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Immer über den Tellerrand hinaus

Von Axel Schock
Peter von der Forst (Foto: © Yvonne Hochtritt)

Sein ganzes Berufsleben lang hat Peter von der Forst in der Aids- und Drogenhilfe gearbeitet. Was den langjährigen Geschäftsführer der Aidshilfe Düsseldorf in den vergangenen 35 Jahren bewegt und motiviert hat, erzählt er anhand von sechs Bildern.

„Im Moment fühlt es sich noch an wie Urlaub.“ An den Ruhestand muss man sich erst einmal gewöhnen, zumal wenn man, wie Peter von der Forst, nicht einfach nur einen Job gemacht hat, sondern die Arbeit tatsächlich auch als Berufung, Verpflichtung und Aufgabe verstanden hat.

Im Mai hat der nun 65-Jährige die Geschäftsführung der Düsseldorfer Aidshilfe an seine Nachfolge übergeben. 26 Jahre hatte er nicht einfach nur „den Laden zusammengehalten“, wie er es flapsig formuliert, sondern ihn gemeinsam mit seinem ehren- und hautamtlichen Team immer wieder weiterentwickelt.

Sichtbarstes Zeichen ist die Schaffung der neuen Dachmarke „DIVERSITAS – Bunt in Düsseldorf“, unter der seit 2020 die Aidshilfe, das queere Jugendzentrum PULS Düsseldorf und die gemeinnützige Care24 Soziale Dienste GmbH miteinander kooperieren.

„Der Beruf hat eher mich ausgesucht als ich ihn“

Mit Peter von der Forst ist nun einer der dienstältesten Mitarbeiter der deutschen Aidshilfen in den Ruhestand gegangen. „Genaugenommen hat der Beruf eher mich ausgesucht als ich ihn“, erzählt er.

Als die Aidshilfe Marburg 1986 im Rahmen eines Modellprogramms des Gesundheitsministeriums unter Rita Süssmuth eine Stelle für aufsuchende Präventionsarbeit bewilligt bekam, wurde Peter von der Forst für diesen Job vorgeschlagen.

„Ich habe damals nach meinem Politikwissenschaftsstudium in einer links-alternativen Kneipe gearbeitet, wo auch viele Schwule und Stricher Gäste waren. So hat man mich für qualifiziert gehalten und gedacht, sie könnten mich mal fragen.“ Und von der Forst hat es einfach mal ausprobiert.

Dass er zudem in der links-politischen Szene gut vernetzt und daher bekannt war, war sicher nicht von Nachteil. Als zunächst einzige*r Hauptamtliche*r kümmerte er sich um die Vereinsorganisation, die Aufklärung an Schulen bis hin zur Prävention und Beratung. Von Marburg ging sein beruflicher Weg 1993 weiter zur Drogenhilfe bei der Aidshilfe Frankfurt/Main und schließlich als Geschäftsführer zur Aidshilfe Düsseldorf.

Was ihn so lange in diesem Arbeitsfeld gehalten, was ihn angetrieben und bewegt hat, erzählt Peter von der Forst anhand von sechs Fotos und Textausrissen.

Opfer einer Krankheit werden zu Tätern gemacht

Bayerns „Maßnahmenkatalog“: Textausriss aus dem SPIEGEL vom 10. Januar 1988.

Dieser Artikel steht beispielhaft für die Aidspolitik in Bayern zu Beginn der Aidskrise. Der damalige Staatssekretär Peter Gauweiler hatte den schwedischen Arzt Michael G. Koch zum Aufklärungsberater ernannt, und sie überlegten ernsthaft, HIV-Positive konsequent zu erfassen und auf Helgoland zu kasernieren.

