HIV-Finanzierungskrise

„Ich habe Angst, dass wir in Zeiten zurückkehren, als die Menschen starben“

Von Laura Salm-Reifferscheidt
Rote Ansteckschleife auf einem Globus mit viel Schatten vor schwarzem Hintergrund.
© iStock-nito100

Die globalen Maßnahmen gegen HIV erleben gerade Rückschläge, die Millionen Menschenleben kosten und die Fortschritte der letzten Jahrzehnte zunichtemachen könnten. Auch der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria ist von drastischen Kürzungen bedroht. Am 21. November findet in Südafrika die Wiederauffüllungskonferenz statt.

Als Sibongile Tshabalala Ende Januar 2025 erfuhr, dass die USA alle Förderungen des President’s Emergency Plan for AIDS Relief (PEPFAR) aussetzen würden, traf sie das wie ein Schlag.

„Am meisten schmerzt, dass wir so hart gearbeitet haben, um an den heutigen Punkt im Kampf gegen HIV zu gelangen“, sagt die HIV-Aktivistin und Vorsitzende der südafrikanischen Treatment Action Campaign.

PEPFAR wurde 2003 von Präsident George W. Bush ins Leben gerufen und gilt als das bislang größte Hilfsprogramm für eine einzelne Krankheit. Seitdem sind über 110 Milliarden Dollar in Dutzende Länder geflossen, um Medikamente zu finanzieren und HIV‑Kliniken zu betreiben. Mehr als 20 Millionen Menschen weltweit beziehen antiretrovirale Therapien aus diesem Topf.

„Ich habe Angst, dass wir in die Zeit zurückkehren, als die Menschen starben“, warnt Tshabalala.

Am meisten schmerzt, dass wir so hart gearbeitet haben, um an den heutigen Punkt im Kampf gegen HIV zu gelangen.

Sibongile Tshabalala, Treatment Action Campaign South Africa

Nur wenige Tage nach dem Finanzierungsstopp wurde eine Ausnahmegenehmigung erlassen, die lebenswichtige Medikamente und Dienste, etwa zur Prävention der vertikalen HIV-Übertragung auf Kinder während Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit, wieder zuließ. Dennoch gab es seit Januar noch mehr Einschnitte: USAID, die US-Behörde für Entwicklungszusammenarbeit, wurde praktisch abgewickelt, wodurch die zentrale Durchführungsstelle von PEPFAR wegfiel und unverzichtbare Versorgungsstrukturen wegbrachen. Die Folgen waren sofort spürbar: Personal von Kliniken etwa in Kenia und Südafrika wurde entlassen, Arzneimittel wurden nicht mehr verteilt und Aufklärungsprogramme gestoppt.

Uganda: Engpässe in der Grundversorgung

Mirembe Jovia Birungi, HIV‑Aktivistin und Anwältin beim Uganda Network on Ethics, Law and HIV/AIDS, berichtet von akuten Engpässen bei Kondomen, der Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) und Notfallmedikamenten nach einem HIV-Risiko (PEP). In einigen Regionen Ugandas müssen Betroffene ihre Medikamente selbst kaufen. „Menschen stehen vor der schwierigen Entscheidung, was wichtiger ist – die Medizin oder das Essen“, sagt Birungi.

Menschen stehen vor der schwierigen Entscheidung, was wichtiger ist – die Medizin oder das Essen.

Mirembe Jovia Birungi, Uganda Network on Ethics, Law and HIV/AIDS

Die Konsequenzen: Es gibt mehr HIV-Übertragungen auf Kinder, weil die Therapie während der Schwangerschaft unterbrochen wurde. Die ugandische Regierung versucht, die HIV‑Versorgung in das allgemeine Gesundheitssystem zu integrieren, doch die öffentlichen Kliniken sind bereits überlastet. Besonders betroffen sind marginalisierte Bevölkerungsgruppen – Männer, die Sex mit Männern haben, Drogenkonsument*innen und Sexarbeiter*innen. In vielen Ländern werden diese ohnehin stigmatisiert. Projekte, die sich ihrer annehmen, sind oft abhängig von internationalen Geldern.

