HIV IM WANDEL

Braucht die Aidshilfe ihre Buddys noch?

Von Bernd Aretz
Mit einem besonderen Modell des freiwilligen Engagements in Aidshilfen, den Buddys, beschäftigt sich Bernd Aretz, Aids-Aktivist der ersten Stunde und selbst erfahrener „Ehrenamtler“, im Gespräch mit Achim Teipelke, dem Geschäftsführer der AIDS-Hilfe Frankfurt/Main.

Hände im Kreis
Ziel der Aidshilfe-Bewegung: Gemeinschaft gegen Isolation mobilisieren. Foto: S. Hofschlaeger, pixelio.de

In den Anfangstagen der HIV-Epidemie wurden Infizierte in unseren Breiten als Todgeweihte und als Gefahr für die Gesellschaft gesehen. Aidskranke hatten eine bemerkenswert schlechte medizinische Prognose, Ängste vor ihnen grassierten in allen Lebensbereichen. Und während einige erkrankte Männer in ihren schwulen Freundeskreisen emotional und lebenspraktisch bestens versorgt und begleitet wurden, gab es andererseits die Alleingelassen und diejenigen, die sich voller Scham und Angst aus ihrem gewohnten Leben zurückzogen oder die schon vorher isoliert waren.

 Buddys – Kumpel und patente Frauen ohne Berührungsängste

In dieser Situation gründeten viele Schwule, einige heterosexuelle Männer und manche Frauen die Aidshilfen. Unabhängig von der schnell einsetzenden Schaffung besoldeter Stellen war und ist ihr Kern ein weit verzweigtes System von ehrenamtlichen Hilfswilligen. Dazu gehören auch die Buddys, in Frankfurt Homeworker genannt – Kumpel und patente Frauen ohne Berührungsängste, die für sozial Vereinsamte die Brücke zur Teilnahme am Leben bildeten, zu Café- oder Kneipenbesuchen, Einkaufsbummeln oder kulturellen Ereignissen mitgingen und in Zeiten der Depression und anderer Krankheiten auch Hand und Ohr liehen – gegebenenfalls auch bis zum Sterben: Die Hospizbewegung wurde beflügelt, begleitetes Sterben hielt in den Kliniken Einzug ebenso wie die Pflege und das Sterben zu Hause. Und es wurde auf dem Vulkan getanzt.

Bernd Aretz im Iwwit-T-Shirt
Bernd Aretz, Rechtsanwalt und Notar a.D., Aktivist der Aidshilfe-Bewegung seit 1980. Foto: Thomas Schwarz

25 bis 30 Jahre später gibt es eine Vielzahl wirksamer und nebenwirkungsarmer HIV-Medikamente – die HIV-Infektion ist eine in der Regel gut behandelbare chronische Erkrankung, medizinisch betrachtet ist ein normal langes Leben ohne größere Einschränkungen möglich (auch in sexueller Hinsicht). Der Großteil der HIV-Positiven steht im Arbeitsleben, generationenübergreifende Wohnprojekte mit HIV-Positiven sind ebenso Thema wie Altenwohngemeinschaften, und auch über die Möglichkeit einer Heilung von HIV (und die Bedeutung dieses Umstandes für Aidshilfen) kann man heute ernsthaft nachdenken, ohne ausgelacht zu werden.

Braucht die Aidshilfe in dieser Situation ihre Buddys noch? Über diese und andere Fragen sprach ich mit Achim Teipelke, Geschäftsfürer der AIDS-Hilfe Frankfurt/Main:

Achim, welche Ideen aus den Anfangstagen von Aidshilfe sind heute noch gültig?

Die Felder, in denen unsere sozialarbeiterische Kompetenz gefragt ist, mögen sich ja im Laufe der Jahre verändert und erweitert haben. Unverändert ist aber der Wunsch der Menschen, die zu uns kommen, nach Beiträgen gegen ihre Vereinzelung. Dies ist seit der Stunde null der Aidshilfe-Bewegung ein vordringliches Ziel gewesen: die Gemeinschaft gegen die Isolation zu mobilisieren oder Gemeinschaft überhaupt erst (wieder) zu ermöglichen und zu organisieren. Im Kern geht es dabei um das Recht, als Person angenommen und wertgeschätzt zu werden, und das Recht auf Teilhabe an der Gesellschaft. Es ist inzwischen aber eine soziale Realität, dass wir von immer mehr Menschen in Anspruch genommen werden, die sozial abgekoppelt sind, abgekoppelt von jeder Teilhabe an Gemeinschaft, Kultur und Liebe.

