Psychischer Streß durch Corona

Aktiv gegen Angst und Vereinsamung

Von Axel Schock
© criene / photocase.de
Die Corona-Krise trifft alle, doch manche sind durch Ängste und Isolation weitaus stärker belastet – zum Beispiel queere Menschen, die ohnehin mit psychischen Problemen kämpfen. Was die Schwulenberatung Berlin ihren Klienten rät und wie sich auch die eigene Arbeit verändert hat, erzählt Teammitarbeiter Conor Toomey.

Tägliche neue Schreckensnachrichten, immer dieselben vier Wände – und niemanden zum Reden? In der Corona-Krise kämpfen viele mit Angstgefühlen und Vereinsamung. Menschen mit psychischen Problemen müssen nun umso mehr auf sich achten. Conor Toomey gibt Tipps zur Bewältigung der Krise und erzählt, wie sich auch die Beratungsarbeit verändert hat. Der Diplompädagoge leitet bei der Schwulenberatung Berlin den Bereich psychologische Beratung, Sucht- und HIV-Beratung.

Conor, haben sich durch die Corona-Krise die Anliegen der Ratsuchenden geändert?

Die Themen haben sich nicht verändert. Es sind auch nicht weniger Anfragen geworden, womit wir eigentlich gerechnet hatten, da wir keine Vor-Ort-Angebote mehr machen können. Die Corona-Krise nimmt aber bei vielen Beratungsgesprächen einen großen Raum ein.

Gruppenangebote via Videokonferenz

Eure Gruppenangebote müssen nun also ausfallen?

Die meisten Gruppen haben ziemlich schnell umgestellt, sodass sie nun online in Form von Videokonferenzen stattfinden können. Das kommt eigentlich gut an. Einige vermissen die Treffen in der Beratungsstelle und werden mit den Videokonferenzen nicht so recht warm. Ich habe aber auch gemerkt, dass diese neuen Formen der Beratung andere Leute sehr wohl ansprechen und die sich damit sehr wohlfühlen. Das ist manchmal auch eine Generationenfrage.

„Viele fühlen sich mit Videokonferenzen wohl, für andere sind sie kein Ersatz“

Es gibt natürlich auch Klienten, insbesondere bei den Gruppenangeboten, für die die Schwulenberatung ein geschützter Raum mit einer besonderen Atmosphäre ist, in den sie gerne kommen und in dem sie sich wohlfühlen. Für sie sind die Online-Gruppenangebote daher kein adäquater Ersatz. Auch, weil manche zu Hause nicht das Gefühl haben, wirklich frei sprechen zu können, zum Beispiel, weil ein Mitbewohner oder der Partner mit in der Wohnung ist.

Und wie sieht es bei der persönlichen Beratung aus? Auch die kann ja derzeit nicht vor Ort in euren Räumen stattfinden.

Wir sind weiterhin für die Menschen da, beraten nun aber ausschließlich telefonisch und online.

Unser aller soziales Leben ist derzeit tiefgreifend getroffen, sei es durch den geforderten körperlichen Abstand, durch selbstgewählte Quarantäne, Kontaktbeschränkungen oder den weitgehenden Shutdown des öffentlichen Lebens. Bereits bestehende psychische Krisen können sich durch diese Umstände sicherlich verstärken, oder?

Das ist richtig. Das gilt insbesondere für Personen, die zuvor schon nicht auf ein gut ausgebautes soziales Netzwerk zurückgreifen konnten oder ohnehin mit psychischen Beeinträchtigungen wie Angsterkrankungen oder depressiven Erkrankungen zu kämpfen haben.

Aber auch Personen, die sich in prekären Lebenslagen befinden, können davon betroffen sein; etwa Freiberufler, die schon immer knapp bei Kasse waren und denen derzeit die Aufträge wegbrechen. Für sie hat die Corona-Krise eine existentielle Verunsicherung und ernste wirtschaftliche Nöte zur Folge.

