Kompetenznetz HIV/AIDS 5 | Raus bevor’s ganz dicke kommt!
Die Daten von Menschen mit HIV zu sammeln ist von vornherein prekär. Die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) kann deren Interessen im Kompetenznetz nun nicht mehr vertreten. Zugleich hatte das Netz von Anfang an Konstruktionsfehler. Für DAH-Vorstandsmitglied Carsten Schatz lautet die Konsequenz: Aussteigen. Die Daten und das Biomaterial müssen nachweisbar vernichtet werden
Alle Bemühungen um eine Fortführung der staatlichen Förderung des Kompetenznetzes HIV/AIDS und damit das Kompetenznetz selbst sind gescheitert. Mit dem Ende der Förderung Ende April dieses Jahres endet auch die Begleitung des Netzes durch die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH). Damit fällt ein wichtiger Ansprechpartner für die Studienteilnehmer/innen weg. Der Patientennewsletter, für viele die einzige Informationsquelle, ist eingestellt. Alle Informationen für Teilnehmende sind nur noch über die Schwerpunktpraxis zu bekommen. Der Patientenbeirat wird seine Arbeit lediglich ehrenamtlich weiterführen. (Wer zahlt dann eigentlich für Treffen und Arbeit des Gremiums?) Soweit der unerfreuliche Stand der Dinge.
Informationen für die Teilnehmenden gibt es nur noch über die Schwerpunktpraxen
Die Mitgliederversammlung des Kompetenznetzes hat beschlossen, die Arbeit vorerst trotz allem weiterzuführen, weil noch wichtige Studien laufen. Ich bin kein Wissenschaftler und möchte daher keine Aussagen zur Wichtigkeit dieser Studien treffen. Allerdings hat auch niemand versucht, mir diese Wichtigkeit nahe zu bringen. Fakt ist: Bis 2016 sollen Daten und Bio-Material der Teilnehmenden zentral an der Uni Bochum gelagert werden.
Der Patientenbeirat und die DAH haben an alle Teilnehmenden einen Brief geschrieben und in neutralem Ton die Möglichkeiten des Umgangs mit der Situation dargestellt:
- Nichts unternehmen. Die Daten und Proben stehen dann der Forschung bis zur Vernichtung 2016 zur Verfügung.
- Aussteigen. Die DAH bietet dazu ein Formular zum Download an, dies dem Arzt aushändigen. Die Daten werden gelöscht, das Bio-Material sofort vernichtet.
Ich persönlich plädiere ganz klar für Variante zwei. Raus, bevor’s ganz dicke kommt!
In der Gründungsphase des Kompetenznetzes habe ich im Vertrauen auf die Teilnahme der Deutschen AIDS-Hilfe im Patientenbeirat und auf die unabhängige Förderung des Staates für diese Arbeit vielen Menschen mit HIV/Aids zugeraten, sich zu beteiligen.
Schon Ende 2006 wurde der erste Skandal bekannt, Daten von Teilnehmenden waren ohne deren Einverständnis ins Ausland übermittelt worden. Dort unterliegen sie nicht dem Datenschutzstandard, den wir aus Deutschland gewohnt sind.
Schlampige Dateneingabe, mangelnde Kommunikation, falsches Vertrauen ins Arzt-Patient-Verhältnis
Mitte 2007 die nächste Hiobsbotschaft: Rund die Hälfte der ursprünglich „in die Kohorte Eingeschleusten“ (immer diese Fachwörter) fiel aus dem Netz heraus, weil bei der Dateneingabe grobe Fehler passiert waren. Informationen an die Teilnehmenden? Fehlanzeige!
Viele haben mich damals gefragt, warum sie nicht benachrichtig würden. Leider konnte ich ihnen ad hoc keine Antwort geben. Erst nach mühevoller Netzrecherche konnte ich mir das Informations-Desaster erklären: Der Patientenbeirat hatte keinen direkten Kontakt zu den Teilnehmenden – der lief im Wesentlichen über die beteiligten Arztpraxen und Behandlungszentren. Welches Interesse aber hat eine Praxis, den Patienten im Wartezimmer mitzuteilen: „Übrigens, wegen schlampiger Dateneingabe sind wir bei diesem wichtigen Forschungsprojekt nicht mehr dabei.“
An noch einem weiteren Punkt führt uns das Kompetenznetz zur Frage nach dem Arzt-Patienten-Verhältnis. Wir sollten unser Wissen ernst nehmen und nicht so tun, als ob hier alles im Lot wäre. Auf der einen Seite schulen und trainieren wir zurecht Patientinnen und Patienten, weil es für die meisten Menschen mit HIV/Aids schwierig ist, beim Arzt Probleme und Fragen loszuwerden. Da können wir doch nicht auf der anderen Seite den Leuten sagen: Bezüglich des Kompetenznetzes klärt mal einfach alles mit eurem Arzt!
