Zusammenwachsen und gemeinsam ernten
So ein Garten ist Balsam für die Seele. Das weiß auch Barbara Neumann. Die Mitarbeiterin der Hannöverschen AIDS-Hilfe ist schließlich selbst Pächterin eines Kleingartens. Bei schönem Wetter hat sie auch Aidshilfe-Gruppen zu sich auf das Grundstück eingeladen. Da lag es nicht fern, beim Vorstand ihres Gartenvereins nachzufragen, ob er nicht eine der brachliegenden Parzellen für eine Projektidee zur Verfügung stellen würde. Er war sofort einverstanden.
Gemeinsam mit zwei Ehrenamtlichen bestellen seit letztem Jahr 14 Klienten der Aidshilfe – darunter Migranten, ehemalige Drogengebraucher und schwule Männer – ein 300 qm großes Grundstück. Sie bauen Kartoffeln und Kohlrabi an, ziehen Salat und ernten in diesem Sommer die ersten Himbeeren. Nebenbei ermöglicht es die Gartenarbeit, sich in die Aidshilfe einzubringen und sich gegenseitig im Leben mit HIV zu unterstützen. Damit steht das Projekt ganz in der Tradition der Selbsthilfe, aus der die Aidshilfe vor 30 Jahren hervorgegangen ist.
Das Projekt steht ganz in der Tradition der Selbsthilfe
Dass der Aidshilfeverband immer wieder gefordert ist, sich seiner Wurzeln zu erinnern und die verschiedenen Communities gleichberechtigt an der Arbeit teilhaben zu lassen, war auch Thema auf der DAH-Fachtagung „Ausgrenzung. Macht. Krankheit.“ im Oktober 2012. Welche Früchte Selbstorganisation und Solidarität letztlich tragen, zeigen – ganz wörtlich genommen – „Die Gesundgärtner“ aus Hannover.
Frau Neumann, herzlichen Glückwunsch zum HIV-Community-Preis! Haben Sie Ihren Erfolg schon mit einer Gartenparty gefeiert?
Ja, natürlich! Erst gestern haben wir ein großes Grillfest gegeben. Ein Teil des Preisgeldes floss bereits in die Renovierung der Laube. Damit sind wir gerade mächtig beschäftigt. Auch im Garten haben wir schon einiges gemacht, weil wir nun weitere Geräte anschaffen konnten. Das war alles sehr viel Arbeit. Deshalb haben wir gestern mal einen Tag frei genommen und gefeiert.
Sie selbst sind leidenschaftliche Gärtnerin. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, auch als Aidshilfe in die Gartenarbeit zu gehen?
Ich hatte vor Jahren schon mal von den „Internationalen Gärten“ in Göttingen gehört. Das ist ein Gartenprojekt mit Flüchtlingen und Migranten, das es mittlerweile in mehreren Städten gibt. Das fand ich eine ganz tolle Idee. Gerade wenn Migranten nicht so gut Deutsch sprechen, werden sie oft als defizitär wahrgenommen. Um dazu einen Gegenpol zu bilden und es ihnen zu ermöglichen, andere Fähigkeiten – etwa handwerkliche oder gärtnerische – zu zeigen, kam mir die Idee, solch ein Projekt auch bei uns einzuführen.
Besonders Migranten aus afrikanischen Ländern bringen bereits Wissen zum Gartenbau mit, weil sie in ihrer Heimat oft Selbstversorger waren.
Nun richtet sich Ihr Projekt aber nicht nur an Migranten.
Nein, wir sind ganz bunt gemischt. Erst lag der Fokus auf Migranten, damit sie sich an der Aidshilfe beteiligen können, ohne dabei gleich über ihre HIV-Infektion sprechen zu müssen. Sie sollten erst mal reinschnuppern und mit anderen Teilnehmern in Kontakt kommen können. Im Projekt sind auch schwule Männer und ehemalige Drogengebraucher, die sehr offen mit ihrer HIV-Infektion umgehen. So bekommen alle mit, dass wir hier offen darüber sprechen können.
„Alle Gartennachbarn kamen vorbei und haben gratuliert“
Hatte der Gartenverein keinerlei Vorbehalte, die Aidshilfe bei sich aufzunehmen?
Überhaupt nicht, das hat mich auch sehr erstaunt. Ich hätte gedacht, dass es schwierig werden könnte, denn der Altersdurchschnitt im Vorstand liegt bei 70 plus. Der Verein ist uns aber ganz freundlich entgegengekommen. Als unsere Gartennachbarn in der Zeitung lasen, dass wir mit dem HIV-Community-Preis ausgezeichnet wurden, kamen alle vorbei und haben uns gratuliert.
Sie tauschen sich also auch mit den anderen Kleingärtnern aus.
Ja, alle nehmen regen Anteil. Unser direkter Gartennachbar ist ein älterer Herr in den Achtzigern. Der hat uns schon mit dem Wasserzugang geholfen und uns gezeigt, wie man Rosen schneidet. Wir machen auch viele Scherze über den Gartenzaun hinweg.
