HIV-Aufklärung im TV

„Das ist so wertvoll, denn es erreicht die Massen“

Von Axel Schock
Szenenbild aus der Daily Soap
© RTLZWEI / Filmpool

In der RTLzwei-Daily-Soap „Berlin – Tag & Nacht“ geht es seit August 2025 auch um HIV. Die Macher*innen holten sich dafür den Rat der Berliner Aids-Hilfe. Eine Kollegin durfte sogar mitspielen.

Nach einem One-Night-Stand fürchtet Valentina, dass sie sich mit HIV infiziert hat. Ihre Freundin Indira will sie unterstützen und macht zusammen mit ihr einen Test – und der zeigt überraschenderweise, dass Indira HIV-positiv ist.

Wie diese Diagnose das Leben der 23-Jährigen verändert, ist gerade einer der Handlungsstränge in der Daily-Soap „Berlin – Tag & Nacht“ bei RTLzwei. Sophie Kortenbruck erzählt im Interview, weshalb zentrale Szenen in den Räumen der Berliner Aids-Hilfe gedreht wurden und warum sie nicht nur am Drehbuch mitgewirkt, sondern auch selbst mitgespielt hat.

Sophie, als du im Frühjahr 2025 als Vertretung der Frauenreferentin zur Berliner Aids-Hilfe kamst, stand eine Serienrolle sicherlich noch nicht im Arbeitsvertrag?

Ich hatte die Stelle erst ein paar Wochen zuvor vertretungsweise übernommen, als die Anfrage von „Berlin – Tag & Nacht“ kam. Die Serie hatte ich vorher noch nie gesehen, ich wusste aber, dass sie sehr populär ist. Ich fand es super, dass sie sich überhaupt gemeldet haben, um sich fachliche Beratung einzuholen. HIV ist ja ein sensibles Thema! Sie schickten mir dann das Treatment mit dem geplanten Handlungsstrang. Da die Schauspieler*innen vor der Kamera ja mehr oder weniger improvisieren, gibt es keine ausformulierten Dialoge, sondern nur skizzenhafte Vorgaben.

Der erste Entwurf las sich aber, was die HIV-Botschaften anging, wie eine Zeitreise in die 1990er-Jahre.

Was meinst du mit „Zeitreise“?

Sie hatten wirklich jedes überholte Klischee von HIV und Aids in die Storyline gepackt, das man sich vorstellen kann. Ich habe dann ziemlich deutlich zu verstehen gegeben: Wenn ihr den Menschen mit HIV und der Prävention mit dieser Storyline wirklich etwas Gutes tun wollt, dann lasst es lieber bleiben oder ändert das. Sonst geht das Ganze komplett nach hinten los.

Es fehlte einfach an Basiswissen über das Leben mit HIV im Jahr 2025.

Wie hat das Produktionsteam auf diese deutliche Kritik reagiert?

Das Team hat das tatsächlich dankbar und offen aufgenommen. Man hat gemerkt, dass es einen guten Willen gab und sie das Thema ganz bewusst setzen wollten, aber es einfach an Basiswissen über das Leben mit HIV im Jahr 2025 fehlte.

Wie lief das Wissens-Update konkret ab?

Erstmal habe ich ihnen ein paar Links zu Videos geschickt, etwa zum Schutz durch die HIV-Therapie. Das war ja eine wichtige Botschaft: Unter Therapie ist HIV beim Sex nicht mehr übertragbar.  Ich habe außerdem die Storyline kommentiert und mit dem Hauptautor eine knappe Stunde über verschiedene Aspekte des Lebens mit HIV heute gesprochen, neben dem Schutz durch Therapie zum Beispiel auch darüber, dass es nicht mehr zeitgemäß ist, eine HIV-positive Frau mit selbstbestimmter Sexualität vereinfacht als „HIV-Opfer“ darzustellen. Das stieß auf offene Ohren. Vielleicht war ich anfangs auch unfair voreingenommen.

Wie kam es dann zur Beteiligung der Berliner Aids-Hilfe bei den Dreharbeiten selbst?

