HIV-Forschung

„Eine Impfung gegen HIV muss das Ziel bleiben!“

Von Siegfried Schwarze
Bild zum Beitrag zur mRNA-Impfung gegen HIV

Ende Januar 2022 ist in den USA eine Studie zur mRNA-Impfung gegen HIV gestartet. Über den Ansatz und die Erfolgsaussichten haben wir mit dem HIV-Spezialisten und Mikrobiologen Siegfried Schwarze gesprochen.

Interview: Holger Sweers

Moderna erforscht jetzt also auch mRNA-Impfstoffkandidaten gegen HIV. Können die Aidshilfen und HIV-Präventionsprojekte bald einpacken? Steht die Impfung gegen HIV endlich vor der Tür?

Zunächst muss man leider feststellen, dass bisher alle Versuche, einen „traditionellen“ Impfstoff gegen HIV zu entwickeln, gescheitert sind. Das liegt nicht zuletzt daran, dass HIV als Erstes ausgerechnet diejenigen Zellen befällt und ausschaltet, die für eine Abwehr von HIV erforderlich wären.

„Traditionell“ heißt in diesem Zusammenhang: Man präsentiert dem Körper ein inaktiviertes oder abgeschwächtes Virus – oder auch nur einen Teil der Virusoberfläche –, um das Immunsystem damit zu trainieren. Beim Kontakt mit dem „echten“ Virus ist die Körperabwehr dann gewappnet und kann das Virus so schnell neutralisieren, dass es nicht zu einer Erkrankung kommt.

Die Antikörper, die die meisten Infizierten gegen HIV bilden, können dem Virus aber fast nichts anhaben, weil HIV über diverse Tricks verfügt und außerdem so schnell mutiert, dass es der Antikörperantwort des Körpers immer mindestens einen Schritt voraus ist.

HIV verfügt über diverse Tricks und ist der Antikörperantwort immer mindestens einen Schritt voraus.

Nun wissen wir aber, dass einige wenige Menschen mit HIV nach Jahren der HIV-Infektion und ohne Therapie Antikörper entwickeln, die „ihr“ HIV tatsächlich neutralisieren können. Leider nutzt ihnen das nur wenig, da auch bei diesen Menschen HIV weiter mutiert und die Antikörper ihre Wirksamkeit verlieren.

Eine sehr kleine Gruppe von Menschen kann aber letztendlich Antikörper bilden, die nicht nur „ihr“ HIV erkennen und neutralisieren können, sondern auch viele andere HIV-Varianten. Diese Antikörper bezeichnet man als „breit neutralisierende Antikörper“, auf Englisch „broadly neutralizing antibodies“ oder kurz bnABs.

Solche Antikörper kann das Immunsystem nicht aus dem Stand produzieren. Dafür bedarf es einer unter Umständen Jahre dauernden Wechselwirkung zwischen Virus und Immunsystem, einer Art „Reifung“ der sogenannten B-Zellen, die diese Antikörper produzieren. Im Laufe der Zeit werden die Antikörper also immer „besser“.

Moderna versucht nun, in einer ersten Studie mit zwei verschiedenen mRNA-Impfstoffen herauszufinden, ob man auch das Immunsystem von beliebigen Menschen durch die Verabreichung geeigneter „Trainingsimpfstoffe“ in die Richtung dirigieren könnte, wie es von Natur aus bei den Menschen geschieht, die bnABs bilden.

Sollte das tatsächlich funktionieren, wird man allerdings mit zwei Impfungen sicher nicht die Bildung von bnABs induzieren, also auslösen können. Dafür bräuchte es wahrscheinlich mindestens fünf oder mehr unterschiedliche mRNA-Impfstoffe. Aber es wäre ein Schritt in die richtige Richtung.

Vermutlich ließe sich diese Art der Antikörperinduktion auch für eine Krebstherapie einsetzen. Deshalb hat die Studie Bedeutung weit über HIV hinaus.

HIV mutiert ja nicht nur sehr schnell, sondern die Spikes in der Virenhülle sind, anders als beim Coronavirus SARS-CoV-2, sozusagen in Zuckerwatte verpackt und hinter diesem sogenannten Glykanschild gut versteckt. Wie will man dieses Hindernis umgehen?

Dieser Glykanschild ist tatsächlich ein großes Problem – sowohl für den Körper, der das Virus loswerden möchte, als auch für die Impfstoffentwicklung. Aber glücklicherweise kann HIV nicht alle Teile seiner Oberflächeneiweiße hinter diesem Schild verstecken. Denn die Teile, die an die Rezeptoren der Zielzellen binden sollen, müssen frei liegen, sonst klappt das Andocken nicht. Genau diese Stellen sind also die Achillesferse des Virus.