Wie ist die Gruppe organisiert, wie läuft die Arbeit ab?
Wir haben zwei feste Termine in der Woche, zu denen möglichst alle kommen sollten, um gemeinsam mit anzufassen – jeder nach seinen Fähigkeiten. Aber jeder hat auch einen eigenen Schlüssel und kann kommen, wann er möchte. Wir haben einen Plan, in dem festgelegt ist, wer das Gießen und andere Aufgaben übernimmt. Die Planung und die Aufteilung der Aufgaben übernehmen die Klienten selbst.
Gibt es da manchmal auch Schwierigkeiten, wenn sich Menschen aus verschiedenen Communities organisieren müssen?
Das funktioniert wirklich gut, ganz ohne gegenseitige Ressentiments. Alle sind sehr bemüht, sich zu verständigen. Auch haben alle sehr viel Geduld miteinander. Wir verstehen uns einfach gut. Als wir gestern am Grill beisammen saßen, haben wir uns gegenseitig unsere Lieblingslieder vorgespielt. Da war eine schöne Stimmung.
Die Zusammenarbeit stellt die Gruppe doch sicher auch vor Herausforderungen.
Ja, allein schon sprachlich. Hier treffen verschiedenste Sprachen aufeinander: Englisch, Französisch, Deutsch und Arabisch. Das ist schon eine besondere Herausforderung, aber auch ganz toll. Ich selbst lerne dabei Französisch und kann mein Englisch wieder aufpolieren. Am Anfang war es auch mit der Verbindlichkeit ein bisschen schwierig, aber das hat sich mittlerweile gut eingependelt.
Wie haben Sie das gemacht?
Indem wir das immer wieder thematisiert haben. Oft lag es daran, dass nicht alle wussten, was in so einem deutschen Garten zu tun ist. Dann mussten wir das eben besprechen. Durch die 8.000 Euro Preisgeld konnten wir den Garten viel attraktiver gestalten, sodass es einfach schön ist, sich dort aufzuhalten. Und dann unternehmen wir zwischendurch immer mal wieder etwas, was Abwechslung bringt, holen uns ein Eis oder essen Kuchen. Letztes Jahr haben wir Fahrradkurse angeboten und anschließend gemeinsame Radtouren unternommen. Mittlerweile radeln einige Klienten quer durch die Stadt. Viele sagen, davon hätten sie schon sehr profitiert.
Sie nennen sich „Die Gesundgärtner“. Wie wirkt denn die Gartenarbeit auf die Beteiligten?
Ich höre immer wieder von den Leuten, dass es ihnen schon gut tut, einfach mal rauszukommen. Einige unserer Migranten wohnen in Asylbewerberheimen. Da geht es oft laut und stressig zu, gleichzeitig herrscht totale Langeweile. Die Gartenarbeit ist da ein willkommener Ausgleich. Wir haben hier auch junge Männer, die stehen in Saft und Kraft und sind froh, sich körperlich betätigen zu können.
„Wir ernten gemeinsam und kochen dann auch zusammen. Das schafft Zusammenhalt“
Und was macht die Gartenarbeit mit der Gruppe?
Es ist schön, Dinge wachsen zu lassen und diesen Prozess von Anfang an beobachten zu können. Die gemeinsame Arbeit und die daraus entstandenen Lebensmittel bekommen dadurch eine ganz andere Wertigkeit. Wir ernten gemeinsam und kochen dann auch zusammen. Das schafft Zusammenhalt.
Ist HIV dann überhaupt Thema?
HIV ist immer wieder Thema. Mal in größerer Runde, aber oft tauschen sich auch zwei Leute untereinander darüber aus, zum Beispiel über ihre Erfahrungen mit Medikamenten oder mit Ärzten. Uns als Aidshilfe geht es auch darum, Präsenz zu zeigen – auch in einer typisch deutschen Schrebergartenkolonie. Zu erleben, dass man mit dem Thema HIV nicht hinterm Berg halten muss, ist für viele ganz wichtig.
Wie soll es mit dem Projekt weitergehen?
Wir wollen uns vergrößern. Der Gartenverein hat uns angeboten, das derzeit brachliegende Nachbargrundstück mitzunutzen. Deshalb wollen wir das Projekt weiter bewerben und noch mehr Menschen dazugewinnen. Das Grundstück nebenan ist viel größer, um die 800 Quadratmeter. Dann können wir richtig in den Anbau gehen und Großflächen bewirtschaften.
Vielen Dank für das Gespräch!
Weitere Infos:
Projekt Die Gesundgärtner der Hannöverschen AIDS-Hilfe
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1 Kommentare
Ulli 29. Juli 2013 12:57
Geht es um Klienten?
Oder um Selbsthilfe?
Beide Begrifflichkeiten verwendet der Text – in meinem Verständnis von Selbsthilfe verträgt sich diese nicht sehr gut mit Klientelisierung …
ansonsten: tolles Projekt!
ich hoffe es findet viele ‚Nachahmer‘!