer Sex ist nichts, wofür man sich schämen muss. Und: Sich beim Sex zu schützen, greift keineswegs die Männlichkeit an, sondern zeugt von männlicher Verantwortung für die Sexualpartner.
Doch so erfolgreich die Kampagne auch war und weiterhin ist – 2012 bekam der Condoman mit Lubelicious auch eine Partnerin an die Seite gestellt –, wurde sie auch von Anfang an stark kritisiert. Statt die Sexualaufklärung auf ein letztlich diskriminierend niedriges Niveau herunterzuschrauben, solle man lieber den Menschen in ihrer eigenen Sprache die Grundkenntnisse über Krankheitserreger, Schutz und Behandlung vermitteln, forderte zum Richard Trudgen, Leiter des Aborigines-Bildungszentrums ARDS.
Keine Prävention ohne Partizipation
Immerhin: Die Besonderheiten in der Arbeit mit den Nachkommen der Ureinwohner rücken zunehmend in den Fokus. So erforschen der Staat und Wissenschaft verstärkt die besondere Lebenssituation der Aborigines, um bessere Information und damit Unterstützung gewährleisten zu können. Die Regierung und die einzelnen Bundesstaaten Australiens haben mittlerweile eigene Abteilungen für die Gesundheitsversorgung dieser Communities.
Allgemein werden die örtlichen Communities immer stärker in die Gesundheitsversorgung einbezogen. Damit einher geht auch unter Aborigines ein zunehmendes Problembewusstsein; sexuell übertragbare Infektionen und Drogenkonsum werden in ihren Communities häufiger thematisiert. Mittlerweile gibt es zudem über 150 Gesundheitsdienste, die von den Gemeinschaften der Aborigines direkt kontrolliert werden und mit den „Mainstream“-Gesundheitsdiensten zusammenarbeiten. Diese besonderen Gesundheitsdienste bieten direkte medizinische Versorgung, beschäftigen sich aber auch viel mit Prävention und Aufklärung. Neben den allgemeinen Diensten gibt es auch zielgruppenspezifische Angebote, beispielsweise das 2-Spirits-Program. Es richtet sich an Männer, die mit Männer schlafen, sowie an „sistergirls“, welche in Deutschland meist als Trans*-Personen bezeichnet werden würden. Das Programm vereint Bildung, Prävention, Hilfsangebote, kostenlose Kondome und Gleitgel sowie soziale Unterstützung.
Gemeinsam ist diesen Diensten ein ganzheitlicher Blick auf Gesundheit und die Erkenntnis: Nur unter Einbeziehung der Lebensumstände und der ganzen Gemeinschaft ist eine optimale Gesundheitsversorgung möglich.
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