Arm aber sexy: Berlins Senatorin für Gesundheit macht Vor-Ort-Arbeit
Der Hintern kommt gut an. Auf den Partys hilft er den Vor-Ort-Arbeitern von Mancheck, mit der Zielgruppe ins Gespräch über HIV, sexuell übertragbare Krankheiten und Safer Sex zu kommen. Heute beflügelt das Prachtstück das Gespräch mit der Gesundheitssenatorin von Berlin.
„Eigentlich müsste man das Projekt zu machen, die Arbeit ist so nicht zu leisten.“
Katrin Lompscher (Die Linke), möchte nämlich gerne ganz genau wissen, wie die Arbeit von Mancheck funktioniert. Also holt Rolf de Witt kurzerhand den Hintern aus der Materialkammer. Es funktioniert: Die Requisite erheitert Frau Lompscher, die Gesprächsrunde gewinnt an Fahrt.
Die Senatorin hat sich Zeit genommen. Anderthalb Stunden sitzt sie an diesem drückend heißen Sommertag mit Mancheck- und Aidshilfe-Mitarbeitern zusammen. Begleitet wird sie vom offen schwulen Vorsitzenden der Linkspartei in Berlin, Klaus Lederer. Eingeladen haben Mancheck und die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) gemeinsam, denn Mancheck ist in Not. Von einer „dramatischen Unterversorgung in der personalkommunikativen Vor-Ort-Arbeit in Berlin“ spricht Dirk Sander, DAH-Referent für Männer, die Sex mit Männern haben, im Einladungsschreiben.
Die Situation ist nicht neu: In Berlin steigen die HIV-Infektionszahlen bei Männern, im Jahr 2008 um 7 Prozent. Eine Syphiliswelle (Anstieg der Diagnosen in Berlin 2008: 46 Prozent) wird aller Voraussicht nach einen weiteren Anstieg der HIV-Neuinfektionen verursachen.
Die Mittel für Prävention hingegen steigen nicht. Sie sind in den letzten Jahren sogar reduziert worden. 200.000 Euro gab’s für den Mancheck-Vorläufer Präventionsteam Berlin (PTB) im Jahr 2002, jetzt muss Mancheck mit 162.000 Euro haushalten.
„Eigentlich müsste man das Projekt zumachen“, sagt Marcel de Groot, Geschäftsführer der Berliner Schwulenberatung, die Träger von Mancheck ist. „Die Arbeit ist unter diesen Bedingungen nicht zu leisten.“ De Groot macht sich mittlerweile nicht nur Sorgen um die Gesundheit der Schwulen in Berlin, sondern auch um die seiner Mitarbeiter.
„Wo befindet sich eigentlich die Verantwortung für die Prävention?“
Die arbeiten seit Jahren mit höchstem persönlichen Einsatz für das Projekt. Drei untertariflich bezahlte Personalstellen, verteilt auf vier hauptamtliche Kräfte, dazu ein MAE-Mitarbeiter vom Arbeitsamt – das ist die personelle Ausstattung des Projektes, das in der deutschen HIV- und Homo-Hauptstadt für die Prävention zuständig ist. Sie reicht hinten und vorne nicht. „Für alles, was wir gut machen wollen, können wir drei andere Sachen nicht machen“, stellt de Witt lakonisch fest.
Mancheck fordert acht Personalstellen und insgesamt 400.000 Euro pro Jahr, um den immer komplexer werdenden Aufgaben der Prävention gerecht werden zu können und um die rund 20 Ehrenamtler des Projekts anzuleiten.
Katrin Lompscher lernt an diesem Nachmittag viel über ihre Stadt. Dass es in Berlin 70 schwule Sexpartys pro Woche gebe zum Beispiel und 80 klassische Homopartys obendrauf. Dass Mancheck 120 Bars und Cafés zu seinem Arbeitsbereich zählt und 46 Etablissements, „in denen eine sexuelle Begegnung möglich ist“, wie Rolf de Witt lächelnd in schönstem Behördendeutsch referiert. Hinzu kommen Events wie der CSD und das Lesbisch-schwule Stadtfest.
Dass die HIV-Prävention komplizierter geworden ist, seit persönliches Risikomanagement eine immer größere Rolle spielt, berichten die Mitarbeiter von Mancheck natürlich auch, und sie machen deutlich, wie wichtig es ist, für jede Zielgruppe die richtige Herangehensweise zu entwickeln: Bei Partys, die überwiegend von Menschen mit Migrationshintergrund besucht werden, rückt man besser nicht mit dem Hintern an, sondern verteilt zum Beispiel Leckereien am Eingang.
