SCHWARZER STREIT

„Sexarbeiter und Huren haben mein Leben bunter gemacht und bereichert“

Von Bernd Aretz
Bernd Aretz (Foto: Thomas Schwarz)
Bernd Aretz bricht eine Lanze für anschaffende Männer und Frauen (Foto: Thomas Schwarz)

Im November 2013 initiierte „Emma“-Herausgeberin Alice Schwarzer den „Appell gegen Prostitution“. Bernd Aretz lässt seine Begegnungen mit Menschen in der Sexarbeit Revue passieren und begründet, weshalb ein Verbot der Prostitution aus seiner Sicht verfehlt wäre.

Es ist schon merkwürdig. Wenn ich den Filter „Prostitution“ auf mein Leben lege, scheint dieses Thema fast meine ganze Biografie zu durchziehen. Ich rede jetzt nicht über jene Fälle, wo beruflich durch Kompromisse die Grenze zur Verkäuflichkeit überschritten wird, indem man vielleicht Zugeständnisse bei der Kleidung oder im Gespräch macht – um welcher Vorteile willen auch immer. Hier geht es um Sexarbeit.

„Meine erste Begegnung mit dem verruchten Milieu hatte ich mit 17“

Meine Großmutter redete immer nur über „Brigitte, die Hure“, wenn sie ihre reizende Schwester meinte, nur weil diese in der Besatzungszeit intime Beziehungen zu mehreren Offizieren der Aachener Besatzungsmacht unterhalten haben soll, um problemlos in deren Wagen für ihre Rösterei Kaffee aus den Niederlanden nach Deutschland schmuggeln zu können. Aber das war ja eigentlich fast noch dem Privatbereich zuzuordnen. Das war wie manche Ehe, die eher unter Versorgungsgesichtspunkten denn aus Lüsternheit oder tiefer Zuneigung geschlossen wurde. Die sexualkundliche Literatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts ist voll der Beispiele zur Grauzone zwischen Ehe und Prostitution.

Auch Ehen werden oft des Geldes wegen und nicht aus Liebe geschlossen (Foto: Benjamin Klack, pixelio.de
Aus ideologischer Sicht darf es keinen Sex gegen Geld geben (Foto: Benjamin Klack, pixelio.de

Meine erste Begegnung mit dem verruchten Milieu hatte ich mit 17. Der Vater meiner Freundin war nämlich in der Sprache meiner Mutter Mädchenhändler, in der Berufssprache Künstlervermittler. Er nahm uns mit in eine Nachtbar, in der die Schönheits- und Entkleidungskünstlerinnen zwischen den Auftritten natürlich auch an unseren Tisch kamen und gar artig mit uns Jugendlichen plauderten.

„Als offen schwuler Mann konnte man sich mit den nur dürftig angezogenen Mädels prächtig unterhalten“

Als Student ging ich gern mit Freunden zu vorgerückter Stunde in Marburg in die Eden Bar. Die Wirtin hinter dem Tresen bezog häufig Studenten, wenn sie denn ihr Herrengedeck bezahlt hatten, in den Kreis derer ein, die dabei halfen, Sektflaschen auf Rechnung betuchter älterer Herren zu leeren, während ihr Mann an der Hammondorgel ein Wunschkonzert gab. Als offen schwuler Mann konnte man sich mit den nur dürftig angezogenen Mädels an ruhigeren Abenden prächtig unterhalten. Das war so in den frühen Siebzigern.

In den Achtzigern hatte ich mich gelegentlich anwaltlich mit der Frage zu beschäftigen, ob in Lokalen, die man wahrlich nicht bei Tageslicht sehen wollte, tänzerische und akrobatische Einlagen, die den Vorgang des Ausziehens zeigten, arbeitserlaubnisfreie Kunst seien oder nicht.

In Hamburg traf ich beim Verlassen eines Stundenhotels in St. Georg, das ein Stockwerk auch an Reisende für die ganze Nacht vermietete, auf eine weltoffene Hure, deren Angebot ich unter Hinweis auf meine urnischen Neigungen jedoch ablehnte. Sie sei auch in der Anwendung von Dildos sehr erfahren, meinte sie daraufhin – aber auch die sehe ich lieber in den Händen von Männern. Für einen Kaffee, den ich anbot, war es ihr noch zu früh. Sie müsse erst etwas verdienen, ich solle in drei Stunden noch mal vorbeikommen.

Karl-Heinrich Ulrichs (Foto: wikimedia-commons)
Karl-Heinrich Ulrichs, Pionier der Sexualwissenschaft, bezeichnete homosexuelle Männer als Urninge   (Foto: wikimedia-commons)

Und dann kam HIV. 1988 lebte über dem „Switchboard“, dem Info-Café der Frankfurter Aidshilfe, ein zauberhafter Stricher. Es war einfach eine Freude, sich mit ihm auch über die damals anstehenden ernsthafteren Fragen des Lebens zu unterhalten. Als ich bei einer Sammelaktion etwas großzügiger spendete, bemängelte er, das hätte ich ihm geben sollen – das hätte für seinen Stoff gereicht, für mein Gras auch, und wir hätten doch eine schön verferkelte Nacht zusammen verbringen können. Wir fassten das dann für einen späteren Zeitpunkt ins Auge. Die Umsetzung scheiterte aber durch eine Überdosis.

