Queerer Aktivismus

„Impact Queer Ghana“: Berufliches Empowerment für die LGBTIQ*-Community

Von Dirk Ludigs
Titelbild zum Beitrag Queer Impact Ghana, berufliches Empowerment für die queere Community

Seit Oktober 2022 läuft das Projekt „Impact Queer Ghana“ in Accra. Menschen aus der LGBTIQ*-Community sollen darin für Berufsfelder wie Grafikdesign und Fotografie fit gemacht werden.

Es war ein geschäftiger Dezember für Halil Mohammed. Der 31-jährige LGBTIQ*-Aktivist aus Ghanas Hauptstadt Accra hat Dutzende von Bewerbungsgesprächen hinter sich. Als Teil der Abteilung Soziales seiner Organisation „LGBT+-Rights Ghana“ musste er mitentscheiden, wer zu den ersten vierzehn queeren Personen gehört, die ab Januar 2023 an einer innovativen und außergewöhnlichen Maßnahme teilnehmen können.

„Impact Queer Ghana“ heißt das Projekt, das die westafrikanischen Aktivist*innen seit Sommer 2021 in Zusammenarbeit mit der Deutschen Aidshilfe (DAH) entwickelt haben. Sein Ziel: die Arbeitsmöglichkeiten queerer Menschen zu erweitern, ihnen Fähigkeiten zu vermitteln, mit denen sie anschließend Geld verdienen können.

Queere Menschen in Ghana sollen nicht mehr so versteckt leben müssen

Darüber hinaus, so Sasha Gurinova, die bei der DAH für das Projekt zuständig ist, gehe es auch darum, die Geschäftswelt und die queere Community in Ghana näher zusammenzubringen. „Impact Queer Ghana soll Möglichkeiten schaffen, damit queere Menschen nicht mehr so versteckt wie bisher leben müssen“, so Gurinova.

„Für queere Menschen in Ghana ist es schwer bis unmöglich, im freien Arbeitsmarkt unterzukommen.“

Halil Mohammed, LGBTIQ*-Aktivist aus Ghana

„Die Idee zu ‚Impact Queer Ghana‘ ist so alt wie unsere Organisation selbst“, erläutert Halil Mohammed, „sie existiert schon seit 2018.“ Die queere Community wirtschaftlich zu empowern war einer der Gründungsgedanken von „LGBT+-Rights Ghana“. Das hat einen einfachen Grund: „Für queere Menschen, insbesondere, wenn sie sichtbar sind, ist es sehr schwer bis unmöglich, im freien Arbeitsmarkt unterzukommen“, so Mohammed. „Darum besteht unsere Aufgabe darin, queere Menschen wirtschaftlich zu empowern und queerfreundliche Unternehmen ausfindig zu machen.“

Das ist nicht leicht in einem Land, das zutiefst von christlich- und muslimisch-fundamentalistischen Moralvorstellungen geprägt ist und in dessen Parlament derzeit einer der queerfeindlichsten Gesetzentwürfe der Welt diskutiert wird. Wird das Gesetz verabschiedet – die Chancen dafür stehen leider gut –, drohen bis zu fünf Jahren Haft für „homosexuelle Handlungen“, und alle Bürger*innen wären verpflichtet, solche Handlungen zu melden, weil ihnen sonst ebenfalls bis zu fünf Jahren Haft drohen.

Zudem steckt Ghana gerade in der schwersten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten, Staatsschulden und Inflation galoppieren, die ghanaische Mittelschicht rutscht massiv in die Armut ab. Das Projekt könnte also nicht dringlicher sein.

Impact Queer Ghana: Enge Zusammenarbeit mit der Deutschen Aidshilfe

Kennengelernt haben sich die Aktivist*innen aus Ghana und Vertreter*innen der Deutschen Aidshilfe im Sommer 2021. Damals waren fünf Mitglieder der Gruppe nach der Räumung ihres ersten eigenen LGBTIQ*-Zentrums in Accra durch Sicherheitskräfte für drei Monate nach Berlin gekommen.

„Sie kamen zu uns in die Aidshilfe und gemeinsam haben wir das Projekt entwickelt und ihm Form gegeben“, berichtet Gurinova. „Ich bin stolz drauf, dass die DAH immer partizipativ arbeitet. Besonders international ist es wichtig, dass die Partner*innen an uns herantreten mit ihren Bedarfen und Ideen – und nicht umgekehrt.“

Entscheidend ist, dass die Aktivist*innen vor Ort durch das Engagement aus Deutschland nicht zusätzlich gefährdet werden. „Durch unsere langjährige Arbeit in Osteuropa ist die Situation für uns nicht neu, darum sind Sicherheitsfragen, sowohl physischer als auch digitaler Natur, ein großer Bestandteil des Projekts“, so Gurinova.

Halil Mohammed, LGBTIQ*-Aktivist aus Ghana; Foto: privat

Auch „Do-No-Harm-Konzepte“ (auf Deutsch: „Richte keinen Schaden an“) sind essenziell. Das heißt: Die Partner-Organisationen vor Ort sagen, was sie haben und wie sie es umsetzen wollen, und die DAH sucht nach Lösungen, um das gemeinsam zu verwirklichen. „Tatsächlich lernen wir als Aidshilfe viel von unseren internationalen Projekten, zum Beispiel, wie sich dort die Communities definieren und wie die Organisationen vor Ort arbeiten“, sagt Gurinova.

Safe Space für LGBTIQ*-Personen in Accra

Nach über einem Jahr Vorbereitung ist „Impact Queer Ghana“ im Oktober 2021 an den Start gegangen. Das Fundament bildet ein Safe Space, also ein sicherer Raum, in Accra, den die Aktivist*innen zunächst für ein Jahr angemietet haben. So ein Ort hat bisher in Accra gefehlt. Hier sollen Begegnungen möglich werden, vor allem aber finden hier Kurse in Grafikdesign, IT und Fotografie statt.