„Wenn der Staat nicht einmal anerkennt, dass man existiert – wenn er zum Beispiel Sexarbeit für illegal erklärt – wie soll dann eine Sexarbeiterin überhaupt eine staatliche Gesundheitseinrichtung aufsuchen?“, fragt Birungi und fügt hinzu, dass in Uganda jede Meldung einer homosexuellen Person mit einer Belohnung honoriert wird – ein klarer Abschreckungsmechanismus, der queere Menschen davon abhält, öffentliche Kliniken zu nutzen.

Thailand: Die Tangerine Clinic verliert Förderungen

Rena Janamnuaysook leitet die Tangerine Clinic in Bangkok, die trans Personen Hormontherapien, HIV‑Tests und Prävention (PrEP/PEP) anbietet. Fast die Hälfte der Kosten wurde seit der Gründung der Klinik vor rund zehn Jahren von einem USAID‑Programm getragen. Nachdem die US‑Finanzierung eingefroren wurde, konnten Gehälter und Mieten für einige Räumlichkeiten nicht mehr bezahlt werden. Obwohl HIV-Medikamente in Thailand kostenlos von der Regierung bereitgestellt werden, müssen Klient*innen der Klinik nun für geschlechtsangleichende Maßnahmen (z. B. Hormonspiegelmessungen) selbst zahlen. Das führt dazu, dass viele nun nicht mehr zur Klinik kommen und so auch ihre HIV‑Behandlung abbrechen oder zu öffentlichen Einrichtungen wechseln – dort erleben sie aber häufig Stigmatisierung.

Jetzt muss die Regierung erkennen, dass Community‑Organisationen Teil des nationalen Gesundheitssystems sein und finanziell nachhaltig werden müssen.

Rena Janamnuaysook, Tangerine Clinic Bangkok

Auch Forschung, die an der Tangerine Clinic durchgeführt wurde, musste sofort eingestellt werden. Denn diese wurde vom amerikanischen National Institutes of Health finanziert. „Ein Großteil der Forschung betraf junge trans Personen, Drogenkonsum und psychische Gesundheit – Themen, die die US-Regierung nicht unterstützt, weil sie diese als zu kontrovers betrachtet“, sagt Janamnuaysook.

Die betroffenen Organisationen sehen sich gezwungen, neue Finanzierungsquellen zu finden, insbesondere aus heimischen Mitteln. Bisher habe die thailändische Regierung kaum darüber nachgedacht, Community‑Organisationen zu unterstützen, weil diese auf internationale Gelder setzten, sagt Janamnuaysook. Sie fordert: „Jetzt muss die Regierung erkennen, dass Community‑Organisationen Teil des nationalen Gesundheitssystems sein und finanziell nachhaltig werden müssen.“

Was die Kürzungen bedeuten

Welche Projekte genau von PEPFAR noch unterstützt werden, ist schwer zu sagen. In einer Analyse für das Center for Global Development schreibt Ramona Godbole, ehemals USAID, dass der Großteil der PEPFAR-Projekte eingestellt wurde und die noch aktiven 35 Prozent der Mittel auf 65 Prozent der für 2025 geplanten Gelder entfielen. Das bedeutet: Große Behandlungsprogramme laufen größtenteils weiter, während viele kleinere Präventions- und Community-Programme gestrichen wurden. Die eingestellten Programme hatten zuvor schätzungsweise 2,3 Millionen Menschen mit lebenswichtiger HIV-Behandlung versorgt.

Was wird mit den Schlüsselgruppierungen passieren, was mit der Prävention?

Mitchell Warren, AVAC

Wie viel US-Geld im nächsten Jahr in den Kampf gegen HIV gesteckt werden soll, ist unübersichtlich. Doch, so Mitchell Warren von der internationalen Organisation AVAC, spielt PEPFAR in der im September 2025 veröffentlichten „America First Global Health Strategy“ weiter eine wichtige Rolle. Geplant sind bilaterale Absichtserklärungen (Memorandums of Understanding) mit einzelnen Ländern. Diese enthalten gemeinsame Zielvorgaben. Das sei nichts Neues. Anders sei allerdings, dass diese Erklärungen jetzt viel stärker transaktional geprägt sind – nach dem Motto: „Wir stellen diesen Betrag bereit, wenn ihr jenen Betrag bereitstellt“, so Warren. Auch sei noch offen, ob es sich wirklich um Verhandlungen zwischen souveränen Partnern handeln wird oder ob an die Gelder Bedingungen geknüpft sind. Hinzu kommt, dass sich die USA mittelfristig je nach Land aus der Finanzierung zurückziehen werden. Bis dahin sollen deren Mittel überwiegend nur noch in medizinische Güter und Gesundheitspersonal fließen. „Was wird mit den Schlüsselgruppen passieren, was mit der Prävention?“, fragt Warren. Das seien zentrale Bestandteile von PEPFAR gewesen.

