Problemfall Polizei

Die Polizei steht in der Kritik. Der Vorwurf: Antimuslimische und rassistische Äußerungen und Racial Profiling sind keineswegs Einzelfälle, sondern ein strukturelles Problem. Systematische Diskriminierungen erfahren auch queere Personen und Menschen mit HIV – selbst Polizeibeschäftigte.
Der Beitrag ist Teil einer Artikelserie zu Formen und Dimensionen von Diskriminierung bei der Polizei.
Polizeiinterne Chatgruppen, in denen der Holocaust verharmlost wird; rassistische Beleidigungen und sexistische Sprüche im Dienst, anlasslose Kontrollen, die zufälligerweise vor allem nichtweiße Menschen treffen – alles nur Einzelfälle? Oder hat die deutsche Polizei ein Problem mit Sexismus und Rassismus? Ein Vorwurf, auf den die Behörden nach öffentlichem Druck mit einer wissenschaftlichen Untersuchung reagierten: der von der Deutschen Hochschule für Polizei durchgeführten Studie „Motivation, Einstellung und Gewalt im Alltag von Polizeivollzugsbeamten“, kurz MEGAVO. In zwei bundesweiten Online-Befragungen gaben jeweils rund 40.000 Beschäftigte der Polizei unter anderem Auskunft zu ihrer Motivation, Arbeitszufriedenheit und beruflichen Identifikation sowie zu Einstellungen, Fehlverhalten und Teamkulturen. Ergänzt wurde die Erhebung durch teilnehmende Beobachtungen in den Organisationseinheiten der Bereitschafts-, Kriminal- und Schutzpolizei in 26 Dienststellen, durch Fokusgruppengespräche und Experteninterviews mit Führungskräften.
Bei etwa 17 Prozent der befragten Polizist*innen stellte die Studie antimuslimischen Rassismus fest, rund 40 Prozent lehnten nach eigenen Aussagen Asylsuchende ab.
„Es gibt kein Rassismusproblem in der Polizei“, lautete das Fazit der Studienautorin Anja Schiemann, Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminalpolitik an der Universität zu Köln, als die Ergebnisse 2024 vorgelegt wurden. Dabei traten durchaus problematische Einstellungen innerhalb der Polizei zu Tage. Bei etwa 17 Prozent der befragten Polizist*innen stellten die Forscher*innen antimuslimischen Rassismus fest, rund 40 Prozent lehnten nach eigenen Aussagen Asylsuchende ab. Für Schiemann sind diese Zahlen offenbar kein Grund zur Besorgnis. Die Einstellungen der Polizeikräfte seien sehr ähnlich mit denen der Gesamtbevölkerung. „Sie ordnen sich politisch mittig bis leicht rechts ein, sie treten in einer großen Mehrheit für eine offene, demokratische Gesellschaft ein“, so Schiemann.
Polizist*innen mit einem geschlossen rechtsextremen Weltbild
Beunruhigen sollten die Juristin auch andere Ergebnisse ihrer Studie: Rund ein Drittel der Beschäftigten gab an, binnen eines Jahres rassistische Aussagen im Kolleg*innenkreis erlebt zu haben, etwa 40 Prozent berichteten von sexistischen Vorfällen. Der Aussage „Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land.“ stimmten bei der ersten Erhebung 2021/2022 vier Prozent der befragten Polizeibeschäftigten „voll und ganz“, 13 Prozent „eher“ und 24 Prozent „teils/teils“ zu. In der zweiten Erhebung 2022/23 stimmten der Aussage „Die meisten Asylbewerber kommen nur hierher, um das Sozialsystem auszunutzen.“ neun Prozent „voll und ganz“, 22 Prozent „eher“ und 36 Prozent „teils/teils“ zu. Noch beängstigender dürfte eine andere Erkenntnis sein: Etwa ein Prozent der an der Erhebung beteiligten Polizist*innen hatten ein konsistent demokratiefeindliches bzw. rechtsextremes Weltbild. Das mag wenig klingen, bedeutet aber konkret, dass sich allein unter den Befragten 400 Personen befinden, welche die Verfassung und Grundrechte infrage stellen, aber als Teil der Exekutive über das Monopol der Gewaltausübung verfügen.