Es war eine Ungeheuerlichkeit, wie hier Opfer einer Krankheit zu ‚Tätern mit einer perversen Sexualität‘ gemacht wurden, vor der das Volk geschützt werden muss. Gauweiler und Koch mit ihren fast schon faschistoiden Forderungen waren dabei letztlich nur Vertreter einer damals durchaus verbreiteten Haltung: Nämlich dass Menschen weggesperrt werden sollten, die sich nicht der Norm anpassen wollen. Für mich zeigte sich hier einmal mehr, wie wichtig die Aidshilfebewegung ist, um gegen solche Entwicklungen auch politisch anzukämpfen.“

Aufklärung statt Repression

Dieser Werbespot ist eines der ersten guten Beispiele dafür, dass man Präventionsarbeit auch mit Humor und Lust machen kann. Er zeigt auch schön die immer noch vorhandene Scham, sich mit der eigenen Sexualität und Lust auseinanderzusetzen.

Es war zudem eine guter Kontraktpunkt zu der bierernsten und üblen Auseinandersetzung mit HIV, die es ja auch gab. Der Spot war gewissermaßen ein Zeichen dafür, dass sich die Linie der Gesundheitsministerin Rita Süssmuth – Aufklärung statt Repression – durchsetzt und das auch ohne erhobenen Zeigefinger oder Druck möglich ist.

Die katastrophale Situation der Junkies

„Als ich 1993 von Marburg zur Aidshilfe Frankfurt gegangen bin, habe ich dort vor allem in der Drogenhilfe gearbeitet. Diese zwei Jahre haben mich sehr geprägt. Ich habe im Zuge dessen auch eine Ausbildung als systemischer Therapeut mit Schwerpunkt Drogentherapie gemacht.

Die Drogenarbeit stand also eine Zeitlang durchaus im Zentrum meiner Arbeit, weil auch die Defizite in diesem Bereich riesengroß waren. Die Lebens- und Versorgungssituation von Junkies auf der Straße war seinerzeit einfach katastrophal.

„Uns ging es darum, aufzurütteln und deutlich zu machen, dass es auch unkonventioneller Ideen braucht“

Gemeinsam mit Joachim Alxnat von der Drogenhilfe Düsseldorf hatte ich für eine Diskussionsveranstaltung im soziokulturellen Zentrum zakk in Düsseldorf eigens die Bühne eingerichtet, um ein wenig sinnlich erfahrbar zu machen, wie die Situation für Drogengebraucher*innen ist, wenn sie keine Druckräume haben.

Uns ging es darum, aufzurütteln und deutlich zu machen, dass es auch unkonventionelle Ideen wie Fixerstuben braucht, um den Menschen zu helfen, damit sie zunächst einmal mit ihrer Sucht überleben können. Das war damals noch enorm umstritten, und für viele war es unverständlich, weshalb es für Junkies nun auch noch Orte geben sollte, wo die sich ihre Drogen spritzen können. Wir haben damit für einiges Aufsehen gesorgt, aber es hat letztlich mit dazu geführt, dass Düsseldorf heute einen Drogenkonsumraum hat.“

Die Solidarität der Uneinsichtigen

„Allianz der Schmuddelkinder“: Die Demonstration „Solidarität der Uneinsichtigen“ in Frankfurt/Main (1988)

„Für mich zeigen dieses Foto und die Demonstration exemplarisch, dass auch das Thema Menschenrechte immer Teil der Aidshilfe war. Dieses Stück Widerständigkeit gegen die Normierung war ein wesentlicher Punkt, den unsere Arbeit angetrieben hat.

„Aidshilfe ist mittlerweile mehr zu einer Institution und anerkannter Teil des öffentlichen Versorgungssystem geworden“

Die Gefahr ist, dass das heute vielleicht zu sehr in Vergessenheit gerät, weil sich einige Themen scheinbar erledigt haben und es diese Oppositionsrolle nicht mehr gibt. Aidshilfe ist mittlerweile mehr zu einer Institution und anerkannter Teil des öffentlichen Versorgungssystem geworden; wir haben Kostenträger und Kontakte in die Politik, die alle auch etwas von uns erwarten.