Ein Bereich, in den noch investiert werden soll, ist Lenacapavir, eine Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP), die nur zweimal jährlich per Injektion verabreicht werden muss. In Zusammenarbeit mit dem Globalen Fonds will PEPFAR bis 2028 bis zu zwei Millionen Menschen in Ländern mit hoher HIV-Belastung damit versorgen. Wie allerdings das Medikament nach dem Wegfall der zivilgesellschaftlichen Strukturen an die Menschen kommen soll, die es am dringendsten brauchen, bleibt derzeit unklar.

Europas sinkende Beiträge

Nicht nur die USA kürzen Gelder im HIV-Bereich, auch europäische Geber ziehen sich zurück. Großbritannien hat seine Entwicklungshilfe seit 2021 stark reduziert. Auch Deutschland, Frankreich, Schweden und Dänemark stecken weniger Geld in den Bereich.

Radikale Kürzungen gibt es zugleich vonseiten der Europäischen Union.

Das EU‑Programm EU4Health hat 2025 erstmals keine institutionellen Förderungen, sogenannte „Operating Grants“, für Gesundheits‑NGOs vergeben, obwohl bereits Rahmenvereinbarungen mit 30 Organisationen bestanden. Diese jährlichen Förderungen von 9 Millionen Euro ermöglichten es NGOs bisher, ihre Grundfinanzierung zu sichern und auf Gesundheitsrisiken zu reagieren.  

Europa folgt dem Trump‑Kurs: Während die USA die globale Aids‑Finanzierung gekürzt haben, kompensiert Europa die fehlenden Milliarden nicht, sondern kürzt selbst.

Ferenc Bagyinszky, AIDS Action Europe

Ferenc Bagyinszky, Koordinator von AIDS Action Europe, führt das auf den Rechtsruck im EU‑Parlament zurück: Konservative und rechtsextreme Abgeordnete drängten darauf, das Wort „Advocacy“ (auf Deutsch: Interessenvertretung) aus den Verträgen zu streichen. Aber auch nachdem das getan war, wurden keine institutionellen Förderungen ausgeschrieben.

Auch für 2026 rechnet Bagyinszky mit deutlich weniger Mitteln für HIV-Maßnahmen von der EU.

„Europa folgt dem Trump‑Kurs: Während die USA die globale Aids‑Finanzierung gekürzt haben, kompensiert Europa die fehlenden Milliarden nicht, sondern kürzt selbst“, sagt Bagyinszky.

UNAIDS wird abgewickelt

Auch UNAIDS ist in Gefahr. Seit 1996 koordiniert die Organisation der Vereinten Nationen weltweit den Kampf gegen HIV/Aids: Sie bringt internationale Partner zusammen, entwickelt politische Strategien und schafft wichtige Versorgungsstrukturen in vielen Ländern. Im Oktober kündigte UN‑Generalsekretär António Guterres im Rahmen des UN80‑Reformprozesses an, UNAIDS Ende 2026 abzuwickeln („sunsetting“), vier Jahre früher als ohnehin geplant. Dabei sei bereits ein Sparplan für die nächsten Jahre ausgearbeitet worden, bei dem etwa Mitarbeitende entlassen, Regionalbüros zusammengelegt und der Fokus auf jene Länder gelegt werden soll, die besonders betroffen sind.

An diesem Plan wolle man auch festhalten, sagt Amanita Calderón-Cifuentes von der NGO Trans Europe and Central Asia und NGO-Delegierte im Programmkoordinierungsrat von UNAIDS (PCB). „Unsere Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass die Stimmen der Zivilgesellschaft im Koordinierungsrat angemessen vertreten sind – und zwar bei den Entscheidungen darüber, wie die HIV-Bekämpfung gestaltet und umgesetzt wird.“

Eine frühzeitige Abschaffung von UNAIDS würde die globale Koordinierung und Datenerhebung schwächen, auf der die HIV-Programme beruhen. „Ohne die programmatische Expertise, die menschenrechtsbasierte Ansätze und die systematische Einbindung der betroffenen Communitys sichert, könnten bereits erzielte Fortschritte verloren gehen und die Epidemie wieder an Dynamik gewinnen“, sagt Peter Wiessner vom deutschen Aktionsbündnis gegen AIDS.