Allein unter den Befragten befinden sich 400 Personen, welche die Verfassung und Grundrechte infrage stellen, aber als Teil der Exekutive über das Monopol der Gewaltausübung verfügen.
Für Diana Gläßer, Bundesvorsitzende von VelsPol, dem Verband lesbischer und schwuler Polizeibediensteter in Deutschland, belegt die MEGAVO-Studie bestehende Tendenzen innerhalb der Polizei zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Und die schließe nicht nur Rassismus und Antisemitismus, sondern auch Queerfeindlichkeit ein, sagt die Polizeihauptkommissarin. „Die Dienstbehörden haben eine sehr hohe Verantwortung, weil Polizist*innen nun einmal wandelnde Grundrechtsschranken sind“, sagt Diana Gläßer im DAH-Gespräch. Im Einsatz können sie, im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben, vorübergehend die Grundrechte des Einzelnen einschränken.
Gläßer wünscht sich deshalb, dass die Gesellschaft in dieser Sache lauter wird und sich dabei auch konkret auf die MEGAVO-Studie bezieht. Zugleich könnte mehr Transparenz das Vertrauen in die Polizei stärken. Die Öffentlichkeit erfahre zwar beispielsweise über die Medien von rassistischen Beleidigungen durch Polizeibeamt*innen, nicht aber, ob Ermittlungen eingeleitet und infolgedessen Disziplinarmaßnahmen verhängt wurden.
Queerfeindliche Diskriminierung bei der Polizei
Gegenüber queeren Menschen bestehen bei einigen Polizeikräften weiterhin Vorurteile und abwertende Haltungen. Als offizielle Ansprechperson der Polizei des Landes Rheinland-Pfalz für LSBTIQ* werden entsprechende Beschwerden an Diana Gläßer herangetragen. So würden Opfern von Queerfeindlichkeit intime Fragen zu ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität gestellt, die für die Tat überhaupt nicht ausschlaggebend seien. Immer wieder käme es zu einer Täter*innen-Opfer-Umkehr. Wie etwa im Fall einer trans Person, die sich hilfesuchend an einen Polizisten wendet und von diesem dann angegangen wird: „Ja, wenn du so in der Öffentlichkeit herumläufst, ist es kein Wunder, dass dich Leute beleidigen.“ Oder ein Mann, der Hasskommentare in den Sozialen Medien zur Anzeige bringt, bekommt zu hören, dass er diese ja geradezu provoziert habe, in dem er öffentlich über das eigene Schwulsein redet.
Diana Gläßer weiß, dass solche Reaktionen das Vertrauen in die Polizei und das Rechtssystem beschädigen, und ist immer wieder überrascht, dass Kolleg*innen nach wie vor solche Sätze im Dienst fallen lassen. Das Mitarbeitendennetzwerk VelsPol hat sich deshalb unter anderem zur Aufgabe gemacht, Vorurteile gegenüber LGBTIQ* innerhalb wie außerhalb der Polizei zu bekämpfen, etwa durch die Beratung von Behörden und durch Fortbildungsveranstaltungen an Ausbildungs- und Fortbildungsstellen der Polizei. „Wir sind davon überzeugt, dass Fortbildungsmaßnahmen, LSBTI*-Ansprechstellen und auch unsere eigene Arbeit bei der VelsPol zu einer diskriminierungssensibleren Polizei führt“, erklärt Diana Gläßer. Wie die Privatwirtschaft und viele Organisationen bemühe sich auch die Polizei um Diversity Management.
Zu Diskriminierungs- und Mobbing-Erfahrungen gibt es schlicht keine Erhebungen, und so bleiben nur Erfahrungswerte und der Verdacht auf ein großes Dunkelfeld.
