Gesundheitspolitik

Lang erwartet, nun heftig umstritten: Das Digital-Gesetz (DigiG)

Von Axel Schock
Symbolbild: Tastatur mit roter Taste
©Zerbor/stock.adobe.com

Durch ein neues Digital-Gesetz soll die umfassende Digitalisierung des Gesundheitswesens vorangetrieben und dazu u. a. ab 2025 für alle Patient*innen eine elektronische Akte anlegt werden. Doch an der Ausgestaltung gibt es Kritik – auch von Seiten der DAH.

„Deutschlands Gesundheitswesen hängt in der Digitalisierung um Jahrzehnte zurück. Das können wir nicht länger verantworten.“ Mit diesem Statement kündigte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach im März seine neue Digitalisierungsstrategie an. Konkret soll die elektronische Patientenakte (ePA) möglichst flächendeckend eingesetzt, elektronische Rezepte alltagstauglich gemacht und die Forschung auf Basis von Gesundheitsdaten erleichtert werden.


Das Gesetzesduo Digital-Gesetz und GDNG

Das Digital-Gesetz regelt zentrale Vorhaben der digitalen Gesundheitsversorgung wie das elektronische Rezept und die elektronische Patientenakte (ePA).

Den rechtlichen Rahmen dafür sollen zwei lang erwartete und nun als Referent*innenentwürfe vorliegenden Gesetze liefern: das Digital-Gesetz (DigiG) und das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG). Letzteres soll helfen, die „bürokratischen und organisatorischen Hürden bei der Datennutzung“ abzubauen und Gesundheitsdaten umfassend zu digitalisieren, damit die Forschung als auch Krankenkassen auf sie zugreifen und nutzen können.

Das DigiG regelt hingegen zentrale Vorhaben der digitalen Gesundheitsversorgung wie das elektronische Rezept und die elektronische Patientenakte (ePA). Sie ist die zentrale Voraussetzung für die Digitalisierung der Gesundheitsdaten. Die Neuregelung des Gesetzgebers sieht vor, dass die Krankenkassen ihren Versicherten die ePA ab dem 15. Januar 2025 verpflichtend zur Verfügung stellen und sie umfassend über die Anwendungsmöglichkeiten der Patientenakte informieren müssen. In ihr sollen sämtliche Informationen rund um die eigene Gesundheit zentral auf einem Server gespeichert werden und abrufbar sein.

Von Opt-in zu Opt-out

Auf freiwilliger Basis ist das bereits seit Januar 2021 möglich, doch die Nachfrage lag bisher weit hinter den Erwartungen. Zwei Jahre nach Einführung der elektronischen Patientenakte hatten sich erst 595.000 Personen dafür entschieden, also weniger als ein Prozent der rund 73 Millionen Versicherten in Deutschland. Bis Ende 2024 soll die Quote auf rund 80 Prozent gesteigert werden. Erreichen will dies das Bundesgesundheitsministerium, indem nunmehr für alle Versicherten automatisch eine ePA angelegt wird – es sei denn, dass sie ausdrücklich widersprechen (Opt-out).

Dies gilt allerdings nur für die Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen. Bei privat Krankenversicherten und Beihilfeberechtigten soll dieses Vorgehen nicht verbindlich sein. Der Verband der Privaten Krankenversicherungen (PKV) fordert daher von der Bundesregierung die rechtlichen Grundlagen dafür zu schaffen, dass die privaten Versicherungen die Telematikinfrastruktur der gesetzlichen Kassen ebenfalls nutzen können.

Eine ePA ist allerdings nur sinnvoll, wenn dort auch Daten abgespeichert werden. Der Gesetzentwurf sieht daher vor, dass Ärzt*innen, Psychotherapeut*innen und andere Anbieter*innen von Gesundheitsdienstleistungen dazu verpflichtet werden, ihre Behandlungsdaten in die elektronischen Patientenakten zu übermitteln.

Welche Gesundheitsdaten sind sensibler als andere?

Die HIV-Infektion, psychische Erkrankungen und Schwangerschaftsabbrüche wurden vom Gesetzgeber als besonders sensible Daten ausgemacht. Hier sollen Ärzt*innen explizit verpflichtet werden, die Patient*innen auf ihr Widerspruchsrecht hinzuweisen.

Patient*innen müssen grundsätzlich individuelle Entscheidungsmöglichkeiten bereitgestellt werden.

Für die DAH ist diese Liste der in besonderem Maß schützenswerten, weil mit einer möglichen Diskriminierung einhergehenden Diagnosen und Patient*inneninformationen nicht abschließend. So sollten auch Substanzkonsum, Substitutionsbehandlung, sexuell übertragbare Krankheiten oder die Hormonvergabe bei trans* Personen gleichermaßen sensibel behandelt werden. Doch auch darüber hinaus können Gesundheitsdaten sensibel sein, selbst wenn sie nicht als gesellschaftlich stigmatisiert angesehen werden. Deshalb müssen Patient*innen grundsätzlich individuelle Entscheidungsmöglichkeiten bereitgestellt werden.