Kannst du das präzisieren?

Es sind die Schwachen, die Marginalisierten, die Prekarisierten, die Behinderten und Kranken, die ethnisch Ausgegrenzten, die als vulnerable, also verletzliche Gruppen einer Gesellschaft gelten, welche sich in rasanter Geschwindigkeit zu einer entkollektivierten, entsolidarisierten Ansammlung von Individuen wandelt, in der Marktfähigkeit, Leistungsfähigkeit, Gesundheit und Teilhabe an gesellschaftlichen und kulturellen Errungenschaften immer stärker von „Selbstoptimierungsfähigkeiten“ abhängen. Von dieser Entwicklung sind viele unserer Rat, Hilfe und Unterstützung Suchenden komplett abgekoppelt.

Und damit nicht genug: Die Forderung, ein Individuum zu sein oder zu werden, bedeutet für viele nicht nur eine Überforderung persönlicher Fähigkeiten, sondern bürdet in letzter Konsequenz dem Einzelnen auch die Sorge für die sozialen Lebensrisiken wie Arbeit, Bildung, Krankheitsvorsorge und Alter auf – ein Ausstieg aus den sozialen Sicherungssystemen der Arbeitsgesellschaft mit fatalen Folgen für unsere Solidargemeinschaft. Ignoriert wird bei der Entwicklung völlig, dass Individuum sein und Verantwortung übernehmen nur in Gemeinschaft geht. Das setzt wertschätzende und stärkende Strukturen und Räume der Begegnung voraus, die Fähigkeit, in Kontakt zu treten, und die finanziellen Möglichkeiten zur Teilhabe.

Welche Antwort kann Aidshilfe darauf finden?

Wir müssen sehr viel lauter unsere Stimme gegen die sozialen und politischen Entwicklungen erheben. Wir brauchen keine mildtätige Wohlfahrtsfürsorge als Ersatz für das sozialpolitische Versagen einer ganzen Volks- und Sozialwirtschaft. Natürlich haben sich Aidshilfen unter dem Druck der alltäglichen Not in einem Teil zu einer Wohlfahrtsorganisation entwickelt. Aber sie sind mehr als das. Neben den künstlichen Beziehungen zu Sozialarbeitern bieten und organisieren Aidshilfen auch „reale“ Kontakte zu Menschen auf Augenhöhe. Ob es nun ein Präventions-, Kneipen-, Brunch- oder Caféteam ist – unter dem Dach der Aidshilfe findet viel Gemeinschaft statt, die sich auch zu Freundschaften entwickeln kann und soziales Leben auch fernab der Institution befördert.

Achim Teipelke
Achim Teipelke, Diplom-Sozialpädagoge, seit 1986 Mitarbeiter und Mitentwickler und seit 1989 Geschäftsführer der AIDS-Hilfe Frankfurt. Foto: Rolf Oeser

Und für die Menschen, die sich in diesen Zusammenhängen nicht engagieren können oder wollen, haben wir unsere „Homeworker“ oder – wenn es nur um die soziale Einbindung schwuler Männer geht – die „rosa Paten“. Sie bieten sich gewissermaßen als reale Menschen an, als Begleiter für bestimmte Teile des Alltags. Dies sind überwiegend Menschen, die sich aus der Fülle ihres Lebens engagieren, denen es gut geht und die Vereinzelte daran teilhaben lassen wollen. Homeworker stellen die verantwortungsethische Antwort auf die Entsolidarisierung und Entfremdung innerhalb des Gemeinwesens dar, eine Schule für Solidarität, für Selbstsorge und damit für Verantwortungsübernahme von beiden Seiten, ein Ergänzungssystem zu professionellen Hilfebeziehungen und Lernort für die Beziehungs- und Sozialfähigkeit.

Was heißt das lebenspraktisch?