Die Folgen der weltweiten Kürzungen gehen über HIV hinaus. Für viele Länder sei die HIV-Bekämpfung das Rückgrat des Gesundheitssystems, sagt Izukanji Sikazwe vom Globalen Fonds. Es wurde massiv investiert, um diese Länder bei den zentralen Bausteinen des Gesundheitssystems zu unterstützen: etwa bei der Personalentwicklung und bei der Infrastruktur für Labore. Diese Investitionen bilden die Grundlage, um eine breitere Gesundheitsversorgung zu ermöglichen. Die Communitys, betont Sikazwe, betrachten das Gesundheitssystem nicht nur als HIV-System, „sondern ganzheitlich als ein System, das sie ihr ganzes Leben lang unterstützt“.

Kommt es zu Unterbrechungen in der Finanzierung, sind Störungen bei Lieferketten, in der Diagnostik und bei Arbeitskräften zu erwarten.

„Mittelfristig bis langfristig kann dies das Vertrauen beeinträchtigen, das die Gemeinschaften in das Gesundheitssystem aufgebaut haben“, sagt Sikazwe.

Die bevorstehende Wiederauffüllungskonferenz

Nun richten sich alle Blicke auf die achte Wiederauffüllungskonferenz des Globalen Fonds, die am 21. November in Johannesburg, Südafrika, stattfindet. Der Globale Fonds ist einer der größten Geldtöpfe im Kampf gegen Aids, Malaria und Tuberkulose. Für die Finanzierungsperiode 2027 bis 2029 werden mindestens 18 Milliarden US-Dollar benötigt, um etwa 23 Millionen Menschenleben zu retten. Geldgebende sind Regierungen, multilaterale Institutionen, private Stiftungen und Unternehmen weltweit.

Deutschland hat im Vorfeld eine Milliarde Euro zugesichert. Dieser Beitrag ist zwar höher, als zunächst befürchtet, dennoch erreicht er nicht das Niveau der letzten Finanzierungsperiode. Dabei, so hat die Entwicklungsorganisation ONE ausgerechnet, lohnt sich die Investition auch wirtschaftlich für Deutschland. Zwischen 2010 und 2014 floss jeder fünfte Euro, der in den Globalen Fonds ging, wieder zurück ins Land – durch den Kauf von in Deutschland produzierten Medikamenten, Diagnostika und Moskitonetzen im Wert von rund 940 Millionen Euro.

Es hat Jahrzehnte gebraucht, um dahin zu kommen, wo wir heute stehen, und das wird systematisch zerstört.

Ferenc Bagyinszky, AIDS Action Europe

Laut dem Aktionsbündnis gegen AIDS wären aber 1,8 Milliarden Euro für die Jahre 2026 bis 2028 ein fairer Beitrag von Deutschland. „Ein Beitrag unterhalb von 1,4 Milliarden Euro würde unweigerlich lebensrettende Programme gefährden und Menschenleben kosten“, warnt Wiessner.

„Es hat Jahrzehnte gebraucht, um dahin zu kommen, wo wir heute stehen, und das wird systematisch zerstört. Selbst wenn wir den Wahnsinn jetzt stoppen, ist es für manche Gemeinschaften und manche Länder bereits zu spät“, sagt Bagyinszky. Doch gibt er die Hoffnung nicht ganz auf: „Unsere Community hat dunkle Zeiten wie die 80er‑ und 90er‑Jahre überlebt. Durch Solidarität wurden dann wunderbare Dinge auf der ganzen Welt aufgebaut. Aber die Kosten dafür lassen sich kaum beziffern, denn es geht um unzählige Menschenleben.“

Es bleibt abzuwarten, ob die Wiederauffüllungskonferenz 2025 die notwendige Unterstützung mobilisieren kann – oder ob die Welt weiterhin zusieht, wie eine der größten Erfolgsgeschichten der globalen Gesundheitspolitik ausläuft.

Mehr zum Thema:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

56 + = 61