In welchem Ausmaß queere Kolleg*innen Diskriminierungs- und Mobbing-Erfahrungen weiterhin machen, kann die VelsPol-Vorständin allerdings nicht beantworten. Es gibt dazu schlicht keine Erhebungen, und so bleiben nur Erfahrungswerte und der Verdacht auf ein großes Dunkelfeld. „Menschen in der Polizei sprechen nicht darüber, wenn sie diskriminiert werden“, sagt Diana Gläßer. „Das gilt für viele Bereiche und insbesondere für das Feld Queerness, weil dies oft auch mit einem Coming-out verbunden wäre.“ Nicht allen Betroffenen ist womöglich bekannt, dass sie sich in solchen Fällen an LSBTI*-Ansprechstellen der Polizei wenden können – und dass Diskriminierungen durchaus Straftaten darstellen und deshalb zur Anzeige gebracht werden können.
Bewerber*innen mit HIV für den Polizeidienst untauglich
Diskriminierung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes erfahren HIV-positive Beschäftige bei den Zoll- und Polizeidiensten, wie das Verwaltungsgericht Berlin 2022 im Fall eines Beamtenanwärters festgestellt hat. Denn ungeachtet der medizinischen Realität und eindeutiger Gerichtsurteile ist die Polizei immer noch der Meinung, dass Menschen mit HIV nicht polizeidiensttauglich sind. Einstellungsbehörden und zuständige Polizeiärzt*innen scheinen den aktuellen Stand zu HIV schlicht nicht zur Kenntnis zu nehmen und bei ihren Entscheidungen einfließen lassen zu wollen (mehr dazu).
Die Folge: Bewerber*innen an Polizeiakademien werden aufgrund ihrer HIV-Infektion abgewiesen, ausgebildeten Polizist*innen die Verbeamtung verweigert. Eine solche pauschale Ablehnung ist nicht nur diskriminierend und ausgrenzend, sie zerstört letztlich berufliche Karrieren. Denn anders als unterstellt, ist keineswegs mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass die Bewerber*innen bzw. Beamtenanwärter*innen aufgrund ihrer HIV-Infektion vor der Pensionszeit krankheitsbedingt dienstunfähig werden oder erhebliche Ausfallzeiten zu erwarten sind. Deshalb, so der Kölner Jurist Jacob Hösl, müsse „vorurteilsfrei und individuell geprüft werden, ob durch ihre Infektion tatsächlich eine Polizeidienstuntauglichkeit vorliegt“.
Gespeicherte Informationen zu HIV- und Hepatitis-Infektionen
Diskriminierung in Sachen HIV und fehlende Einsicht bei der Polizei, was die Verletzung der Rechte Betroffener angeht, zeigt sich auch bei der Speicherung von persönlichen Daten der Bürger*innen. Denn in der gemeinsam von den Landeskriminalämtern, der Bundespolizei, dem Zollkriminalamt und dem BKA gespeisten Datenbank INPOL-Z werden bei einer erschreckend hohen Zahl an Personen weiterhin HIV- oder Hepatitis-Infektionen explizit gespeichert. Bei über 22.000 Menschen ist nach BKA-Angaben der Personeneintrag um das Kürzel „ANST“ (für „ansteckend“) ergänzt. Gemeint sind damit HIV sowie Hepatitis B- und C-Infektionen.
Ob eine Hepatitis-Erkrankung ausgeheilt, ob eine Person in HIV-Therapie und deshalb unter der Nachweisgrenze ist – all das spielt dabei keine Rolle. Oft wissen die Betroffenen nicht einmal, dass sie mit dieser Gesundheitsinformation in der Polizeidatenbank verzeichnet sind und der Eintrag beispielsweise auch Polizeibeamt*innen im Rahmen einer Verkehrskontrolle angezeigt wird. Dabei ist stark zu bezweifeln, dass solche Vermerke tatsächlich dazu taugen, Zoll- und Polizeibedienstete vor möglichen Infektionen zu schützen. Fraglich ist auch, ob die Polizei derart sensible Gesundheitsdaten unbegrenzt und allein zu präventiven Zwecken speichern darf. Denn wer erst einmal mit diesem Vermerk in der Polizei-Datenbank landet, bleibt dort mutmaßlich länger als „ansteckend“ registriert, als eigentlich vorgesehen. Ein Grund mehr, die Speicherung von Angaben zu Infektionen mit HIV, Hepatitis B und Hepatitis C umgehend zu beenden. (Mehr zu „ANST“.)
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