HIV-Experte und Mikrobiologe Siegfried Schwarze;
Foto: privat

Aber HIV verwendet noch einen weiteren Trick: Diese Andockstellen sind normalerweise im Inneren der Andock-Proteine verborgen. Erst wenn sich das Virus an die Zelle annähert, werden durch elektrostatische Wechselwirkungen die entsprechenden Strukturen „entblößt“ und können das Andocken an die Zielzelle einleiten. Neutralisierende Antikörper haben also nur sehr wenig Zeit, um genau an diese für das Virus entscheidenden Stellen heranzukommen und damit den Andock-Vorgang zu verhindern.

Wie schätzt du vor diesem Hintergrund die Erfolgsaussichten dieser Studie ein? Es hat ja schon viele vorherige Studien gegeben, die allesamt keinen Durchbruch gebracht haben. Was ist denn diesmal anders?

Der Ansatz ist ja völlig neu. Es gibt bisher keine vergleichbare Strategie. Auch die mRNA-Impfung gegen Corona ist dagegen vom Prinzip her ein „klassischer“ Impfstoff.


Der Ausgang der HIV-mRNA-Impfstoffstudie ist völlig offen.

Bei der Studie mit mRNA gegen HIV geht es darum, ob es überhaupt möglich ist, breit neutralisierende Antikörper in jedem Immunsystem zu induzieren. Der Ausgang ist deshalb völlig offen.

Ein weiterer möglicher Ansatz wäre, gleich die mRNA für einen Cocktail aus drei breit neutralisierenden Antikörpern zu verabreichen. Hier wurde in Tierversuchen bereits demonstriert, dass das funktionieren kann. Aber dabei „lernt“ der Körper nicht, diese Antikörper selbst herzustellen, und die mRNA müsste alle paar Wochen oder Monate neu verabreicht werden – das wäre im Prinzip nichts anderes als eine HIV-Therapie, die der Körper selbst herstellt, wozu man ihm aber die „Anleitung“ regelmäßig verabreichen müsste.

Brauchen wir denn überhaupt eine Impfung? HIV ist ja schwer übertragbar, sodass es im Alltag kein Risiko gibt, anders als bei Corona. Und es gibt sehr wirksame Medikamente gegen HIV, die ein weitgehend normales Leben ermöglichen und auch noch HIV-Übertragungen beim Sex verhindern. Und nicht zuletzt haben wir Kondome und Femidome und die PrEP – und beim intravenösen Drogenkonsum schützen sterile Spritzbestecke.

Wenn eine Impfung funktioniert, ist sie unglaublich kosteneffektiv. Alle anderen Präventionsmittel müssen ja ständig angewendet und bezahlt werden. Je nach Anzahl der Sexualkontakte in einem Leben können da selbst bei den im Verhältnis recht günstigen Kondomen erhebliche Summen zusammenkommen. Eine Impfung, die nur ein paar Mal verabreicht werden muss – plus eventuelle Auffrischimpfungen – ist langfristig viel günstiger. Außerdem ist der Schutz nach erfolgter Impfung nicht mehr von der Mitwirkung der Person, also der Adhärenz, abhängig.

Also, ganz klar: Eine Impfung gegen HIV muss das Ziel bleiben!

Wie könnte so ein mRNA-Impfschema denn irgendwann mal aussehen? Brauchen wir dann ähnlich wie bei SARS-CoV-2 immer wieder Anpassungen, weil HIV ja schnell mutiert, und Boosterimpfungen?

Wie schon gesagt: Das, was Moderna da versucht, hat mit einer klassischen Impfung nicht viel zu tun. Wenn es überhaupt klappt, wird man sicher eine Reihe von mRNA-Gaben in einem gewissen zeitlichen Abstand brauchen – ich schätze mal mindestens fünf, vielleicht auch mehr.

Und dann ist fraglich, wie weitgehend der Schutz ist. Auch die besten bnABs können nur etwa 95 Prozent der HIV-Isolate neutralisieren. Es müsste also gelingen, den Körper zur Produktion verschiedener, sich ergänzender bnABs anzuregen – auch hier ist völlig unklar, ob das gelingen wird.

Zum Abschluss noch eine gewissermaßen politische Frage: Bei der Corona-Impfung kann ja von einer weltweit gerechten Verteilung nicht die Rede sein. Könnte das bei einem HIV-Impfstoff anders sein? Oder würden davon wieder vor allem die reichen Länder profitieren, obwohl HIV in den armen Ländern am weitesten verbreitet ist?

Impfstoffe auf der Basis von mRNA haben den großen Vorteil, dass sie schnell anzupassen und vergleichsweise billig herzustellen sind. Das heißt aber nicht unbedingt, dass sie auch billig verkauft werden! Die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, wie schnell sich die Produktion hochskalieren lässt, wenn man nur will.

Wenn das Konzept funktioniert – was ja noch völlig unklar ist – und der politische Wille da ist, wäre sicher ein mRNA-Impfstoff auch die Lösung für arme Länder, wobei hier auch noch logistische Probleme wie zum Beispiel die notwendige Kühlung gelöst werden müssten. Aber das Beispiel von Corona hat gezeigt, dass das machbar ist, wenn man nur will. Auch hier ist es so, dass das Problem erst dann gelöst ist, wenn es für alle Menschen auf der Welt gelöst ist!

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