Die Daten sind nicht vor Beschlagnahmung geschützt, während mancher Staatsanwalt „Virenschleudern“ verfolgen möchte
Hier hatte das Netz von Beginn an einen Konstruktionsfehler. Ich habe mich damit beruhigt, dass die Leute sich an die DAH und den Patientenbeirat wenden konnten. Da das jetzt weitgehend wegfällt, sage ich ganz klar: Schluss. Jetzt raus!
Punkt zwei: Die Daten sind nicht vor Beschlagnahmung geschützt, zum Beispiel im Zuge von Strafverfahren. Das hat sowohl eine von uns in Auftrag gegebene Studie als auch eine Stellungnahme des Deutschen Ethikrates zur Sicherheit von Human-Bio-Banken deutlich gemacht. Solange Staatsanwälte in Deutschland herumlaufen, die meinen, über die juristische Verfolgung von „Virenschleudern“ Prävention betreiben zu können, halte ich bereits die Sammlung dieser Daten für hoch prekär – aus welchem Grund auch immer sie erfolgt.
Und wieder: Wir haben damals den Beteiligten Wissenschaftler/innen und Ärzt/inn/en gesagt: Kämpft mit uns für eine Änderung dieser Situation. Ich habe bislang aus dieser Richtung nichts vernommen, meine Hoffnung auf mehr hält sich in Grenzen. Dass die Daten nun an einem Ort gelagert werden sollen statt wie bisher dezentral, macht sie in ihrer Gesamtheit sogar noch leichter zugänglich.
Wir müssen die Dinge nun also selbst in die Hand nehmen. Die Daten und das Biomaterial müssen nachweisbar vernichtet werden. Mit anderen Worten: Schluss. Jetzt raus!
Die Aids-Hilfe hat sich überschätzt, als sie beschloss, den Tiger zu reiten
Punkt drei ist ein Punkt der Selbstkritik. Ich glaube, die Aidshlfe und ihr Umfeld haben sich überschätzt, als sie beschlossen, den Tiger zu reiten. Wie im Beitrag von Bernd Vielhaber angedeutet, hat das Kompetenznetz immer mit unterschiedlichen Interessen zu ringen gehabt, Spannungen gab es zum Beispiel zwischen klinischen Forschern und niedergelassenen Ärzten. Die einen haben hier gezogen, die anderen dort, von unten wurde geschoben und oben sind die Leute weggerannt.
Wir hatten in dieser Situation oft das Gefühl, fast die einzige Akteurin zu sein, die noch am Erfolg des Gesamtprojektes interessiert ist. Während es anderen oft um Kohle und Einfluss ging, haben wir versucht, die Interessen von Menschen mit HIV/Aids zu vertreten. Diesen Auftrag haben wir aber zu oft auf dem Altar der Abwägung und der Diplomatie geopfert.
In Zukunft würde uns in diesem Spiel unser wichtigster Mitspieler fehlen: die Bundesregierung. Als Finanzier ist sie der Öffentlichkeit Rechenschaft schuldig und durch politischen Druck beeinflussbar. Dieses Korrektiv steht nicht mehr zur Verfügung. Die Interessen der Menschen mit HIV/Aids klar und deutlich zu vertreten bedeutet darum abermals: Schluss. Jetzt raus!
Wir brauchen in Zukunft eine offene Diskussion, vorher aber eine klare Botschaft: Jetzt aussteigen!
Das Kompetenznetz ist ein wichtiges Kapitel in der Geschichte von HIV in Deutschland, daran ändert auch sein Scheitern nichts. Durch die Verschickung von Daten ins Ausland sind Fragen des Datenschutzes immerhin in den Fokus der Debatte gerückt. Es wurden Diskussionen über den Sinn von Studien geführt und Diskussionen über Interessenvertretung von Menschen mit HIV/Aids geführt.
