„Eine wunderschöne Erleichterung“
Heute vor vier Jahren erschien in der Schweizerischen Ärztezeitung das Positionspapier „HIV-infizierte Menschen ohne andere STD* sind unter wirksamer antiretroviraler Therapie sexuell nicht infektiös“ der Eidgenössischen Kommission für Aidsfragen (EKAF).
*sexually transmitted disease = sexuell übertragbare Krankheit
Die EKAF wollte damit Menschen mit und ohne HIV Ängste nehmen und ein weitgehend „normales“ Sexleben ermöglichen. Das Papier schlug hohe Wellen: Die einen freuten sich darüber, dass diese entlastenden Informationen endlich öffentlich diskutiert wurden, nachdem sie zuvor nur in persönlichen Beratungsgesprächen Thema waren. Die anderen kritisierten die Datenlage insbesondere mit Blick auf den Sex zwischen Männern als zu dünn und fürchteten, das EKAF-Statement könne als „Freibrief“ für ungeschützten Sex missverstanden werden. Einen guten Überblick über die Diskussion bietet Ulli Würdemann in seinem Blog ondamaris.de.
Das Papier schlug hohe Wellen
Im April 2009 veröffentlichte die DAH dann ihr Positionspapier „HIV-Therapie und Prävention“ und bekräftigte damit die EKAF-Position. Darin heißt es: „Bei sexuellen Kontakten ohne Kondom mit einem/einer HIV-positiven Partner/in ist eine HIV-Übertragung unwahrscheinlich, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
- Die Viruslast des HIV-positiven Partners/der HIV-positiven Partnerin ist seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze,
- die antiretroviralen Medikamente werden konsequent eingenommen,
- bei den Sexualpartner(inne)n liegen keine Schleimhautdefekte z. B. als Folge sexuell übertragbarer Infektionen vor.
Und wo stehen wir heute? Wissenschaftlich ist die Sache klar: Die im Mai 2011 veröffentlichte Studie „HPTN 052“ des HIV Prevention Trials Network hat zweifelsfrei belegt, dass die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Übertragung bei ungeschütztem Sex durch eine erfolgreiche, kontrollierte HIV-Therapie um mindestens 96 Prozent reduziert wird (aidshilfe.de berichtete). Die Therapie schützt damit in etwa genauso effektiv wie Kondome, welche die HIV-Übertragungswahrscheinlichkeit um etwa 95 Prozent verringern. Außerdem liegen inzwischen Daten vor, nach denen sexuell übertragbare Infektionen bei erfolgreicher und kontrollierter HIV-Therapie mit einer Viruslast unter der Nachweisgrenze das HIV-Übertragungsrisiko nicht oder nur minimal erhöhen. Die entscheidenden Faktoren für die Viruslastmethode sind somit die Therapietreue, die Therapiekontrolle und eine Viruslast unter der Nachweisgrenze.
„EKAF“ ist bei vielen noch nicht angekommen
Angekommen in der Realität ist dieses Wissen bei vielen aber noch nicht. Nach wie vor droht Menschen mit HIV eine strafrechtliche Verfolgung, wenn sie ihre Sexpartner nicht über ihre Infektion aufklären. Ein besonders krasser Fall ist der von Nick Rhoades: Er war in Iowa zu 25 Jahren Haft verurteilt worden, weil er seinem Sexpartner bei einem One-Night-Stand nicht von seiner HIV-Infektion erzählt hatte – obwohl seine Viruslast unter der Nachweisgrenze lag (er also nicht ansteckend war) und er zudem noch ein Kondom benutzte. Neun Monate saß er im Hochsicherheitstrakt, bis die Öffentlichkeit auf seinen Fall aufmerksam wurde. Er kam frei, bleibt aber in Iowa als „Sexualstraftäter“ registriert (ein Video, in dem Rhoades seine Geschichte erzählt, findet man auf Youtube).
Es bleibt also viel zu tun – auch bei uns in Deutschland.
Vier Jahre EKAF-Statement – ein guter Anlass , um noch einmal drei Interviews zu veröffentlichen, die im Jahrbuch 2008/2009 der Deutschen AIDS-Hilfe erschienen sind. Holger Wicht hatte zwei schwule Paare und eine Familie dazu befragt, wie sie mit dem Thema HIV und Übertragungsrisiko umgehen. Allen gemein war damals eines: Erleichterung.
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