Aktivismus

Parni Plus: HIV-positive und queere Menschen in Russland brauchen unsere Hilfe! 

Von Redaktion
Evgeny Pisemsky von Parni Plus Russland vor einem gelben Vorhand in einem T-Shirt der Menschenrechtskampagne

Seit 15 Jahren informiert „Parni Plus“ russischsprachige Leser*innen über HIV und LGBTIQ+-Gesundheitsthemen. 2021 hat das russische Justizministerium die Organisation als „ausländischen Agenten“ eingestuft. Seit dem Überfall Putins auf die Ukraine im Februar 2022 wird die Arbeit noch stärker erschwert. Wie Parni Plus trotzdem die Community erreicht und welche Unterstützung die wichtige Arbeit benötigt, berichtet Evgeny Pisemsky, ein Pionier des HIV- und LGBTIQ*-Aktivismus in Russland und Gründer von Parni Plus. Das Gespräch führte DAH-Mitarbeiterin Krystyna Rivera.

(Bild oben: Evgeny Pisemsky in einem T-Shirt der Menschenrechtskampagne „Love Conquers Hate“)

Lieber Evgeny, vielen Dank dir, dass du uns trotz widrigster Umstände in Russland ein Interview und damit einen Einblick in die Situation von HIV-positiven und queeren Menschen in Russland gibst. Zuallererst möchte ich dich gerne fragen, warum hast du Parni Plus ins Leben gerufen?

Es herrscht viel Unwissen zum Thema HIV – und die Zahl der Menschen mit HIV steigt Jahr für Jahr.

Als HIV-positiver schwuler Mann hatte ich den Eindruck, dass es in Russland für homosexuelle und bisexuelle Männer nicht genügend Informationen über das Leben mit HIV gibt. Deshalb beschloss ich, eine Website für HIV-positive Männer einzurichten. Mit der Zeit erkannten mein Team und ich, dass nicht nur Männer mit HIV einen Informationsbedarf haben, sondern auch ihre Partner, die sich vor Krankheiten schützen wollen. So wurden wir nach und nach zu einer Gesundheitsseite für schwule und bisexuelle Männer. Dann wurde uns klar, dass wir einen Ort schaffen möchten, wo allgemein über die Gesundheit von LSBTIQ+-Menschen gesprochen wird. Wir haben dann angefangen, neben HIV und PrEP auch über Themen wie Stress und Depressionen oder Menschenrechte zu sprechen. Wir sehen das alles als Teil der Gesundheit. Wenn die Grundbedürfnisse der Menschen nicht erfüllt sind oder ihre Rechte in einem Land verletzt werden, hat das erhebliche Auswirkungen auf ihre Gesundheit.

In Russland steigt die Zahl der neuen HIV-Fälle rapide an und die Menschenrechte, insbesondere die von queeren Menschen, werden auf eklatante Weise verletzt. Gleichzeitig führt ihr entgegen der HIV-Politik der Regierung Präventionsprogramme durch. Wie kommt es, dass der Kampf gegen HIV zu einem roten Tuch für den Staat geworden ist?

HIV-Aktivismus ist zum einen eng mit dem Eintreten für die Rechte unterdrückter Gruppen wie queerer Menschen, Sexarbeiter*innen, Drogenkonsument*innen und Migrant*innen verknüpft – alles von rechtskonservativen Populist*innen stark angegriffene Personengruppen. Zum anderen benötigt ein wirksames System zur HIV-Prävention und -Behandlung eine transparente und verantwortungsvolle öffentliche Verwaltung im medizinischen Bereich, was den Interessen korrupter Beamter in Russland zuwiderlaufen würde. Aus diesen zwei Gründen ist der Kampf gegen HIV ein rotes Tuch für den Staat geworden. Im russischen Staat, der auf Machtkult, Vetternwirtschaft, Korruption und Rechtspopulismus basiert, der in regelrechten Faschismus übergeht, hat HIV-Prävention leider nur wenig bis keinen Platz.

Evgeny Pisemsky bei einer Aktion vor dem russischen Gesundheitsministeriums:
„10 Prozent der schwulen Männer leben mit HIV! Wo bleibt die Prävention?“
(Foto: Evgeny Pisemsky)

„Ausländischer Agent“ ist ein Status, der in Russland seit 2012 Organisationen und seit 2020 auch Privatpersonen zugewiesen wird, die ausländische Unterstützung erhalten oder unter „ausländischem Einfluss“ stehen. Wie wirkt sich das auf die Redefreiheit und die HIV-Situation im Land aus?

In der Praxis bedeutet das, dass die meisten Organisationen in Russland kein Geld mehr aus dem Ausland bekommen können. Falls sie doch welches annehmen, können sie mit hohen Geldstrafen belegt werden. Beides zwingt Organisationen früher oder später zur Schließung. Queere Organisationen und Aktivist*innen machen den größten Anteil derjenigen aus, die als ausländische Agenten eingestuft werden. Vor der aktiven Phase des Krieges in der Ukraine tauchten noch queere Gruppen auf, die nicht offiziell registriert waren. Diese wurden nach Kriegsbeginn ebenfalls als ausländische Agenten eingestuft. Heute versuchen die meisten noch verbliebenen Organisationen außerhalb Russlands den russischen Bürger*innen zu helfen. Daher ist die Zahl der Organisationen und Gruppen gesunken, die über HIV, Sexualität und Identität sprechen oder dazu beraten. Das in Russland vorherrschende Tabu, über Sex und STIs wie HIV zu sprechen, wird dadurch noch weiter verstärkt. Es herrscht dementsprechend viel Unwissen und Unsicherheit gegenüber dem Thema HIV – und die Zahl der HIV-positiven Menschen steigt damit Jahr für Jahr.

