Chinesische Utopie

Von Redaktion
Kleiner Junge mit älterem Mann
He Zetao (links), der HIV-positive Junge in Zhao Liang neuem Dokumentarfilm

Die Berliner Filmfestspiele bieten neben dem Wettbewerb auch die Sektion „Panorama“ an. Das von Wieland Speck kuratierte Programm gilt als weltweit größte lesbisch-schwule Filmschau. Traditionell spielen auch die Themen HIV und Aids eine große Rolle. Dieses Jahr ist der Regisseur Zhao Liang mit „Together“ im „Panorama“ vertreten, einem Dokumentarfilm über HIV in China. Liang liefert einen emotionalen Einblick in die Welt HIV-Positiver und bietet sogar eine kleine Utopie an, wie die chinesische Gesellschaft mit Infizierten umgehen könnte. Peter Rehberg sah den Film und unterhielt sich mit dem Regisseur.

Buchstabe um Buchstabe erscheint vor dem Hintergrund einer sehnsuchtsvoll-schönen chinesischen Berglandschaft im Bild. Dazu der Klickton der Tastatur. „Snow“ oder „Tranquility“ heißen die Teilnehmer im Chatroom für HIV-Positive, deren Dialoge vor unseren Augen auf der Leinwand erscheinen. Aus Angst vor Diskriminierung unter Freunden, am Arbeitsplatz oder durch Ärzte im Krankenhaus wollen die positiven Männer und Frauen ihre wahre Identität für sich behalten.

Im Film wollen die meisten ihre Identität nicht offenbaren

Regisseur Zhao Ling hat über den Kontakt zu Aidsorganisationen Zugang zu diesen Chatrooms für Positive bekommen. Hier suchte er Interviewpartner für seinen Dokumentarfilm „Together“ über HIV und Aids in China. Auch im Film wollen die meisten ihre Identität nicht offenbaren, ihre Gesichter sind unkenntlich gemacht. Es sind junge Frauen wie „Tranquility“, die dem Regisseur dann ihre Geschichte erzählen:

„Ich hätte niemals gedacht, dass mein erster Boyfriend auch meiner letzter sein wird“ sagt die 22jährige, als Liang sie Zuhause besucht. „Tranqulity“ hatte ungeschützten Sex mit ihrem Ehemann, der schon vor ihrer Hochzeit positiv war und seinen Status für sich behalten hatte. Durch einen Routinetest im College hat sie dann erfahren, dass sie infiziert ist.

Safer-Sex-Aufklärung ist in China bisher kein großes Thema. Zwar gibt es manchmal symbolische Gesten in der Öffentlichkeit, wenn sich Prominente mit HIV-Infizierten vor der Kamera zeigen. Aber die meisten Chinesen kennen die Übertragungswege von HIV nicht und wissen nicht, wie sie sich schützen können. Einerseits herrscht eine irrationale Angst vor Ansteckung, andererseits gibt es keine Safer-Sex-Kultur.

Safer Sex ist in China kein großes Thema

Auch Regisseur Zhao Ling hatte bisher wenig Berührung mit dem Thema: „Ich habe nie geplant so einen Film zu drehen, es hatte sich so ergeben.“ Und das kam so: Ling ist ein großer Fan des in China bekannten Regisseurs Gu Changwai. Er wurde zu den Dreharbeiten von Changwais neuem Film ‚Tales of Magic’ eingeladen. So entstand zunächst die Idee eines „Making of“, bevor Liangs Film „Together“ dann zu einem Dokumentarfilm über HIV in China insgesamt wurde.

„Tales of Magic“ – der Film im Film – handelt von einem Fieber, das ausbricht und die Menschen in Angst und Schrecken versetzt. Ziemlich offensichtlich ist die ganze Geschichte eine metaphorische Umschreibung für HIV und Aids. Die Idee war es, zu zeigen, wie die Filmcrew mit dem Thema des Spielfilms in der Wirklichkeit umgeht – also mit ihren HIV-Positiven Kollegen.

