10. Dezember: Tag der Menschenrechte

Von Holger Sweers
Gefängnisgitter
Foto: Peter Reinäcker/pixelio.de

Am 10. Dezember jeden Jahres wird der Tag der Menschenrechte begangen. Erinnert wird an die Verabschiedung der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948. Unser Gastautor Peter Wiessner setzt sich in seinem Beitrag mit dem Thema „Menschenrechte, Macht, Recht und HIV“ auseinander – und erinnert an den Aids-Aktivisten Kostya Proletarsky aus Sankt Petersburg, dem in russischen Gefängnissen die medizinische Versorgung verweigert wurde und der daraufhin an den Folgen seiner HIV-Infektion und einer Tuberkulose gestorben ist.

Wer Macht hat, bekommt Recht. Oder doch nicht?

Das Beste an den Menschenrechten ist, dass sie universal gelten und sich daraus Ansprüche ableiten lassen. Menschen haben diese Rechte also nicht aufgrund ihrer Machtposition, ihrer Beziehungen oder ihrer finanziellen Ressourcen, sondern aufgrund ihres Menschseins. Menschenrechte – zum Beispiel das Recht auf Leben, auf bestmöglichen Gesundheitszustand, auf körperliche Unversehrtheit, auf Reisefreiheit, auf freie Berufswahl, auf Schutz der Privatsphäre, auf Schutz vor Folter – sind unveräußerlich. Als „non negotiable“, also „nicht verhandelbar“ hat Nelson Mandela das Recht auf Zugang zu HIV-Medikamenten bezeichnet. „HIV ist mehr als eine Erkrankung, sondern eine Frage der Menschenrechte“, so Mandela weiter.

Menschenrechte bringen Machtgefüge durcheinander

Menschenrechte bringen Machtgefüge durcheinander: Ohnmächtige werden in Machtpositionen versetzt und können sich das Recht herausnehmen, Forderungen zu stellen. Menschen ohne Zugang zu HIV-Therapien sind nach der Logik der Menschenrechte also nicht in der Position von Bittstellern, wenn sie sich gegen die Profitgier der pharmazeutischen Industrie und ihrer Interessenvertreter zur Wehr setzen. Ganz im Gegenteil: Es ist ihr gutes Recht, den Zugang für alle einzufordern, also Medikamente für alle, die sie brauchen. Und es ist auch kein medienwirksam zu vermarktender Gnadenakt, wenn sich die Industrie zu Preisnachlässen herablässt, sondern eine Verpflichtung, der nachzukommen ist. Aufgrund der Menschenrechte begegnen wir uns prinzipiell auf gleicher Augenhöhe.

Menschenrechte stehen im Zentrum des Kampfes gegen Aids

Es ist gut, dass das Thema der Menschenrechte bei der diesjährigen Welt-Aids-Konferenz im Mittelpunkt stand. „Menschenrechte hier und jetzt“ lautete das Motto. Gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise müssen deutliche Signale gesetzt werden. Das Ringen um die Finanzierung des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose und um die Erreichung der Millenniumsziele der Vereinten Nationen zeigt, wie eng es bei der Umsetzung des Rechts auf bestmöglichen Gesundheitszustand geworden ist.

„Utopia“ nannte Thomas Morus seinen 1516 erschienenen „utopischen“ Roman um eine ideale Gesellschaftsordnung. Auch die weltweite Achtung der Menschenrechte mag in diesem Sinne „utopisch“ erscheinen. Und doch ist es wichtig, an diesem Ziel festzuhalten und sich immer wieder davon inspirieren zu lassen. Hier zwei Beispiele aus dem In- und Ausland, was dies für Menschen mit HIV bedeuten kann:

  • Nach einer eigenen und durch den Justizvollzug bestätigten Untersuchung wurden in bayerischen Haftanstalten zwischen 2003 und 2005 jährlich durchschnittlich 42,9 Kondome verteilt – bei 7.900 Gefangenen. Die meisten der hochgerechnet 4.345 sexuellen Kontakte zwischen diesen Häftlingen haben daher rein rechnerisch ungeschützt stattgefunden – der Justizvollzug in Bayern sieht darin kein größeres Problem. Die Kollegen der Arbeitsgemeinschaft Haft in Bayern bestätigen, dass sich an der Kondomvergabe auch 2010 nichts Nennenswertes verändert habe. Ihr Recht auf Gesundheitsschutz wird den Gefangenen in Bayerns Haftanstalten somit nicht in vollem Umfang gewährt.
  • Zwei Monate vor seinem Tod führte Anja Sarang mit dem russischen Aids-Aktivsten Kostya Proletarsky ein Interview über seine Erfahrungen als Drogen gebrauchender, mit Tuberkulose und HIV infizierter Gefangener: Systematisch wurden ihm Behandlungsoptionen verweigert. Als sein – vermeidbarer – Tod absehbar war, wurde er in einem „Gnadenakt“ aus dem Gefängnis entlassen – wohl, damit er in der Sterbestatistik der Gefängnisverwaltung nicht auftauchte. Das Interview mit Kostya, das man (in englischer Übersetzung) hier abrufen kann, ist ein beeindruckendes Zeugnis der Verweigerung von Menschenrechten für Menschen mit HIV.

Weiterhin die Finger in die Wunden legen

Beide Beispiele kommen aus dem Haftbereich. Ich denke, dass dort die Verletzung von grundlegenden Rechten am offensichtlichsten ist. Viele weitere Beispiele würden sich für andere vulnerable Gruppen mit HIV finden lassen, etwa in Bezug auf die Versorgung von Drogengebraucher(inne)n, von Asylsuchenden, von Migranten ohne Papiere, mit Blick auf den Zugang zur Prävention, etwa für Männer, die Sex mit Männern haben, in Osteuropa, Zentralasien und Afrika, auf die Diskriminierung von Sexarbeiter(inne)n, auf HIV-bedingte Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen und vieles mehr.

Utopia bleibt vorerst Utopia. Der Tag der Menschenrechte hat deshalb seine Berechtigung. Wir in der HIV-Arbeit tun gut daran, weiterhin die Finger in die Wunden zu legen.