Ab November 2021 wurde das Projekt auf den Kanälen der Gruppe beworben. 56 Bewerber*innen haben sich daraufhin gemeldet, viermal so viele, wie es Plätze gibt, darunter ein hoher Anteil lesbischer Frauen sowie trans und nicht-binärer Personen. „Wir werden bei der Auswahl so inklusiv wie möglich sein“, betont Mohammed, „unser Ziel ist es, allen Teilen der Community die gleichen Möglichkeiten zu bieten.“

Das notwendige Equipment wie Laptops und Kameras haben die Aktivist*innen größtenteils schon gekauft. Es bleibt im Besitz der Gruppe und wird den Teilnehmenden auch nach Kursende weiter zu Verfügung stehen, um ihnen die ersten Schritte in ihre Berufstätigkeit erleichtern.

Es ist wichtig, dass die Partner*innen an uns herantreten mit ihren Bedarfen und Ideen – und nicht umgekehrt.

Sasha Gurinova, Referentin der Deutschen Aidshilfe für Internationales

Die Verträge mit den Ausbilder*innen sind ebenfalls schon unterzeichnet. „Das Training selbst wird sechs Monate dauern, danach kommt eine Empowerment-Phase, in der wir die Teilnehmenden auf ihrem Weg in den Arbeitsmarkt begleiten und sie unterstützen“, erklärt Halil Mohammed.

Die Aktivist*innen von LGBT+-Rights Ghana haben bewusst Berufsfelder wie Grafikdesign und Fotografie ausgewählt, weil sie wissen, dass dort einerseits ein hoher Bedarf besteht, sie suchen z.B. als Organisation selbst in diesen Bereichen immer wieder Personal. Andererseits besteht innerhalb der Community an diesen Feldern auch ein hohes Interesse.

„Wir würden gerne noch weitere Bereiche abdecken, aber das Projekt ist in seinem ersten Jahrm und aus Budgetgründen müssen wir es erst einmal dabei belassen“, sagt Mohammed. Sasha Gurinova von der DAH pflichtet ihm bei: „Unser Ziel ist es, die Berufsfelder auszuweiten, auch bei Modedesign zum Beispiel ist die Nachfrage hoch.“

Impact Queer Ghana: Großes Engagement überwindet bürokratische Hürden

Das Geld für „Impact Queer Ghana“, fast 27.000 Euro fürs erste Jahr, wird über die Stiftung Nord-Süd-Brücken abgerechnet und stammt letztendlich aus Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ). Zu den Förderbedingungen gehört ein 25-prozentiger Eigenanteil, im Fall von „Impact Queer Ghana“ waren das fast 7.000 Euro.

Eine hohe Hürde, findet Sasha Gurinova: „Auch für die Aidshilfe ist so ein Eigenanteil viel Geld. Noch schwieriger ist das für unsere Partnerorganisationen aus dem Globalen Süden. Das sind in der Regel kleine Organisationen, die kaum ein Budget haben und von Projekt zu Projekt leben.“

Dazu komme, dass das BMZ als Partnerorganisationen in den Ländern nur registrierte NGOs akzeptiere. LGBTIQ*-Personen können aber gerade in Ländern, die ihre Existenz kriminalisieren, überhaupt keine NGOs registrieren lassen. Auf der „Do-No-Harm-Konferenz“ der Hirschfeld-Eddy-Stiftung im November 2022 forderte deshalb eine große Zahl von LGBTI!*-Aktivist*innen die Bundesregierung und das BMZ auf, ihre Vergabepraxis zu reformieren.

Von einem hohen bürokratischen Aufwand berichtet auch Halil Mohammed: „Das hat uns zeitweise entmutigt, aber nun ist das Projekt da und die Freude überwiegt. Die Zusammenarbeit mit der Deutsche Aidshilfe verlief reibungslos und wir sind uns im Verlauf der Zeit nähergekommen.“

„Impact Queer Ghana“ ist also trotz der hohen Hürden ein Start gelungen, und es besteht die Aussicht, die Förderung in den kommenden Jahren auf bis zu jährlich 50.000 Euro zu erhöhen.

Langfristiges Ziel: Aufbau einer Queer Economy im queerfeindlichen Ghana

Ein Neuanfang ist dieses Projekt auch für das Team Internationales der Deutschen Aidshilfe. „Die Deutsche Aidshilfe hat seit 2008 vor allem im Bereich Osteuropa und Zentralasien gearbeitet“, erzählt Gurinova, „personell hatten wir dort mehr Sprach- und Kulturkompetenz. Als die Kolleg*innen aus Ghana bei uns waren, haben wir aber die Gelegenheit beim Schopf gepackt. Die Chemie unter den Leuten hat gestimmt – die Gruppe besteht aus jungen, sehr netten und professionellen Menschen, mit denen die Arbeit großen Spaß macht.“

In Accra denken Aktivist*innen wie Halil Mohammed von LGBT+-Rights Ghana schon weiter: „Langfristig geht unsere Initiative über das Training von queeren Personen hinaus. Ziel ist es, in einem so queerfeindlichen Land wie Ghana eine „Queer Economy“ aufzubauen, Queers die Chance zu geben, out zu sein, dabei Geld zu verdienen, damit sie etwas in der Tasche haben, und vielleicht in einer Art Schneeballsystem ihrerseits ein Unternehmen gründen, mit dem sie weiteren queeren Personen die Chance geben, etwas zu erwirtschaften.“

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