Doch zugleich müssen wir denen ab und an auch mal in die Hand beißen und unbequem sein. Das ist heute sicherlich etwas schwieriger geworden. Dadurch besteht natürlich die Gefahr, zu angepasst zu werden. Die ‚Solidarität der Uneinsichtigen‘ finde ich so prägnant, weil es darum geht, auch die unbequemen, schrägen, anderen Lebensentwürfe hochzuhalten.“

Die Revolution: das Wissen um die Nichtinfektiosität

„Schutz durch Therapie“: DAH-Werbemotiv der Kampagne „Wissen verdoppeln“ (2020)

„Die Angst vor einer Ansteckung war wesentlich für die Diskriminierung von Menschen mit HIV verantwortlich. Dass wir durch den Schutz durch Therapie dem nun einen wissenschaftlichen Beleg entgegensetzen können, kommt einer Revolution gleich.

Selbst Aidshilfen waren da anfangs ja zögerlich, und auch Menschen mit HIV konnten es nicht recht glauben. Das Wissen um die Nichtinfektiosität hat auch unsere Arbeit in der Aidshilfe sehr verändert, denn wir konnten nun bei allem rund um die Prävention ganz anders argumentieren – ob in der schwulen Szene, gegenüber der Politik oder in Schulklassen.“

Antidiskriminierungsarbeit als gemeinsame DNA: Diversitas – Bunt für Düsseldorf

Die Zukunft der Aidshilfen?: Die neue Dachmarke „DIVERSITAS – Bunt in Düsseldorf“ (2020)

„Mit der DAH-Kampagne Kein Aids für alle und den WHO-Zielen Aids bis 2030 beenden stellte sich zwangsläufig die Frage nach der Zukunft von Aidshilfe: Braucht es die noch oder verändern sich ihre Aufgaben? Zu diesen Aufgaben zählte immer schon die Antidiskriminierungsarbeit, auch wenn wir früher noch nicht von Vielfalt gesprochen haben.

Aus dieser Haltung heraus haben wir aber gesellschaftspolitisch viel erreicht – im Dachverbund und in der Vor-Ort-Arbeit. Ich bin überzeugt, dass wir dies weiterdenken und weiterentwickeln müssen. In Düsseldorf haben unter dem Dach der Aidshilfe nun Projekte eine Heimat gefunden, die nicht mehr direkt mit HIV/Aids zu tun haben ­– sei es das schwule Überfalltelefon, das queere Jugendzentrum PULS, die Arbeit mit Wohnungslosen durch Care24 oder die Trans*-Beratung.

„Aidshilfe kommt aus der Szene, und das muss sie sich auch bewahren“

Es geht aber immer um Menschen und Gruppen, die besonders der Gefahr durch HIV/Aids und durch Diskriminierung ausgesetzt sind oder die sich durch unsere Antidiskriminierungshaltung und Offenheit gegenüber vielfältigen Lebensweisen bei uns gut aufgehoben fühlen. Daraus ist die Idee von DIVERSITAS – Bunt für Düsseldorf als gemeinsame Dachmarke dieser verschiedenen Einrichtungen und Organisationen entstanden.

Die gemeinsame DNA ist die Antidiskriminierungsarbeit. Oder positiv formuliert: die Vielfalt. Es gibt für Aidshilfen auch einen gesellschaftspolitischen Auftrag, über den Tellerrand hinauszublicken. Die aktuellen Diskriminierungen von LSBTIQA* in Europa, besonders in Ungarn, zeigen die Aktualität!  Das Tolle ist ja: Aidshilfen verfügen über die Kompetenz und haben sich eine funktionierende Netzwerkstruktur wie auch einen guten Ruf in den Kommunen und in den Communitys erarbeitet.

Aidshilfe kommt aus der Szene, und das muss sie sich auch bewahren, sonst brauchen wir sie nicht mehr. Denn dann können diese Aufgaben auch von Gesundheitsämtern übernommen werden.“

Protokoll: Axel Schock

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