Ich hoffe, dieser Prozess ist noch nicht beendet, denn wir brauchen diese Lektionen für die nächsten Auseinandersetzungen. Dazu gehört für mich auch, nicht hinter verschlossenen Türen zu kungeln, sondern Debatten in der Öffentlichkeit zu führen – zum Beispiel auf den Internetseiten der DAH.
Bevor wir aber weiter historisieren und diskutieren, brauchen wir eine klare Botschaft an die Menschen mit HIV/Aids in Deutschland, die den Aidshilfen vertrauen. Die lautet meines Erachtens: Nehmt die Dinge in die eigene Hand. Druckt den Antrag auf Löschung der Daten und Vernichtung des Biomaterials aus, und wenn ihr Fragen habt, wendet euch an Vertraute oder eure Aidshilfe. Legt die ausgefüllte Erklärung eurem Arzt/eurer Ärztin vor. Steigt aus!
Bisher erschienen:
„Das Ende nach 18,6 Millionen Euro“ von Steffen Taubert (Deutsche AIDS-Hilfe)
„Die Hoffnung stirbt zuletzt“ von Siegi Schwarze (Mitglied im Patientenbeirat und Patientensprecher im Kompetenznetz HIV/AIDS)
„Kohorte der Kohorte wegen?“ von Corinna Gekeler
„Setzen, sechs“ von Bernd Vielhaber
Am Dienstag erscheint als letzter Teil unserer Serie ein Ausblick von Steffen Taubert (DAH).
Diesen Beitrag teilen
5 Kommentare
Siegfried Schwarze 24. Mai 2011 7:14
Hier ein paar Anmerkungen zur Klärung:
– Der Patientenbeirat (und übrigens auch das Steering-Committee) haben immer ehrenamtlich gearbeitet. Die Reisekosten für die Treffen wurden durch das KompNet getragen.
– Die Datenverschickung ins Ausland fand wegen der Intervention des Patientenbeirats und der DAH eben NICHT statt.
– die zentralisierten Daten sind PSEUDONYMISIERT – damit kann kein Staatsanwalt der Welt etwas anfangen !!! Die Zuordnungslisten zu den Patientennamen liegen in der Patientenakte beim Arzt und die sind beschlagnahmesicher !!!
– natürlich gab und gibt es Ärzte, denen der eigene Vorteil wichtiger war als die Sache, aber es gibt eben auch eine Mehrheit von Forschern, denen die Forschung wichtig ist, und denen sollte man jetzt noch eine Chance geben, die gesammelten Daten optimal auszuwerten. Welche Bedeutung diese Daten bzw. deren Auswertung haben, kann man naturgemäß erst im nachhinein beurteilen.
– was die direkte Information der Patienten anbelangt: Genau das ging natürlich nie – eben wegen des Datenschutzes. Deshalb war und ist immer der Umweg über den behandelnden Arzt notwendig. Also kein „Konstruktionsfehler“…
Ich würde mir im Umgang mit den Resten des KompNet wirklich etwas mehr Sachlichkeit und Detailgenauigkeit wünschen und weniger diffuse Panikmache!
Engelbert Zankl 24. Mai 2011 19:24
Lieber Carsten, lieber Steffen,
ich finde es unverantwortlich wie ihr jetzt Panikmache bezüglich der Datensichersicherheit im Kompetenznetz betreibt.
Die Daten sind pseudonymisiert und nur der behandelnde Arzt ist in der Lage sie zuzuordnen, sind also genauso sicher wie unsere anderen Daten beim Arzt.
Deshalb kann natürlich auch der Patientenbeirat den TeilnehmerInnen keine direkte Nachricht zukommen lassen und musste indirekte Wege beschreiten(newsletter!!)- das Interesse der TeilnehmerInnen war auch nicht besonders groß, der Patientenbeirat hat in 8 Jahre genau EINE emailanfrage bekommen!
Eine Datenweitergabe ins Ausland fand wegen der Intervention des Patientenbeirats und der DAH nicht statt.
Die mühevolle Erstellung der Datenbank, die jetzt endlich vielleicht noch interessante Ergebnisse hervorbringt, durch Polemisierung und Unsachlichkeit verwässern zu wollen, durch den Aufruf an die Teilnehmer sollen bitte sofort aussteigen, finde ich kontraproduktiv.
