DEPRESION & HIV (7)

HIV und Depression? Alles im Griff!

Von Redaktion
Maske aus Karton mit heraushängender Zunge
Leidest du noch an Depressionen, oder hast du schon Burn-out? (Foto: flo-flash / photocase.com)

Es ist kein Zufall, dass HIV-Positive überdurchschnittlich oft an Depressionen leiden. Eine chronische Krankheit ist eine große Belastung. Und oben drauf kommt eine weitere Bürde: Die strengen Normen der Leistungsgesellschaft verlangen von jedem Einzelnen ein effizientes Krankheitsmanagement.

Leidest du noch an Depressionen, oder hast du schon Burn-out? Betroffenen muss es wie ein schlechter Witz vorkommen: Kaum haben die Depressionen den Ruch des Irrsinns und der Klapsmühle verloren, werden sie schon wieder aus der öffentlichen Debatte verdrängt. „Burn-out“ beherrscht die Schlagzeilen. Das Ausgebrannt-Sein der Leistungsträger hat es in kürzester Zeit zu größter medialer Popularität gebracht. Das gibt einen interessanten Hinweis auf die Bedingungen einer Leistungsgesellschaft, die höchste Anforderungen an uns alle stellt – selbst an kranke Menschen. Das hat auch Auswirkungen auf Menschen, die mit HIV leben und sehr viel häufiger an Depressionen leiden als solche ohne HIV-Infektion.

Melancholie: zu viel schwarze Galle im Blut

Die Depression wurde stets auf verschiedene Art betrachtet, das Burn-out ist nur das jüngste Etikett. Wie die „Niedergedrücktheit“ ihren Weg in unser Jahrhundert fand, kann ein kurzer geschichtlicher Abriss verdeutlichen: Im 2. Jahrhundert vor Christus beschrieb der griechische Arzt Galen die Neigung zu Trübsinn, Trauer und Schwermut als Folge eines Ungleichgewichts der Körpersäfte, zu viel schwarze Galle ergieße sich ins Blut. Das griechische Wort dafür war Melancholie. Melancholie galt als Krankheit.

Nur kurzzeitig – in der Romantik – gab es den Versuch, der Niedergeschlagenheit im Rahmen des Genie-Kults auch einen schöpferischen Wert zuzusprechen. Im aufkommenden Leitbild des rationalen und aufgeklärten Menschen geriet die Melancholie jedoch in den Ruf der Unvernunft. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird Melancholie durch das Wort Depression ersetzt – und ist von nun an Gegenstand der neuen Wissenschaften Psychotherapie und Psychopharmazie. Galens These der schwarzen Galle ist wissenschaftlich längst überholt.

Die heutige Medizin vermutet als Ursache von Depressionen eine Stoffwechselstörung, ein Ungleichgewicht innerhalb der für die Verarbeitung von Reizen so wichtigen Neurotransmitter. Sicher ist es kein Zufall, dass die Medien von all diesen Botenstoffen das „Glückshormon“ Serotonin am meisten lieben. Von Dunkelheit ist keine Rede mehr.

Wer depressiv ist, leidet an zu viel Lebensangst und zu wenig Lebensfreude

Zu solchen Erklärungsmodellen treten Ansätze, die die persönlichen Erfahrungen und das gesellschaftliche Umfeld eines Menschen mit Depressionen in den Blick nehmen. Wer depressiv ist, leidet an – grob gesagt – zuviel Lebensangst und zuwenig Lebensfreude. Warum aber wurde Depression als Thema so lange gesellschaftlich ausgeblendet? Und woher kommt die gerade erwachte Neugier aufs Burn-out?

So wie Depression oft sehr vielfältige Aspekte des Lebens umfasst, wird auch das modische Burn-out meist sehr undifferenziert benutzt und mit Depression gleichgesetzt, weil sich die Symptome der körperlichen wie seelischen Erschöpfung ähneln. Tatsächlich aber meint Burn-out die Folgen von zu viel Stress am Arbeitsplatz – ein Umstand, der die Bewertung als „Krankheit“ entscheidend beeinflusst. „Während Depression ein negativ besetzter Begriff, nahezu ein Stigma ist, hat Burn-out einen positiveren Klang, weil man impliziert, dass es nur die trifft, die viel leisten“, erklärt Kristina Leuner, Professorin an der Universität Erlangen, in einem Interview für die Pharmazeutische Zeitung.

Der Verdacht liegt nahe, dass auch im Umgang mit psychischen Krankheiten die wirtschaftliche Entwicklung den Takt vorgibt. Schon oft wurde die Depression in Beziehung zu wirtschaftlichen Krisen gesetzt. Die Börsenkrise 1929 wird „die große Depression“ genannt. Und in der Studie „Der niedergeschlagene Mensch“ konstatiert Charlotte Jurk, dass Depression als „Volkskrankheit“ um das Jahr 2000 im Umfeld des großen Börsencrashs „populär“ geworden sei. Der neue Begriff Burn-out verweist allgemein auf eine Arbeitswelt, die als zunehmend fordernder wahrgenommen wird. Neue Medien, ökonomische Krisen, Konkurrenz, Mobbing und Prekarisierung erhöhen den Druck auf Arbeitnehmer/innen, sich den verschärften Rahmenbedingungen anzupassen. All dies sind Momente, die letztlich zu Ursachen einer Depression werden können, zumal bei Eintritt einer schmerzhaften Änderung im Leben, sei es durch Trennung, Krankheit oder Tod eines Angehörigen.