Seit 2013 gilt in Russland ein Gesetz, das „Homo-Propaganda“ unter Strafe stellt. Seitdem sind jegliche positiven Äußerungen über Homosexualität in Anwesenheit von Minderjährigen oder über Medien wie das Internet verboten. Welche Auswirkungen hat das „Anti-Homopropaganda-Gesetz“ auf eure Arbeit?

Wir hatten keine Probleme, bis im Jahr 2018 ein Beamter aus dem Ural meinte, wir seien eine Gefahr für die Gesellschaft, weil wir für Homosexualität werben würden. Er verklagte uns aufgrund eines Artikels, in dem eine deutsche Studie beschrieben wurde, die besagt, dass das Nutzen von Pornografie zur HIV-Prävention eine gute Lösung sei. Dann wurde die Website per Gerichtsbeschluss gesperrt.

Zum Glück setzten sich regionale Aidshilfen und UNAIDS, das damals seinen Sitz noch in Moskau hatte, für Parni Plus ein. Zusammen gelang es uns, dass wir die Website weiterbetreiben dürften. Für drei Jahre.

Obwohl unsere Website in Russland offiziell blockiert ist, sind wir mit 2 bis 3 Millionen Leser*innen das größte russischsprachige Medium zu LSBTIQ*- und HIV-Themen.

In 2021 gefiel es dem Justizministerium nicht, dass wir auf unserer Website die Regierung kritisierten. Wir sprachen offen an, dass es gesellschaftliche und gesetzliche Diskriminierung von Homosexuellen gibt und unter anderem dadurch HIV-Präventionsnachrichten bei Homosexuellen nicht vollständig ankommen. Wir wurden als „Ausländischer Agent“ eingestuft und unsere Website offiziell gesperrt. Dennoch erreichen wir auch heute noch immer Millionen von Menschen in Russland.

Erreicht ihr eure Zielgruppen, HIV-positive und queere Menschen, so wie ihr sie erreichen wollt?

Wir können keine Präventionsmaßnahmen durchführen, die den Empfehlungen der WHO und der evidenzbasierten Medizin gerecht werden. Wir können nicht die Sprache und das Wording unserer Zielgruppen nutzen. Wir können die Dinge nicht beim Namen nennen. Und das ist ein großes Problem. Heute ist Russland in der Region Osteuropa-Zentralasien an der Spitze, was die Zahl der neuen HIV-Diagnosen angeht.

Welche Auswirkungen hat der Krieg auf eure Arbeit?

Eine große Zahl HIV-positiver Menschen hat Russland verlassen, was wiederum die epidemiologische Situation in den Aufnahmeländern stark beeinflussen kann. Seit Beginn des Krieges hat sich dementsprechend unser Publikum dramatisch verändert. Früher kamen 70 Prozent der Besucher*innen aus Russland. Jetzt sind es nur noch 25 Prozent, die zweitgrößte Zielgruppe ist die Ukraine mit 15 Prozent, gefolgt von Anrainerstaaten Russlands und großen Besucher*innenzahlen aus Deutschland und den Niederlanden. Daher verlagern wir unseren Schwerpunkt von Russland auf all diese Länder.

In einem fremden Land ein neues Leben anfangen zu müssen, ist für Menschen Stress pur. Und wenn man gestresst ist, steigt die Anfälligkeit für HIV.

Wir möchten darauf schnellstmöglich reagieren und für diese Menschen Leitfäden erstellen, in denen beschrieben wird, wie man Hilfe bei HIV oder psychischen Problemen bekommen kann. Um das realisieren zu können und generell weiterhin HIV-positive und queere Menschen in Russland erreichen zu können, brauchen wir jede finanzielle Unterstützung.

Evgeny Pisemsky mit einem Aktivisten der Menschenrechtsorganisation Peter Tatchell Foundation
(Foto: Evgeny Pisemsky)

Was wollt ihr jetzt machen?

Wir wollen allen russischsprachigen HIV-positiven und queeren Menschen zur Seite stehen. Das Wichtigste ist und bleibt aber für uns, denjenigen zu helfen, die weiterhin in Russland sind oder Russland verlassen wollen. Wir wollen sie weiter mit lebenswichtigen Informationen zu HIV und anderen Gesundheitsthemen versorgen.

Auch wollen wir den queeren Organisationen helfen, die weiterhin in Russland tätig sind. Wir wollen sie unterstützen, ein größeres Publikum zu erreichen. Obwohl unsere Website in Russland offiziell blockiert ist, haben wir noch 2 bis 3 Millionen Leser*innen. Das macht uns zum größten russischsprachigen Medium zu LSBTIQ*- und HIV-Themen. Wir möchten den Dialog mit den HIV-positiven und queeren Menschen in Russland aufrechterhalten, ihnen Informationen liefern und helfen.

Zudem veröffentlichen wir auch Materialien mit einer Antikriegsagenda, in denen wir den Menschen erklären, wie sie etwas bewirken können. Wir glauben, dass nicht nur Hoffnung für die Menschen wichtig ist, sondern auch die Möglichkeit, etwas zu bewirken, indem man in Russland bleibt und sich einem faschistischen Regime widersetzt.

Damit wir weiter helfen können, brauchen wir finanzielle Unterstützung.

Wie können wir euch helfen?

Damit wir weiter für die Menschen da sein können, brauchen wir finanzielle Unterstützung. Dafür haben wir eine Spendenseite ins Leben gerufen. Jeder Euro, Pfund oder Dollar hilft uns und allen russischsprachigen HIV-positiven und queeren Menschen zu überleben.

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