Wenn wir Angst haben, wollen wir etwas tun, um gegen diese Angst vorzugehen. In dieser aktuellen Situation sind unsere Möglichkeiten jedoch sehr begrenzt, weil es so viele Dinge gibt, die wir gar nicht beeinflussen können.

Soziale Medien können Ängste auch verstärken

Soziale Medien wie Facebook sind nun das Kommunikationsmedium der Stunde. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass Menschen, die ohnehin unter Ängsten und Verunsicherungen leiden, dort erst recht mit viel zu vielen negativen Nachrichten konfrontiert werden.

Das ist tatsächlich ein Dilemma. Die soziale Distanzierung, die uns nun allen verordnet wurde, beschneidet alle existenziellen Grundbedürfnisse nach Kontakten, Beziehungen und dem Gefühl, in eine Community eingebunden zu sein. Soziale Medien bieten hier eine Alternative, um in Kontakt bleiben zu können und nicht allein mit dem Thema sein zu müssen.

Das ist übrigens ein positives Attribut dieser Krise: Sie betrifft alle. Dadurch kann auch ein Gefühl der Gemeinschaft entstehen: Ich bin nicht allein in dieser Ausnahmesituation, sondern auch andere stehen eine schwierige Zeit durch.

Zugleich muss man aufpassen, es mit dem Nachrichtenkonsum, sei es in den Sozialen oder in anderen Medien, nicht zu übertreiben. Ich merke es an mir selbst, wie nachrichtensüchtig ich geworden bin und mich gleich nach dem Aufstehen das erste Mal über das Geschehen informiere.

„Die Krise betrifft alle. Dadurch kann auch ein Gefühl der Gemeinschaft entstehen“

Wie kann ich mich vor zu viel schlechten Meldungen schützen?

Wen die Gesamtsituation beunruhigt oder gar ängstigt, sollte seinen Nachrichtenkonsum stark einschränken und regulieren. Es genügt, sich ein- oder zweimal am Tag zu informieren, um auf dem Laufenden zu bleiben. Von einem Klienten habe ich erfahren, dass man bei Facebook den Filter so einstellen kann, dass viele Nachrichten zu Corona ausgeblendet werden. Das werde ich selbst einfach auch mal ausprobieren und schauen, was da dann überhaupt noch übrig bleibt!

Sexkontakte in Zeiten von Corona?!

Manche Menschen beziehen einen wichtigen Teil ihres Selbstwertgefühls und ihrer Selbstbestätigung über persönliche Kontakte. Sie daten zum Beispiel normalerweise viel oder besuchen regelmäßig Chemsex-Partys. Wie kommen sie mit den Kontaktbeschränkungen und dem Shutdown klar?

Die Chemsex-Party sind wohl weniger geworden, wie ich von Chemsex-Usern höre, aber einige finden noch statt. Es wird nur weniger offen damit umgegangen. Ich finde es aber wenig hilfreich, hier moralisch zu werden. Natürlich sind wir angehalten, soziale Kontakte soweit als möglich zu reduzieren. Doch für Personen, für die das ein wichtiger Bestandteil des Lebens ist, ist das natürlich schwierig.

Es fällt auf, dass bei den Online-Dating-Portalen derzeit die wenigsten ihr Profil auf den Status „Sex jetzt“ eingestellt haben, sondern vermehrt auf „Chat“. Ich denke, dass viele sich einfach nicht trauen, offen damit umzugehen, dass sie eigentlich nach Sex suchen.

Natürlich habe ich eine persönliche Haltung, aber ich fände es problematisch, den Ratsuchenden in einer Beratungssituation vorzuschreiben, wie sie sich zu verhalten haben. Ich kann bestenfalls Empfehlungen aussprechen. Jeder muss letztlich eine persönliche Risikoeinschätzung betreiben – wie man es sonst auch macht, gerade im sexuellen Bereich. Und jeder muss sich jetzt eben auch besonders bewusst sein, dass man nicht nur für sich selbst Verantwortung übernimmt, sondern auch für andere.

Die Einschränkungen des Soziallebens betreffen ja nicht nur den Sex mit Unbekannten. Auch der Kneipenbesuch ist derzeit nicht möglich. Können sich die Leute damit arrangieren?

