FORSCHUNG

Serotalking: Reden kann das HIV-Risiko senken

Von Holger Sweers
Zwei Männer im Gespräch
Wenn schwule Männer vor dem Sex über HIV sprechen, sinkt das Risiko einer Übertragung. Das Gespräch sollte allerdings klar und eindeutig sein – sonst kann das Risiko sogar steigen, wie Claudia Santos-Hövener im Interview erklärt.

 

Claudia, du arbeitest am Robert Koch-Institut und hast in einer Studie das Sexualverhalten von schwulen HIV-positiven und HIV-negativen Männern verglichen. Was kam dabei heraus?

Kurz gesagt: Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass es vor einer HIV-Infektion schützen könnte, wenn man vor dem Sex über den HIV-Status spricht. Allerdings sollte dieses Gespräch klar und unzweideutig sein, denn Männer, die lediglich vermuteten, dass der Partner HIV-negativ war, hatten ein höheres HIV-Risiko. Außerdem gibt es natürlich auch andere Faktoren, die vor HIV schützen – der regelmäßige Kondomgebrauch zum Beispiel.

Wie ist die Studie abgelaufen?

Das Ganze war eine sogenannte Fall-Kontroll-Studie. Dabei vergleicht man Personen mit einer Infektion oder Krankheit (Fälle) mit Personen, die nicht infiziert oder erkrankt sind (Kontrollen), um Risiko- oder Schutzfaktoren herauszufinden. Fälle waren in dieser Studie Männer, die sich innerhalb der letzten fünf Monate mit HIV infiziert hatten und gerade ihr positives Testergebnis erhalten hatten. Kontrollen waren Männer, die gerade ihr negatives Testergebnis erhalten hatten. Um herauszufinden, ob die Infektionen „frisch“ waren, haben wir einen speziellen Labortest durchgeführt, den BED ELISA, der „frisch Infizierte“ von Personen mit einer länger zurückliegenden HIV-Infektion unterscheiden kann. Rekrutiert wurden die Studienteilnehmer in verschiedenen HIV-Beratungsstellen und bei Schwerpunktärzten in Deutschland. Alle Studienteilnehmer haben einen Fragebogen zum Wissen über HIV, zu ihrem Sexualverhalten und zu Risikosituationen ausgefüllt, bevor sie das Testergebnis erhielten.

Wie viele Männer waren beteiligt?

Die Datenerhebung fand zwischen März 2008 und Mai 2010 statt. In die Analyse eingeschlossen wurden dann 105 Fälle und 105 Kontrollen, die im Durchschnitt 34 Jahre alt waren. 90 Prozent der Männer waren in Deutschland geboren, mehr als die Hälfte hatten Abitur oder einen höheren Bildungsabschluss.

Gab es auffällige Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen außer der HIV-Infektion?

Nun, zunächst haben wir eine sogenannte bivariate Analyse durchgeführt und Fälle und Kontrollen anhand verschiedener Kriterien miteinander verglichen. In vielen Aspekten unterschieden sich beide Gruppen überhaupt nicht. Dazu gehörte zum Beispiel die Schulbildung, das Wissen zum HIV-Übertragungsrisiko bei verschiedenen Praktiken, das HIV-Testverhalten, die kürzliche Diagnose einer anderen sexuell übertragbaren Infektion als HIV, der Beziehungsstatus (Single oder nicht) oder auch die Tatsache, dass in Beziehungen nicht konsequent Kondome verwendet wurden.

Möglicherweise ist das HIV-Risiko im frühen Stadium von Beziehungen höher

Allerdings gab es auch einige Unterschiede zwischen den Männern mit frischer HIV-Infektion und den HIV-negativen Männern. So waren die festen Partnerschaften bei den HIV-positiven Männer häufiger kürzer als sechs Monate als bei den HIV-negativen Männern. Auch hatten die HIV-positiven Männer seltener Beziehungen, die länger als ein Jahr dauerten. Dies könnte darauf hinweisen, dass das Risiko einer HIV-Übertragung im frühen Stadium einer Beziehung erhöht ist, weil einer der Partner nicht weiß, dass er bereits infiziert ist. Es ist also wichtig, vor dem Verzicht auf Kondome in einer neuen Partnerschaft abzuklären, ob wirklich beide Partner denselben HIV-Status haben.