Dass bei HIV-Infektionen oft Drogen eine Rolle spielen, erfährt Katrin Lompscher schließlich noch, und dass Mancheck die Zeit fehlt, dieses Problem systematisch anzugehen. Als die Senatorin hört, dass manche Schwule Drogen benutzen, um sexuelle Praktiken zu ermöglichen, die – Stichwort Hintern – sonst zu schmerzhaft wären, entgleisen ihr kurz die Gesichtszüge. „Komische Leute“, murmelt sie. Aber dann kommt sie auch schon auf die Idee, die Sache mit den Drogen mal mit ihrer Drogenbeauftragten zu besprechen. Vielleicht geht da was.
Denn das ist ja die Frage, die an diesem Sommernachmittag im Raum steht: Was geht?
Keine Kürzung des Präventionsetats im Haushaltsentwurf 2010/2011
Alle im Raum wissen, dass der Berliner Haushalt kaum Spielräume lässt. Doch immerhin hat Katrin Lompscher eine Nachricht zu verkünden, die man wohl als eine gute bezeichnen muss: Der Senat hat in seinem Haushaltsentwurf für den Doppelhaushalt 2010/2011 keine Kürzungen für den Gesundheitsbereich vorgesehen.
Am kommenden Dienstag wird der Entwurf dem Abgeordnetenhaus vorgelegt. Die Ausgaben für den so genannten Integrierten Gesundheitsvertrag, in dem auch die HIV/Aids-Gelder bestimmt werden, seien dabei unverändert geblieben, sagt Lompscher. Es gehe im nun anstehenden Diskussionsprozess darum, die Finanzierung für die HIV-Prävention tatsächlich aufrecht zu erhalten, möglicherweise sei sogar „eine leichte Erhöhung“ möglich. Das ist ein Fortschritt, denn vor einigen Wochen hatte Lompscher noch erklärt, man müsse froh sein, wenn man das bisherige Niveau halten könne.
Und noch ein kleines Bekenntnis legt die Senatorin ab: „Wir müssen die Schwerpunktsetzung innerhalb des Integrierten Gesundheitsvertrages zugunsten der Primärprävention verschieben.“ Soll heißen: Nicht unbedingt mehr Geld ist notwendig, man könnte ja auch das vorhandene anders verteilen.
„Wie setze ich das knappe Geld am wirkungsvollsten ein?“ – diese Frage stellt Katrin Lompscher immer wieder gerne, nicht nur heute. Klar, die Frage gehört zu ihrem Job. Zugleich aber dient sie dem Ziel, Forderungen in ihre Schranken zu weisen. Denn ist nicht vielleicht doch schon genug Geld da?
Für den HIV/Aids-Bereich beantwortet der Landesverband der Berliner AIDS-Selbsthilfegruppen (LaBAS) diese Frage mit einem klaren Nein. Es gebe definitiv keine Spielräume mehr, man benötige – ganz im Gegenteil – 350.000 Euro pro Jahr zusätzlich, um den Aufgaben der Projekte weiterhin gerecht werden zu können.
Eines wird an diesem Nachmittag erneut klar: Allein mit dem Geld aus dem Landeshaushalt wird das Problem nicht zu lösen sein. „Wo befindet sich eigentlich die Verantwortung für Prävention?“, fragt Lompscher immer wieder, und sie will damit sagen, dass es auch noch andere Geldquellen gibt.
Die Krankenkassen zum Beispiel könnten stärker in die Pflicht genommen werden, findet Lompscher und verspricht, sich in dieser Hinsicht zu engagieren. Denn das Geld, das die Kassen für Prävention aufwenden müssen, landet bisher vorwiegend in Angeboten wie Yoga-Kursen und Raucherentwöhnung, also in Maßnahmen, die auch dem Marketing der Kassen zuträglich sind. Maßnahmen gegen HIV und sexuell übertragbare Krankheiten sind in dieser Denke wenig attraktiv.
Katrin Lompscher will die Krankenkassen stärker in die Pflicht nehmen.
Und trotzdem müssten die Krankenkassen ja ein Interesse daran haben. Rund 1.500 Euro aufwärts kostet eine antiretrovirale Behandlung pro Monat. „Prävention rechnet sich auch volkswirtschaftlich“, stellt Dirk Sander in der Diskussion fest. Doch den Nutzen haben eben die Krankenkassen, während für die Ausgaben bislang nur die öffentlichen Kassen herangezogen werden.
