Auszeichnung für das Nötigste
Das Mindeste zu tun ist dabei eigentlich nicht schwierig. „Unsere Anforderungen kann jeder Justizvollzug erfüllen, sie sind leicht umzusetzen“, sagt Bärbel Knorr, bei der DAH zuständig für Menschen in Haft. „Teilweise verbergen sich dahinter sogar Gesetze und Empfehlungen staatlicher Stellen, die bisher aber nicht eingehalten werden.“
Es geht um das Mindeste: Substitution, Impfung und Kondome.
So fordert die Deutsche AIDS-Hilfe die Haftanstalten auf, intravenös Drogen Gebrauchenden eine Substitutionsbehandlung zu ermöglichen – und damit die gleichen Gesundheitschancen einzuräumen wie Drogengebrauchern draußen. Häftlinge sollen außerdem eine Hepatitis-B-Impfung angeboten bekommen, wie es die Ständige Impfkommission des Robert-Koch-Instituts ausdrücklich empfiehlt.
Die weiteren Standards: Alle Inhaftierten müssen Zugang zu Informationen über HIV und Hepatitis bekommen und über Hilfsangebote innerhalb und außerhalb der Anstalt informiert werden. Die medizinischen Abteilungen der Anstalten müssen Tests auf HIV und Hepatitis anbieten – inklusive der entsprechenden Beratung. Nicht zuletzt steht freier Zugang zu Kondomen und Gleitgel auf der Liste.
Das alles klingt nicht gerade hoch gegriffen – doch Knorr geht davon aus, dass nur wenige Anstalten die Anforderungen erfüllen. „Der Knackpunkt ist die Substitution“, weiß sie. Derzeit wird nur ein minimaler Bruchteil der Inhaftierten, die Heroin konsumieren, substituiert. Der Grund: Die Substitutionsbehandlung ist personalintensiv und würde die Gefängnisse Geld kosten, denn Häftlinge sind nicht krankenversichert, sondern bekommen ihre medizinische Versorgung von den Justizvollzugsanstalten.
Spritzenvergabe ist im Moment nicht durchsetzbar.
Rund 20.000 Gefangene in Deutschland konsumieren Heroin, schätzen Experten. Das sind 20 Prozent aller Inhaftierten.
Auf das heikle Thema Spritzenvergabe hat man bei der Präventionsurkunde trotzdem lieber verzichtet: Sie ist im Moment politisch nicht durchsetzbar – obwohl die entsprechenden Modellversuche in den letzten Jahren allesamt gut gelaufen sind. „Deutschland ist das einzige Land der Welt, dass Spritzenvergabe eingeführt und wieder abgeschafft hat“, resümiert Knorr. „Wenn diese Präventionsmaßnahme zu unseren Minimalstandards gehören würde, könnte nur die JVA Lichtenberg in Berlin eine Urkunde bekommen.“
Bärbel Knorr setzt nun darauf, das Thema Drogengebrauch in Haftanstalten immer wieder auf anderen Wegen zu thematisieren: über die Substitution und über die Frage, warum in Haftanstalten keine Desinfektionsmittel zugänglich sind, um Tätowiernadeln und Spritzbestecke zu reinigen.
Tatsächlich hat die Präventionsurkunde schon erste Erfolge gezeitigt: Als die DAH das Projekt im April auf der 4. Europäischen Konferenz zur Gesundheitsförderung in Haft vorstellte, zeigte gleich die JVA Vechta für Frauen Interesse und stellte fest: Es fehlt eigentlich nur noch das Gleitgel. Das gibt es jetzt – und die JVA darf sich mit dem Zertifikat schmücken.
Es funktioniert: Die ersten Urkunden sind vergeben.
Auch Baden-Württembergs Justizministerium ist von der Aktion angetan und hat seine Haftanstalten aufgefordert, sich um die Auszeichnung zu bemühen. Bei der JVA Schwäbisch Hall hat das schon geklappt, wie das Justizministerium groß auf seiner Homepage vermeldet, Logo inklusive.
Anstalten, die die Präventionsurkunde nicht bekommen, sollen darlegen, woran es hapert. Das Konzept, positive Anreize zu setzen, scheint also aufzugehen.