Ich finde es eher fragwürdig wenn die DAH jetzt aussteigt weils kein Geld mehr gibt. Die TeilnehmerInnen haben ihre Unterschrift in den Einverständniserklärungen bis zur Beendigung der Datenerfassung plus 6 Jahre gegeben.
Ruft die DAH (oder zumindest ein Vorstand) deshalb zum Ausstieg auf, weil sie keine Lust auf Datenüberwachung hat ohne Bezahlung?
Der Patientenbeirat hat sich dazu bereit erklärt dies bis zum Ende (Juni 2006) ehrenamtlich zu tun.
Also gebt der Auswertung noch eine Chance und bleibt drin!
Lieber Gruß
Engelbert (Patientenbeirat)
carsten 1. Juni 2011 16:49
lieber siegi, lieber engelbert,
es wurden daten ins ausland geschickt oder wie erklärt ihr euch dann diese aussage hier: http://www.ondamaris.de/?p=144
steht da übrigens schon ewig im netz. wenns nicht stimmen würde, hätte das sicher presserechtliche konsequenzen gehabt.
die beschlagnahmesicherheit sehe ich in der tat anders.
und ob es einen weg direkt an die patienten geben würde, ohne dass patientenbeirat und dah wissen wer sie sind? ja, technisch möglich mittlerweile. und der rest ist über datenschutzerklärungen zu machen. an dieser stelle halte ich das für ein vorgeschobenes argument.
und nein, ich rufe nicht zum ausstieg auf, weil es kein geld mehr gibt, sondern weil es keine institutionalisierte beteiligung der dah mehr gibt. die war für mich in der tat sowas wie ne garantie. trotz aller bedenken und auch der eigenen überschätzung. (siehe mein punkt drei.)
ich rufe zum ausstieg auf, weil ich meine, es ist der beste weg für datensicherheit zu sorgen.
beste grüße
carsten
Steffen 3. Juni 2011 18:01
In der Tat nimmt das Kompetenznetz auch an international vernetzten Studien teil. DAH und Patientenbeirat haben sich 2006 gegen die ungefragte Weitergabe von Blutproben gewendet, da wir fanden, dass dies durch die damalige Patienteneinwilligungserklärung nicht ausreichend gedeckt war. Unsere Position war jedoch nicht unumstritten. International vernetzte Forschung mit Biobanken und Kohorten ist juristisch ein komplexes Neuland und einige Wissenschaftler im Kompetenznetz fragten, ob es überhaupt eine zusätzliche Einwilligung bedürfe. Das Kompetenznetz ist jedoch der Argumentation von DAH und Patientenbeirat gefolgt. Mittlerweile gibt es eine neue Patienteneinwilligungserklärung. Es darf nur von jenen Patient(inn)en Daten und Biomaterial ins Ausland geschickt werden, die diese Erklärung unterschrieben haben. Dies wird extra dokumentiert.
Zur Beschlagnahmesicherheit: Die DAH hatte ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben das prüfen sollte, wie sicher Forschungsdaten beim Arzt sind. Resumee: Behandlungsdaten unterliegen dem Schutz vor Beschlagnahme, Forschungsdaten jedoch nicht. Worunter die Kompetenznetzdaten fallen, konnte auch das Gutachten nicht eindeutig klären. (siehe auch DAH-BLOG, http://bit.ly/ixr2OP). Dies könnte – bei einer Klage gegen eine Beschlagnahme – nur ein Gericht festlegen.
Tourist 9. Juli 2011 0:43
Ich bin kein Experte, um zu beurteilen, was da passiert. Die Diskussion eines Datentransfers ins Ausland fand ich irgendwie lustig, andereseits auch irritierend, aber das liegt vielleicht daran, dass ich kein deutscher Staatsbürger bin.
Bei einer Observationsstudie, die durch Ethikkommission und Einverständniserklärung unbedenklich erklärt wurde, für einen Transfer von pseudonomysierten Daten ins benachbarte EU-Ausland (was soll denn sonst gemeint sein?) spezielle Erfordernisse zu verlangen, offenbar weil das „Ausland“ besonders gefährlich zu sein scheint, hinterläßt einen nationalistischen Eindruck. Wieso wird da das „Ausland“ so hervorgehoben. Ist es nicht möglich, dass im Ausland die gleichen EU-Regeln gelten?
Also, da scheint ordentlich viel politisches Kleingeld verdient worden zu sein. Cui bono?