Volle Kontrolle und Transparenz gefordert

Hauptkritikpunkt vieler Patient*innenvertretungen und Gesundheitsorganisationen ist die komplizierte Handhabung der ePA für die Versicherten. Auch die DAH fordert eine bessere und einfachere Steuerung der Daten. „Wenn es diese nicht gibt, ist es aus Sicht der Patient*innenorganisationen von der Nutzung der ePA für Menschen, die von Diskriminierung bedroht sind, abzuraten“, so die DAH in einer Stellungnahme zum Referent*innenentwurf. Gerade eine Opt-out-ePA müsse Mindestanforderungen eines selbstbestimmten Umgangs mit sensiblen Gesundheitsdaten erfüllen. Dies bedeutet, dass Patient*innen jederzeit die volle Kontrolle und Transparenz darüber erhalten, welche Daten für wen sichtbar sind bzw. problemlos verborgen werden können.

Die DAH fordert eine bessere und einfachere Steuerung der Daten – sonst sei von der Nutzung der ePA abzuraten.

Das gilt auch für den Medikationsplan. Es ist zweifellos hilfreich, wenn Ärzt*innen alle eingenommenen Medikamente in der ePA gesammelt abrufen können, um beispielsweise Wechselwirkungen zu verhindern. Doch können manche Arzneimittel (etwa HIV-Medikamente, Psychopharmaka, Hormonpräparate im Rahmen einer Transition) auf Diagnosen hinweisen, die womöglich nur gezielt geteilt werden möchten.

Stopp bei Betriebsärzt*innen

Die DAH und andere Patient*innenvertretungen fordern zudem, dass Betriebsärzt*innen grundsätzlich nicht auf die ePA zugreifen können. Denn selbst wenn Versicherte diesen explizit den Zugriff gestatten müssten, könnten Arbeitnehmer*innen unter Druck gesetzt werden, wenn sie dies ablehnen. „Betriebsärzt*innen haben nicht das Recht, Gesundheitsinformationen zu erhalten, die über die gesundheitliche Eignung, eine Tätigkeit auszuüben, hinausgehen“, sagt Kerstin Mörsch von der DAH-Kontaktstelle HIV-bezogene Diskriminierung. „Menschen müssen selbst entscheiden können, ob sie ihre HIV-Infektion dem*r Betriebsärzt*in mitteilen oder eben nicht.“

Automatisierte Auswertung

Fragen wirft auch der Plan auf, dass in Zukunft Kranken- und Pflegekassen die Daten ihrer Versicherten – auch ohne deren Einwilligung – „zum individuellen Gesundheitsschutz“ etwa in Hinblick auf bestimmte Gesundheitsgefährdungen und Krankheitsrisiken automatisiert auswerten dürfen. Die betroffenen Versicherten würden dann von ihrer Krankenkasse über diese Risiken informiert werden. Doch in welcher Form und auf welcher fachlichen Basis sollten entsprechende Ratschläge erteilt werden? Erhalten Menschen, bei denen eine sexuell übertragbare Erkrankung diagnostiziert wurde, womöglich den Hinweis ihr sexuelles Verhalten zu überdenken? Eine solche Datennutzung durch die Kassen war bisher ausgeschlossen. Deshalb muss, so die Haltung der DAH, dies auch in Zukunft so bleiben.

Ärztliche Einwände zum Digital-Gesetz

Die Kassenärzt­liche Bundesvereinigung warnt vor „Screeningmaßnahme mit unklarem Nutzen“.

Auch die ärztlichen Standesvertretungen stehen dem geplanten Digital-Gesetz rundweg ablehnend gegenüber. Es handele sich dabei schlicht um eine „Screeningmaßnahme mit unklarem Nutzen“, kritisiert die Kassenärzt­liche Bundesvereinigung. Zudem sei davon auszugehen, dass die unweiger­lich entstehende Verunsicherung der Patient*innen zu einem Mehraufwand in den Praxen füh­ren werde.

Darüber hinaus sollen laut Referent*innenentwurf die digitalen Gesundheitsdaten der gesetzlichen Kassen künftig zudem – pseudonymisiert – zu Forschungszwecken genutzt werden können, solange die Versicherte dem nicht aktiv widersprechen. Sie können also lediglich im Nachhinein die Nutzung ablehnen (Opt-out). Die DAH möchte, dass Versicherte stattdessen gezielt die Weiterverarbeitung und Weitergabe der eigenen Daten umzustimmen muss (Opt-in). Kritiker*innen halten die Pseudonymisierung unter Datenschutzaspekten als unsicher. Denn durch eine Reihe von Angaben wie Geburtsjahr, Geschlecht und Postleitzahl der Patient*innen sei es durchaus möglich, die konkrete Person zu rekonstruieren.



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