Gemeinsame Unternehmungen, Ausflüge und Krankenreisen der Homeworker mit den von ihnen begleiteten Menschen schaffen immer wieder soziale Netzwerke von Menschen, die vorher dazu nicht in der Lage waren. Mancher, der sich vereinsamt wähnte und einen Gesprächspartner herbeisehnte, stellt aber auch fest, dass er Gemeinschaft noch nicht aushält und nach einer Stunde mit seinem Homeworker froh ist, wieder seine Ruhe zu haben. Man sieht dem Einzelnen ja nicht an, welche Traumatisierungen und Überlebensstrategien er hat und ob das bürgerliche Wertesystem für ihn überhaupt der passende Maßstab für ein geglücktes Leben ist. Aber vielleicht setzen die Interventionen etwas in Gang, was Gemeinschaft befördert.

Also hat sich da im Grunde nicht viel geändert?

Der Druck auf den Einzelnen ist größer geworden. Die selbstverständliche Solidarität der Schwulenbewegung mit den HIV-Infizierten existiert so nicht mehr.

Ich gebe zu bedenken, dass die Solidarität so ungebrochen nicht war. In weiten Teilen der Bewegung herrschte eher ein Klima des Nicht-wissen-Wollens, des im Sexuellen Nicht-konfrontiert-sein-Wollens. Die Last der Angst sollten oft die Infizierten allein tragen, zumindest, wenn es um das körperliche Begehren ging. Aber es stimmt schon, dass HIV eher wieder ins Private verlagert wurde.

Dagegen bleibt für uns ein zentrales Anliegen, tatsächliche und emotionale Räume für Begegnungen zu schaffen und auch den infizierten oder kranken Menschen in der Gemeinschaft zu halten. Im Rahmen der Gemeinwesenarbeit geht dies nicht, ohne die gesamte Szene im sorgenden Blick zu haben. Dafür sind die ehrenamtlichen Begleiter unverzichtbar – nicht, weil sie uns die Arbeit abnähmen, sondern weil sie etwas geben, das der Sozialarbeiter nicht geben kann: eine – wie auch immer begrenzte – reale Beziehung. Was das In-der-Gemeinschaft-Halten angeht, müssen wir uns übrigens zunehmend auch mit den älter werdenden Drogengebraucherinnen und -gebrauchern sowie den alten Schwulen beschäftigen. Das ist im Grunde unabhängig von HIV, das in mancher Biografie, die ja von vielen Umständen geprägt ist, nur erschwerend hinzukommt.

Oder manchmal auch als gut nutzbarer Prügelknabe, auf den man alle Unzulänglichkeiten des Lebens schieben kann …

Manche der Alten sind ja noch von der Adenauer-Ära mit all ihrer Schwulenfeindlichkeit geprägt; Freunde sind gestorben, und es wird immer schwieriger, neue Menschen in das Leben zu integrieren. Für sie haben wir das zweimal monatlich stattfindende und gut angenommene Café Karussell im Angebot, das ehrenamtlich moderiert wird und in dem die Macher mit kleinen Einlagen zum Gespräch anregen. Aber das kann natürlich nur ein Anfang sein – da kommt noch einiges auf uns zu. Ein gutes Beispiel für Gemeinwesenarbeit gegen die Vereinzelung sind auch die Präventionsteams in der Szene, denn die Arbeit im Team erweitert die sozialen Möglichkeiten und gibt der Szene eine Sprache für den Umgang mit HIV in der Sexualität.

Und wie sieht es mit einer Sprache für den Umgang mit HIV im Arbeitsleben aus?

Da sehen wir bei einer anderen Gruppe von Unterstützung Suchenden den Druck. Seit wir in den Schwerpunktpraxen Sprechstunden anbieten, kommen Banker, Selbstständige, beruflich Erfolgreiche zu uns, denen HIV als zusätzliche ständige Leistungsanforderung aufgebürdet wurde und die sich von uns Unterstützung bei der Erhaltung ihrer Leistungsfähigkeit wünschen, zum Beispiel durch Strategien, um den Druck auszuhalten. Auch ihnen fehlen im Alltag die Menschen, mit denen sie ihre Nöte besprechen könnten – letztlich geht es immer wieder um die Vereinzelung, die Unmöglichkeit, zu sprechen. Wir brauchen all die bei uns Engagierten also auch, um einen Beitrag gegen die Sprachlosigkeit zu leisten.

Achim, danke für diese Würdigung des freiwilligen Engagements!

 

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