Nicht zuletzt spekuliert Bärbel Knorr darauf, dass auch die Inhaftierten durch die Aktion beflügelt werden könnten: „Wenn die Urkunden aufgehängt werden, werden sie auf die Angebote ihrer Anstalt aufmerksam gemacht. Dann können sie sagen: ‚Mensch, ihr hab hier Informationen – die hätte ich jetzt gerne mal.“
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5 Kommentare
termabox 5. Juni 2009 14:50
Gute Idee! Aber wer überprüft denn, ob die erforderlichen Kriterien sowohl formal als auch inhaltlich erfüllt sind, damit die Präventionsurkunde nicht nur schönt oder schön scheint, sondern auch schön ist?
Geht das über eine Selbstauskunft der JVAs oder durch Bezeugung externer Fachleute aus Aidshilfen, Drogenhilfe, Knastseelsorger etc.??
toplinus 7. Juni 2009 13:35
Hallo, die Überprüfung der Standards soll durch die AH vor Ort und die DAH erfolgen. Wir werden uns mit dem med. Diensten der JVAén in Verbindung setzen um alle Infos zu erhalten. Dann wäre es natürlich gut, wenn die AH vor Ort oder alternativ die Drogenhilfe die Anstalt aufsucht und die Angaben überprüft.
Viele Grüße
Dirk
alivenkickn 7. Juni 2009 15:34
Diese „Mindeststandards wie sie außerhalb von Gefängnissen Standard sind“ innerhalb von Gefängnissen nicht umzusetzen kommt für mich „Willkür“ gleich. Möglicherweise wird diese nicht Einhaltung auch unter dem Aspekt „Strafe muß sein“ ja auch deswegen nicht praktiziert bzw. umgesetzt. In beiden Fällen ist es Menschenverachtend.
Urkunden für Einhaltung von „Mindeststandards“ in Gefängnissen zu vergeben ist für mich gemessen an dem Anspruch und der Lobhudeleien der erst kürzlich in zig Reden anläßlich 60 ahre BRD zum Ausdruck gebracht worden sind ein Hohn und beschämend.
Insofern würde mich mal interessieren wie anläßlich des DAH Ländertreffen der Landesgeschäftsführer/innen und Landeskoordinator/innen der Aidshilfen vom 04. – 05. Juni in Halle die DAH zu den Aidshilfen stehen die sich aus der Arbeit im Gefängnissen ausgeklinkt haben.
toplinus 8. Juni 2009 12:40
Selbstverständlich ist die gesundheitliche Versorgung sowie der Zugang zu Präventionsutensilien im Strafvollzug katastrophal.
Dies prangern wir seit vielen Jahren an. Gleichzeitig gibt es aber auch eine kleine Gruppe von fitten Anstaltsärzten und Leitern die dies verändern wollen. Diese Urkunde ist für sie eine Möglichkeit Veränderungen im Bereich Impfung, Vergabe von Spritzen, dem Ausbau der Substitutionsbehandlung im System zu forcieren.
Die Tatsache, dass das JM in BAWÜ seine JVAén angewiesen hat sich um diese Urkunde zu bewerben und auch mitzuteilen wenn die vergabe einer Urkunde verweigert wird, da die Mindeststandards nicht erfüllt werden, ist ein erster Schritt.
Auch wir sind darüber sehr besorgt, dass sich zunehmend AH aus der Arbeit im Bereich Justizvollzug zurückziehen. Dies geschieht (nach Auskunft der AH vor Ort) zumeist aufgrund fehlender finanzieller und personeller Ressourcen…….
Ich glaube, dass dem Thema Drogen und Strafvollzug innerverbandlich ein so geringer Stellenwert zukommt, dass dies kein Thema in Halle sein wird.
alivenkickn 9. Juni 2009 9:30
Dies geschieht (nach Auskunft der AH vor Ort) zumeist aufgrund fehlender finanzieller und personeller Ressourcen…….
Einer der Ursachen dürfte wohl auch in der Unfähigkeit diese „Notwendigkeit“ zu kommunizieren liegen. Das seit Jahren die finanziellen Mittel gekürzt werden ist ja leider Alltag – zur Regel geworden.
„Rund 20.000 Gefangene in Deutschland konsumieren Heroin, schätzen Experten. Das sind 20 Prozent aller Inhaftierten.“
Schon das alleine ist eine erschreckende Tatsache.
„Ich glaube, dass dem Thema Drogen und Strafvollzug innerverbandlich ein so geringer Stellenwert zukommt, dass dies kein Thema in Halle sein wird.“
Sich mit bestehenden Zuständen abzufinden klingt mir sehr nach Resignation . . . .