Das Produktionsteam hatte gemerkt, dass wir auf inhaltlicher Seite sehr hinterher sind, vor allem, wenn unser Name als Verein im Spiel ist. Sie dachten sich: Bevor wir nun irgendwelchen Laiendarsteller*innen beibringen, wie so ein Beratungsgespräch bei einem HIV-Test abläuft, warum macht das nicht gleich jemand von der Aids-Hilfe? Am Ende ist dieser Part dann bei mir hängengeblieben. (lacht)

Es wurde dann tatsächlich auch in den Beratungsräumen der Berliner Aidshilfe gedreht.

Drei Tage lang und ganze Haus war deshalb sehr aufgeregt. Wir hätten das natürlich gerne an einem Wochenende gemacht, aber die Produktion arbeitet nur von Montag bis Freitag, das heißt, die Dreharbeiten fanden mitten im Beratungsalltag statt. Was es bedeutet, wenn in die eh schon engen räumlichen Verhältnisse der Berliner Aids-Hilfe auch noch ein zehnköpfiges Fernsehteam einfällt, kann man sich leicht ausmalen. Und ich durfte noch nicht mal erzählen, worum es genau ging, wegen meiner Schweigepflicht!

Du hast schon für Kampagnen der Deutschen Aidshilfe vor der Kamera gestanden, aber nie als Schauspielerin. Wie war denn dieses Debüt für dich?

Das Produktionsteam hatte tatsächlich einen Schauspielcoach dabei, der von meinem Spiel ganz beeindruckt war. Ich habe mich fast schlappgelacht, denn ich habe in diesen Szenen als Beraterin ja überhaupt nicht „gespielt“, sondern einfach nur meinen Job gemacht. Das einzig Schwierige war, dass man ein gewisses Tempo halten und Infos sehr komprimiert rüberbringen musste. Es ist ja keine Dokumentation, sondern Fiktion. Es geht also immer eher um die Dramatik. Im richtigen Leben sollte die Mitteilung eines positiven Testergebnisses dann doch etwas länger als fünf Minuten dauern.

Die Episoden, an denen du bzw. die Berliner Aids-Hilfe direkt beteiligt wart, sind inzwischen ausgestrahlt. Bist du mit dem Gesamtergebnis zufrieden?

Ich finde, dass die Serie die Dramatik, die Unsicherheiten und vielleicht auch das Versteckspielen, die eine HIV-Diagnose für manche Menschen mit sich bringt, durchaus realistisch rüberbringt, ohne zu überspitzen.

Meine Hoffnung ist, dass wir etwas Angst nehmen und aktuelles Wissen zum Leben mit HIV vermitteln konnten.

Ich hatte anfangs natürlich schon ein bisschen Sorge, was da am Ende dann tatsächlich über den Fernsehbildschirm flimmert, und dass die Aids-Hilfe dafür dann womöglich einen auf den Deckel bekommt, weil wir daran beteiligt waren.

Meine größere Befürchtung war aber ehrlich gesagt, dass ich bei meinem Fernsehauftritt als HIV-Beraterin in der Aufregung den Standards der Aidshilfen nicht gerecht werde und es dann Beschwerden von Kolleg*innen hagelt! Ich hab schon geschwitzt in dem Moment.

Welche Wirkung erhoffst du dir von der Thematisierung von HIV-in der Serie?

Meine Hoffnung ist, dass die Leute nun die Türen der Aidshilfen einrennen und alle einen Test machen wollen. Dass wir etwas Angst nehmen und aktuelles Wissen zum Leben mit HIV vermitteln konnten. Bei der Berliner Aids-Hilfe, das ist allerdings auch Teil der Wahrheit, hätten sie derzeit allerdings Probleme, einen Termin zu bekommen, weil die Testangebote völlig überlaufen sind. Und dass Frauen bei ihren Gynäkolog*innen oder Hausärzt*innen HIV-Tests meist selbst bezahlen müssen, ist ein Skandal.

