Amerikanische Wissenschaftler fragen HIV-Community nach Forschungsinteressen
Wann ist der günstigste Therapiestart? Welche Kombinationstherapien haben sich am besten bewährt? Wie können mehr Menschen den HIV-Test nutzen? Dies sind nur einige der Fragen, die für Community-Vertreter aus internationalen Forschungsverbünden Vorrang in der zukünftigen HIV-Forschung haben sollten. Bevor die „Wunschliste“ an die zuständige US Division of AIDS (DAIDS) geht, werden HIV-Patienten nun weltweit nach ihrer Meinung befragt. In den nächsten Wochen hat jede(r) die Möglichkeit, dieser Liste eigene Ideen hinzuzufügen und so Einfluss auf die HIV-Forschung zu nehmen.
Die Beteiligung von Menschen mit HIV/Aids bei der Ausgestaltung und Umsetzung von Forschungsprojekten ist in den USA weit entwickelt. Patientenvertreter arbeiten in allen entscheidenden Gremien der Division of AIDS (DAIDS) mit. Diese Arbeitseinheit des amerikanischen Gesundheitsministeriums, der National Institutes of Health (NIH), organisiert seit 2006 Jahren ein Studiennetzwerk im HIV-Bereich. Dazu gehören folgende Unterabteilungen:
- AIDS Clinical Trials Group (ACTG)
- HIV Prevention Trials Network (HPTN)
- HIV Vaccine Trials Network (HVTN)
- International Maternal Pediatric Adolescent AIDS Clinical Trials (IMPAACT)
- Microbicide Trials Network (MTN)
- International Network for Strategic Initiatives in Global HIV Trials (INSIGHT).
Das INSIGHT-Netzwerk hat u. a. die ESPRIT- und SILCAAT-Studien zu Interleukin-2 durchgeführt sowie die SMART-Studie, in der beurteilt werden sollte, ob Therapiepausen sinnvoll sind. Ein anderes Projekt versucht derzeit mit der START-Studie, den optimalen Zeitpunkt für den Therapiebeginn zu finden.
Forschungsnetzwerke verfügen über ausgeprägte Community-Beteiligung
Bemerkenswert ist, dass alle diese Netzwerke über eine ausgeprägte Community-Beteiligung verfügen. So hat z. B. INSIGHT für jedes internationale Koordinationszentrum (International Coordinating Center) – das sind Washington, Sydney, London und Kopenhagen – derzeit vier Community-Vertreter (Community Representatives). Außerdem gibt es noch eine netzwerkübergreifende Struktur, die „Community Partners“. Hier tauschen sich Vertreter der einzelnen Netzwerke untereinander aus und sorgen dafür, dass das Rad nicht jedes Mal neu erfunden wird.
Da sich das Bild der HIV-Infektion durch die erfolgreichen Behandlungsmöglichkeiten stark gewandelt hat, soll jetzt auch die Struktur der Netzwerke den veränderten Rahmenbedingungen angepasst werden. Im Vordergrund stehen nunmehr Langzeitkomplikationen der HIV-Infektion sowie Begleiterkrankungen wie Hepatitis, Tuberkulose und andere Infektionen von globaler Bedeutung, z. B. Influenza, West-Nil-Virus, Dengue-Fieber, Malaria und SARS.
Aber auch was HIV anbelangt, sind die NIH auf der Suche nach der Welt von morgen. Das heißt, es wird überlegt, für welche langfristigen Forschungsziele man Geld ausgeben will. Die Forscher wollen hierzu die Meinungen und Ideen der Community einholen. Dafür sammelten zunächst die einzelnen Netzwerke ihre Vorschläge für Forschungsprioritäten der Community (community scientific priorities). Diese wurden dann abgeglichen und in eine Rangliste gestellt. Heraus kam eine Liste mit unterschiedlichsten Fragestellungen.
Patientenvertreter erarbeiten eine TOP 11 der Forschungsthemen
Die Top 11 der Forschungsfragen lauten:
1. Wie kann HIV aus allen Körperkompartimenten effektiv entfernt werden?
2. Welche Möglichkeiten der Präexpositionsprophylaxe (PrEP) sind sicher, wirksam, akzeptabel und zugänglich?
3. Welches sind die besten antiretroviralen Einstiegs- und Folgetherapien? Welche Therapien sind für die einzelnen Gruppen am besten geeignet?
4. Mit welchen innovativen and wirksamen Strategien lassen sich mehr Menschen für den Test gewinnen?
5. Welche Langzeitnebenwirkungen hat die HAART im Hinblick auf Lernschwierigkeiten, Stoffwechselstörungen/körperliche Veränderungen, Herzgesundheit, reproduktive Gesundheit und verminderte Knochendichte? Wie behandelt man neurokognitive und neurologische Störungen in allen Erkrankungsstadien?
6. Zu welchen Problemen können antiretrovirale Mikrobizide im Zusammenhang mit Resistenzen auf individueller und Community-Ebene führen?
7. Wann soll man eine HAART beginnen?
8. Wodurch wird die Therapietreue (Adhärenz) beeinflusst? Wie kann sie optimiert werden? Mit welchen Strategien kann man Kindern die antiretrovirale Therapie „schmackhafter“ machen?
9. Unterscheiden sich die Behandlungskomplikationen und -ergebnisse je nach Betroffenengruppe, z. B. Männer, Frauen oder bestimmte Ethnien?
10. Wie können Entzündungen (= eine Immunaktivierung) im Körper, insbesondere im Zentralnervensystem reduziert werden?
11. Wie wirken sich weit verbreitete Koinfektionen wie z. B. Tuberkulose, Malaria, Hepatitis oder Dengue-Fieber auf HIV aus? Und welche Auswirkungen hat HIV auf diese Koinfektionen?
Kommentare, Anregungen und Ergänzungen ausdrücklich erwünscht
Die Liste wird nun weltweit verteilt mit der Bitte um Kommentare, Anregungen und Ergänzungen aus jenen Community-Bereichen, die nicht direkt an die Netzwerke angekoppelt sind.
Wer Ideen und Vorschläge hat, kann sie direkt in diesen dah_blog eintragen. Wir leiten sie dann an das international besetzte Community-Board weiter. Es wäre gut, nicht einfach nur globale Forderungen, wie etwa „mehr genderspezifische Forschung“ oder „Zugang zu Medikamenten für alle“ zu stellen. Vielmehr sollte man/frau konkrete Forschungsfragen formulieren, die mit Hilfe von kontrollierten klinischen Studien geklärt werden können.
Siegi Schwarze
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1 Kommentare
Thomas 24. Dezember 2010 1:33
1.) Obwohl es etliche Mitteilungen zu sog. alternativen Heilverfahren od. Unterstüützungsverfahen z.B. „Sutherlandia“ gibt, werden diese von der Forschung nicht weiter untersucht bzw. ausreichend kommentiert od. kommuniziert. Hierdurch wird einerseits der Scharlanterie Tür u. Tor geöffnet anderseits m.E. auch eine Chance vertan neue Wege der Behandlung einzuschlagen.
2.) Neben der reinen klinischen Forschung werden nach wie vor m.E. Begleiterscheinungen wie Gewichts-, Muskelverlust e.t.c. viel zu Beachtung geschenkt. Auch wenn neuer Medikamente dies evtl. verhindern, so leiden doch viele Langzeitpositive unter diesen stigmatisierenden Begleiterscheinungen.