Anders als die Depression wird das Burn-out als gesellschaftliches Problem akzeptiert

Wenn „Burn-out“ trotzdem einen „positiveren Klang“ hat als „Depression“, dann deshalb, weil es innerhalb der Normen einer Leistungsgesellschaft verhandelt und als gesellschaftliches Problem akzeptiert wird. Dagegen erscheint die Depression nach wie vor als Problem des Einzelnen – genau wie neuerdings auch eine HIV-Infektion zur Privatsache erklärt wird.

Die erfolgreiche Behandlung von HIV-Infektionen hat die Wahrnehmung der Immunschwächekrankheit verändert. Vom „Todesurteil“ ist sie zu etwas geworden, mit dem sich leben lässt. Dies stellt HIV-Positive vor neue Herausforderungen sowohl in der persönlichen Lebensgestaltung als auch seitens einer Leistungsgesellschaft, die erwartet, dass man mit der Krankheit zurechtkommt. Das kann einerseits Ursache von Depressionen sein, andererseits den Druck auf depressive Menschen mit HIV erhöhen.

Bei mindestens einem Drittel aller HIV-Positiven treten im Laufe des Lebens treten depressive Symptome auf. So warnte der Psychologe und DAH-Referent Karl Lemmen in einem Interview davor, die Bedeutung von Depressionen zu unterschätzen: „Man darf nicht vergessen, welchen permanenten Stress das Leben mit der Diagnose darstellen kann, gerade bei Menschen, die schon sehr lange mit der Krankheit leben. […] Die finanziellen Ressourcen sind vielleicht aufgezehrt, die beruflichen Perspektiven schwierig. All das kann eine ungeheure Belastung sein und zu einem positiven Burn-out, zu einer Depression führen.“

HIV-Positive mit Depression stehen vor einem mehrfachen Problem: Sie sollen die Infektion genauso wie das tägliche Leben „in Griff bekommen“ – sei es mit Medikamenten oder sonst einer Therapie. Sie sollen eine Leistung vollbringen, zu der sie sich – das ist nun mal die Krux einer Depression – gerade nicht imstande sehen. In solch einer Lebenssituation können die hohen Normen einer Leistungsgesellschaft schnell zur Zumutung werden: Spaß haben, fit bleiben, flexibel und mobil sein, in Freizeit wie Beruf.

Die Behandlung einer HIV-Infektion wie einer Depression erfordert Geduld

Es sei daran erinnert, dass – trotz aller medizinisch-therapeutischen Möglichkeiten – die Behandlung einer HIV-Infektion wie einer Depression Geduld erfordert. Im letzteren Falle hängt es natürlich von der Schwere der Erkrankung ab. Nur: „Schnell und einfach“ ist eine Behandlung nie. Und ist es nicht mittlerweile eine übliche Erwartung, dass HIV-Positive ihre Krankheit problemlos „managen“? Eine Überforderung in der Arbeitswelt scheint allerdings derzeit gesellschaftlich weitaus mehr Verständnis zu wecken als die Überforderung durch das ganz normale Leben. Mitleid also für die Leistungsträger mit Burn-out, für HIV-Positive mit Depression nur ein herzhaftes „Reiß dich doch mal ein bisschen zusammen“?

Portrait Rainer Hörmann
Rainer Hörmann (Foto: privat)

Man kann es auch anders sehen: Vielleicht führt das mediale Interesse für Burn-out letztlich zu einem besseren Verständnis von Depressionen und anderen Erkrankungen, die das Leben von Menschen dauerhaft verändern. Weder Depressionen noch eine HIV-Infektion müssen heutzutage „das Ende“ sein, dafür sorgen die moderne Medizin und viele Hilfsangebote. Dass beide Krankheiten noch als Stigma gelten, das zu ändern bleibt eine Aufgabe der Gesellschaft – und nicht allein der Erkrankten.

Rainer Hörmann

Literaturhinweis

Charlotte Jurk: Der niedergeschlagene Mensch. Depression – eine sozialwissenschaftliche Studie zu Geschichte und gesellschaftlicher Bedeutung einer Diagnose. Dissertation Uni Gießen 2005

Das Dossier HIV & Depression im Überblick

Teil 1: Depression – die unbekannte Volkskrankheit (13.06.13)
Teil 2: Grenzen der Belastbarkeit (13.06.13)
Teil 3: „Von Hühnern und Rosinen“ – Paar-Reportage (13.06.13)
Teil 4: Was hilft bei Depression? Zehn Anregungen (14.06.13)
Teil 5: Pillen oder Psychologen? Was hilft besser gegen Depression? (14.06.13)
Teil 6: Keinen Nerv für die Gesundheit: Diskriminierung schürt Depression (15.06.13)
Teil 7: HIV und Depression? Alles im Griff! (15.06.13)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

+ 31 = 38