Wieso ist das der Fall? Weil Frauen, anders als etwa schwulen Männern, keine freie Sexualität zugesprochen wird?
Bei Frauen wird oft schlicht nicht gesehen, dass auch sie HIV- und STI-Risiken haben können, oder entsprechende Hinwiese werden im ärztlichen Gespräch nicht ernst genommen. Wenn aber ein HIV-Test nicht für ärztlich notwendig erachtet wird, bleibt Frauen dann nur, ihn aus eigener Tasche zu bezahlen.

Der Handlungsstrang zu HIV wird nun noch vier Monate weiterlaufen. Die Berliner Aids-Hilfe ist dann aber nicht mehr involviert?

Nicht mehr direkt. Ich habe dem Autor*innenteam noch ein paar Überlegungen mitgegeben, mit welchen möglichen Diskriminierungsmomenten Indira zum Beispiel konfrontiert sein oder was ihre Diagnose für Beziehungen bedeuten könnte. Und ich habe ihnen angeboten, dass sie sich jederzeit an uns wenden können, wenn sie Fragen zu dem Thema haben. Schön wäre es, wenn Indiras HIV-Status irgendwann in der Serie nicht mehr etwas Besonderes, sondern etwas ganz Alltägliches ist, das nur noch ab und zu aufploppt.

Du hast das Team zwar nur einige Tage erlebt, aber wie ist es mit dem Thema umgegangen?

Die Schauspielerinnen waren ziemlich auf Zack, haben sich eingelesen und man hat gemerkt, dass sie ein echtes Interesse für das Thema entwickelt haben. Sie haben auch die Plakate von vielen prominenten Unterstützer*innen im Flur der Aidshilfe bestaunt. Die Indira-Darstellerin Ellinor Vogel überlegt, ihre Bekanntheit vielleicht künftig für die Berliner Aids-Hilfe zu nutzen. Ich fände es super, wenn sie sich vielleicht gezielt für die Belange von Frauen einsetzen würde. Denn die Darstellerin einer positiven jungen Frau kann durch ihre Prominenz sicherlich auch eine jüngere Generation erreichen. Ich bin auf jeden Fall sehr dankbar, dass RTLzwei das Thema platziert und es ernst nimmt. Das ist so wertvoll, denn es erreicht die Massen.

Und musstest du schon Autogramme geben?

Ich wurde tatsächlich schon von einigen Leuten angesprochen. Das Lustige ist, dass man nun mitbekommt, wer die Serie dann offensichtlich doch regelmäßig schaut, aber es vorher nie zugegeben hätte! Durch die Serie erreichen wir auf alle Fälle mehr Menschen mit dem Thema, als es der beste Flyer je könnte. Vor allem aber auch ganz andere Bevölkerungs- und Altersgruppen. Sie durchleben mit Indira die Zeit der HIV-Diagnose und entwickeln Empathie für sie. Nebenbei lernen sie auch etwas darüber, was es heißt, heute mit HIV zu leben.

Ich habe drei Jahre in im Youthwork-Team der Berliner Aidshilfe mitgearbeitet. Da sitzen dann Kids in der Schule, und die so: „HIV? Das ist doch kein Problem mehr. Das hab ich in einer Netflix-Serie gesehen. Man nimmt Tabletten und dann ist das doch okay.“

Die haben durch eine Storyline in einer Serie vielleicht viel mehr mitbekommen, als ich ihnen in einem Drei-Stunden-Workshop beibringen könnte. Gerade auch, weil sie einen persönlichen Bezug zu einer HIV-positiven Person aufgebaut haben – auch wenn es eine fiktive Figur in einer Serie ist.

„Berlin – Tag & Nacht“ läuft von Montag bis Freitag um jeweils 19:05 Uhr bei RTLzwei. Pro Woche schauen durchschnittlich 1,3 Millionen hauptsächlich junge Menschen die Serie. Die Serie ist online bei rtl2.de und youtube.com kostenlos abrufbar. Das Thema HIV beginnt ab Folge #3497.

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