Kurzfristig nützen diese Überlegungen wenig. Wie geht man denn nun mit der Syphilis-Welle um, die bereits einen Anstieg der HIV-Infektionen verursacht? Da müsse man bei Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband anklopfen, befindet Lompscher auf Nachfrage. Der verwaltet nämlich das Geld aus dem Integrierten Gesundheitsvertrag und kann bei besonderen aktuellen Erfordernissen umverteilen. Theroretisch. Praktisch passiert das allerdings nur mit relativ geringen Beträgen. Ein zusätzlicher Mitarbeiter etwa ist so nicht zu kriegen.
So kommt auch die aktuelle MSM-Kampagne der Deutschen AIDS-Hilfe, „ICH WEISS WAS ICH TU“ in Berlin nur bedingt in der Zielgruppe an. „Wir haben einfach nicht genügend Leute, sie in die Szene zu tragen“, sagt de Witt, auch mit Blick auf die anstehenden „Testwochen“ im Herbst. Und fügt an, dass man andererseits ohne „ICH WEISS WAS ICH TU“ nicht einmal mehr Cruisingpacks zum Verteilen hätte.
Es ist spät geworden. Klaus Lederer hat sich viele Notizen gemacht, Katrin Lompscher hat aufmerksam zugehört. Jetzt guckt die Senatorin auf die Uhr, sie muss los. Trotzdem lässt sie sich gerne noch schnell neben dem Hintern fotografieren. Sie weiß ja jetzt, wofür der gut ist.
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5 Kommentare
carsten 4. Juli 2009 15:18
um mal den advocatus diaboli zu geben:
selbst hier keine konsistenten forderungen: mancheck sagt 400.000, der labas sagt 350.000 €? darf man sich da was raus suchen? ich finde das schade. das kommt in der öffentlichen kommunikation als beliebig rüber und das ist nicht gut.
howi 5. Juli 2009 14:35
Mancheck fordert 400.000 Euro pro Jahr für Personal, Miete, Sachkosten usw. INSGESAMT. Der LaBAS hat kürzlich 350.000 Euro pro Jahr ZUSÄTZLICH zu den bestehenden Mitteln gefordert. Da Mancheck zurzeit 162.000 Euro bekommt, würden die Forderungen zumindest rechnerisch zueinander passen: Mancheck könnte 238.000 Euro von den 350.000 Euro bekommen und hätte dann seine 400.000 Euro.Ob das so gedacht ist, müssten Mancheck und der LaBAS sagen.
carsten 6. Juli 2009 9:33
ist das das handbuch zu den forderungen? 😉
einfach zu erfassen und auf den punkt sollten solche forderungen sein. dann klappts auch mit dem nachbarn. 😉
bernhard 14. Juli 2009 9:53
Mehr fällt Euch dazu nicht ein? Der Unterschied zwischen zwei Zahlen? Dabei gibt der Artikel sehr viel mehr her: Es ist ein Skandal, dass eine Stadt wie Berlin im Bereich Prävention arm auch sexy findet.
Aber vielleicht macht ja der Nächste eine Bemerkung über die Haare von Frau Lombscher, statt sich mit den Inhalten auseinanderzusetzen.
Bisher entzieht sich der Berliner Senat seiner Verantwortung im Gesundheitsbereich und speist Schwule mit Almosen in der Prävention ab. Lapidar wurde bisher auf die Krankenkassen verwiesen. In diesem Artikel gibt es erstmals ein Signal von der Gesundheitssenatorin, dass möglicherweise mehr drin wäre als bisher.
Wenn hier gesundheitspolitisch nicht die richtigen Entscheidungen – und das heisst nicht nur mehr Prävention – getroffen werden, hat Berlin in wenigen Jahren ein richtiges Problem: Immer mehr Positive, denen auch kein adäquates Versorgungssystem mehr zur Verfügung steht.
Vielleicht ist es ja auch so, dass der LABAS mit seinen 350.000€ viel zu bescheiden war. Wenn manCheck alleine 400.000 braucht und der Bedarf in den anderen Bereichen auch steigt, wird man wohl unter 1.000.000€ nicht davon kommen. Aber was ist das schon im Vergleich zu 20 oder 30 Mio für Kunsthallen, die man nicht wirklich braucht. Arm? Sexy? Erbärmlich.
Rolf 14. Juli 2009 11:34
In der Tat: manCheck fängt ja nicht bei Null an:
400-162=238; 238<350
so einfach ist das;)
Troztdem die Forderung des LABAS insgesamt meines Erachtens deuthlich höher ausflanne sollte.
Vor allem vor dem Hintergrund, dass Berlin mit dem internationalen schwulen Tourismus und den Großevents ja auch jede Menge Steuern einnimmt.