Bei manchen ist da durchaus ein Leidensdruck entstanden, weil eben nun Orte wegfallen, an denen man sich normalerweise getroffen hat. Und das sind nicht nur Bars und Clubs, sondern auch der Sportverein oder andere Freizeitaktivitäten. Orte, an denen sich schwule Männer normalerweise treffen, um ein Gemeinschaftsgefühl herzustellen und verbunden zu sein. Das hat sich nun mehr denn je in die Onlinewelt verlagert. Mein Eindruck aber ist, dass die Leute gut damit umgehen.

„Noch scheinen schwere Notlagen nicht zugenommen zu haben“

Können sich psychische Probleme durch Corona so verstärken, dass eine Video- oder Telefonberatung nicht mehr ausreichen, und medikamentöse Lösungen oder gar ein Klinikaufenthalt angedacht werden müssen?

Mir ist in den zurückliegenden Wochen noch nicht aufgefallen, dass schwere Notlagen oder Suizidalität zugenommen hätten. Sollte diese Ausnahmesituation aber noch länger anhalten, könnte dies manche in der Tat überfordern.

Die Personen, die ich bislang in der Beratung erlebt habe, konnten mit der Situation allerdings sehr gut umgehen. Einige haben erzählt, dass es sie an eigene persönliche Krisen erinnert, die sie gemeistert und überstanden haben – zum Beispiel ihre HIV-Diagnose. Und daraus haben sie für sich eine Stärke fürs restliche Leben mitgenommen.

Tipps für die Ausnahmesituation

Hast du Tipps, wie man in dieser Ausnahmesituation verhindern kann, sozial zu isolieren und zu vereinsamen?

Soziale Medien sind natürlich derzeit der beste Weg, um mit andren Leuten in Kontakt zu bleiben oder sich auch zu verabreden. Es spricht aber auch nichts dagegen – mit dem notwendigen Abstand ­–, zusammen spazieren zu gehen.

„In diesen Zeiten sind feste Strukturen hilfreich“

Mit Telefonaten und Videoanrufen können wir weiterhin im Gespräch bleiben und reden, wenn uns die Decke auf den Kopf fällt. Ein Klient von mir trifft sich jeden Morgen mit einem Freund zu einer festen Zeit zur gemeinsamen Gymnastik – und zwar online. Jeder ist für sich zu Hause, aber doch nicht alleine. Und eine feste regelmäßige Verbindung tut auch gut.

In diesen Zeiten ist es sehr hilfreich, feste Strukturen zu schaffen: Dinge, an die man sich halten und auf die man sich verlassen kann.

Und wie sieht es damit aus, die viele Zeit zu Hause sinnvoll zu verwenden?

Ich erlebe in letzter Zeit immer wieder, dass versucht wird, die Krise schönzureden: „Genieß die Entschleunigung! Nutze die freie Zeit für den Frühjahrsputz oder ein neues Sportprogramm!“

Ich finde, wir müssen uns nicht auch noch in solchen Krisenzeiten zur Selbstoptimierung verpflichten.

Ich versuche meinen Klienten deshalb eher das Bewusstsein zu vermitteln, dass wir uns gerade in einer schwierigen Zeit befinden und wir deshalb Dinge tun können, die uns guttun. Das kann auch ein täglicher Mittagsschlaf sein. Jeder muss da seinen eigenen Weg finden.

„Es tut auch gut, etwas für andere zu tun“

Abgesehen davon ist durch die Corona-Krise nicht für alle eine Entschleunigung eingetreten. Für manche ist es eher eine Beschleunigung. Dadurch, dass sie noch mehr Sorgen haben, weil zum Beispiel Einkünfte fehlen, um die nächste Rechnung zu bezahlen.

Im Übrigen tut es auch gut, etwas für andere zu tun – das können Nachbarn, Freunde oder Menschen in der eigenen Community sein. Auch das reduziert die eigene Angst und schafft Gemeinschaft.

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