„Ein Schauspieler, ein kleiner Junge war infiziert. Darüber hinaus noch fünf weitere Mitarbeiter, zum Beispiel die Betreuerin von dem Jungen, aber keiner von den Schauspielern. Wir haben das nicht gleich an die große Glocke gehängt, sondern nur in kleineren Teams bei den Teamleitern bekannt gemacht. Im Laufe der Zeit haben aber alle mitbekommen, um wen es sich handelt, weil ich sie mit meiner Kamera verfolgt habe.“

Filmcrew war dem Umgang mit HIV nicht gewachsen

Das Verhalten der Filmcrew, insgesamt 84 Personen, war charakteristisch für den Umgang mit dem Thema der chinesischen Gesellschaft insgesamt. Aus Mangel an Aufklärung, zeigten sich die Schauspieler dem Umgang mit der Krankheit, mit der sie sich im Film fiktiv auseinender setzen mussten, in der Realität zunächst nicht gewachsen.

„Am Anfang haben wir Experten eingeladen und aufgeklärt, welche Übertragungswege es gibt, damit sich keiner unnötige Sorgen macht“, erklärt Liang. „Jeder weiß, technisch gesehen kann es nicht passieren. Psychisch können es die Leute aber nicht so schnell akzeptieren. Denn niemand hatte vorher mit HIV zu tun. Schließlich hatten die Leute keine Berührungsängste mehr und wurden Freunde.“

Mit der Zeit lernten die Mitarbeiter am Set den Umgang mit den Infizierten – die Filmcrew wurde so zu einer utopischen Gesellschaft und zeigt wie die chinesische Gesellschaft insgesamt mit HIV umgehen könnte.

Der Dokumentarfilm „Together“ macht Station bei den Dreharbeiten zu „Tales of Magic“, und porträtiert Infizierte, die der Regisseur über Chatrooms kennengelernt hat oder zeigt Straßenszenen von Aktivisten. Dabei fängt er immer wieder emotional sehr berührende Szenen ein. Zum Beispiel, wenn der positive Aktivist Passanten bittet ihn zu umarmen, und eine junge Frau an ihm vorbei geht, um dann nach kurzem Zögern zurückzukommen und ihn in die Arme zu nehmen. Und trotzdem bleibt im Film die Gesamtsituation der Positiven in China unklar.

Gesamtsituation der ca. 740.000 HIV-positiven Chinesen bleibt unklar

Schätzungsweise 740.000 HIV-Positiven leben in China, mehr als die Hälfte von ihnen weiß nicht, dass sie infiziert ist. Die meisten erfahren es bei Routineuntersuchungen in Schulen und Universitäten oder weil sie krank werden. Kaum einer geht freiwillig zum Test. Man erfährt in „Together“ leider nicht, ob es staatlich finanzierte Aufklärungskampagnen oder ein Netzwerk von Schwerpunktärzten gibt. Auch dass die medizinische Versorgung kein Problem darstellt, erzählt Zhao Ling erst im Interview: Infizierten steht eine standardisierte First-Line und darüber hinaus eine Second-line Behandlung kostenlos zur Verfügung. Sie müssen alle zwei Monate zum Arzt gehen. Solche Infos hätten dem Film gut getan um ein Gesamtporträt der Situation zu zeichnen. Trotzdem bleibt „Together“ sehenswert – vor allem wahrscheinlich auch für ein chinesisches Publikum.

So fragte dann auch eine chinesische Zuschauerin im Anschluss an die Filmpremiere am Montagnachmittag in Berlin, ob „Together“ Aufmerksamkeit auf internationalen Festivals braucht, damit er in China vor einer breiteren Öffentlichkeit gezeigt werden könne. Aber Regisseur Zhao Ling glaubt nicht, dass es in seiner Heimat Probleme geben wird: „Wir leben doch nicht mehr in den 1980ern“.

„Together“ („Zai Yi Qi“)
Regie: Zhao Liang
81 Minuten

Weitere Vorstellungen:

16.2. 15:30 Uhr Colosseum 1, Schönhauser Allee
19.2. 12:00 Uhr CineStar 7, SonyCenter

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