Was gab es noch für Ergebnisse?

Der Anteil der Männer, die in einer monogamen Beziehung lebten, war in beiden Gruppen gleich groß. Allerdings hatten die positiven Männer im halben Jahr vor der Befragung im Durchschnitt mehr Sexpartner als die negativen, nämlich 11,8 im Vergleich 6,6. Des Weiteren gaben 60 der 105 HIV-positiven Männer an, ungeschützten Analverkehr mit einem Partner gehabt zu haben, dessen HIV-Status sie nicht kannten, bei den HIV-negativen Männern waren es dagegen nur 36. Der Unterschied war noch ausgeprägter, als wir den ungeschützten aufnehmenden, also „passiven“ Analverkehr mit solchen Partnern betrachteten: Bei den HIV-positiven Männern gaben 43 aufnehmenden Analverkehr an, bei den HIV-negativen nur 18. Außerdem berichteten die HIV-positiven Männer häufiger, außerhalb der festen Partnerschaft nicht immer Kondome benutzt zu haben, und seltener, „immer safe“ zu sein, also außerhalb der festen Beziehung immer ein Kondom zu benutzen oder keinen Analsex zu praktizieren (9 der HIV-positiven Männer und 30 der HIV-negativen).

Habt ihr danach gefragt, warum die Männer keine Kondome benutzten?

Ja, und bei vielen Antwortmöglichkeiten gab es auch keine Unterschiede zwischen den HIV-positiven und den HIV-negativen Männern. Männer aus beiden Gruppen glaubten, es bestehe kein Ansteckungsrisiko, hofften, es werde nichts passieren, oder sagten, dass Kondome bei ihnen Erektionsstörungen hervorrufen. Allerdings vermuteten mehr HIV-positive als HIV-negative Männer, dass der Partner HIV-negativ war, und verzichteten deshalb aufs Kondom – hier war das Verhältnis 25 zu 8. Die HIV-negativen Befragten dagegen ließen das Kondom häufiger weg, weil sie vorher mit dem Sexpartner über dessen HIV-Status gesprochen hatten – 16 zu 3 war das Verhältnis hier.

Claudia Santos-Hövener
Claudia Santos-Hövener (Foto: privat)

Und was war für dich das wichtigste Ergebnis dieser Studie?

Die wichtigsten Ergebnisse bekamen wir mithilfe der multivariaten Analyse. Dabei werden verschiedene Faktoren, die mit einer HIV-Infektion verbunden sind, gleichzeitig betrachtet. Nur zwei Aspekte blieben statistisch signifikant, das heißt, hier geht es nicht nur um Zufall: Als ein Schutzfaktor erwies sich konsequenter Kondomgebrauch oder der Verzicht Analverkehr beim Sex außerhalb der festen Beziehung. Und der andere Schutzfaktor war, wenn man vor dem Sex über den HIV-Status gesprochen hatte.

Was folgt aus diesen Ergebnissen?

Sie weisen darauf hin, dass ein klares und unmissverständliches Gespräch über den HIV-Status das Risiko einer HIV-Infektion senkt. Natürlich ist das nicht immer leicht und machbar, zum Beispiel bei eher anonymen Begegnungen in Saunas, Darkrooms und so weiter. deshalb kann man das Ansprechen des Serostatus auch nicht als „die einzige“ Risikomanagementstrategie bewerben. In unserer Studie allerdings hatten die Männer häufig Sex mit Online-Bekanntschaften und Bekannten, und in diesen Situationen könnte ein solches Gespräch durchaus machbar sein. Im Idealfall würde es dann um den HIV-Status, den Zeitpunkt des letzten HIV-Tests und mögliche Risikosituationen seit dem letzten Test gehen.

Vielen Dank, Claudia!

 

Der vollständige Artikel zur Studie in englischer Sprache ist kostenlos online verfügbar:

Santos-Hövener C et al. Conversation about Serostatus decreases risk of acquiring HIV: results from a case control study comparing MSM with recent HIV infection and HIV negative controls. BMC Public Health 14:453, 2014

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