„Natürlich war ich bei den Protesten gegen die Zerschlagung des Frankfurter Rotlichtviertels dabei“

Über die Aidshilfe hatte ich Kontakte zur Frankfurter Hurenselbsthilfe, mit der es nach Demos auch gemeinsame Feste gab. Natürlich war ich bei den Protesten gegen die Zerschlagung des Frankfurter Rotlichtviertels zugunsten einer Verlagerung in die unwirtliche Pampa dabei. Ich erinnere Bustouren, die von den Huren und uns organisiert wurden. Beschämend, was die Stadt Frankfurt an Arbeitsbedingungen anbot. Das konnte nur ausbeuterische Strukturen fördern. Und natürlich habe ich über die Stricher- und Drogenprojekte und über die HIV-Station in Frankfurt auch Menschen kennengelernt, die man gemeinhin in der Elendsprostitution verortet.

„Zu keinen dieser Menschen, denen ich begegnen durfte, hätte der Begriff ,Sklaverei‘ gepasst“

Zu einer Präventionskonferenz der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH) kam ich am zweiten Morgen etwas übernächtigt und erzählte den anwesenden Offiziellen, dass ich am Abend vorher, vermittelt über meine rote Schleife, mit einem Mann in engeren Kontakt gekommen sei. Dieser habe während des Gesprächs erwähnt, er sei Callboy, worauf ich in den Raum geworfen hätte, dann müssten wir uns verständigen, ob wir uns beruflich oder privat vergnügen wollten. Im ersten Fall würde ich bestimmen, was wir miteinander machten, im zweiten überließe ich es ihm. Auf die Frage einer Mitarbeiterin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, wie denn nun die Entscheidung gewesen sei, antwortete ich bloß, es sei eine schöne Nacht gewesen.

Einmal saß ich mit einer Sexarbeiterin, die ich bei einem Huren- und Stricher-Workshop der DAH kennengelernt hatte, auf einem kirchlichen Podium, ein andermal mit Domenica Niehoff in einem alten NVA-Saal mit angemietetem mobilem Grün zu unserer Umrahmung. Zu keinem dieser Menschen, denen ich begegnen durfte, hätte der Begriff „Sklaverei“ gepasst.  Zu manchen hatte man eher die Vorstellung, dass sie ihr Leben auch unter den Bedingungen der Sucht eigenverantwortlich leben können, ohne alten Damen die Handtasche entreißen, ohne stehlen oder betrügen zu müssen. Sexarbeiter und Huren haben mein Leben, die Sexualität und mein Weltbild bunter gemacht und bereichert.

„Sexarbeit mit den üblen Realitäten des Menschenhandels gleichzusetzen, ist schon ziemlich verwegen“

Die Zeitschrift „Emma“ setzt nun Prostitution generell mit Sklaverei und Menschenhandel gleich und fordert mit breiter Unterstützung das Verbot der Prostitution. Wer wäre – außer denen, die davon leben – nicht gegen Menschenhandel, Nötigung, Raub, Verschleppung, Erpressung und Vergewaltigung? Und so haben denn viele den Appell unterschrieben.

(Foto: Rainer Sturm, pixelio.de)
Ginge es nach „Emma“, müsste Hamburgs Amüsierviertel schließen (Foto: Rainer Sturm, pixelio.de)

Aber Sexarbeit mit den üblen Realitäten des Menschenhandels gleichzusetzen, ist schon ziemlich verwegen und legt bloß, dass es nicht um Beistand für die entrechteten Frauen geht, sondern um Moral. Wollte man den Frauen helfen, müsste man schleunigst das Aufenthaltsrecht zu ihrem Schutz umgestalten.

Selbstverständlich müsste man die Selbsthilfeorganisationen der Huren und Stricher in den Diskurs einbinden und auch die Expertise des öffentlichen Gesundheitsdiensts in der Beratung anschaffender Männer und Frauen nutzen. Von dort käme dann sicher der Hinweis, man dürfe keinesfalls durch die Hintertür gewerberechtlicher Auflagen wieder so etwas wie eine Kontrollpflicht für Menschen in der Sexarbeit einführen. Ihre Abschaffung habe doch erst bewirkt, dass man als Partner für sexuelle Gesundheit wahrgenommen wird. Eine Ärztin erzählte ganz begeistert, im März habe eine der Frauen ihr zum internationalen Frauentag gratuliert.

„Das Expertenwissen zählt auch hier kaum etwas gegen die Ideologie“

Aber wie in der Drogenpolitik zählt auch hier das Expertenwissen kaum etwas gegen die Ideologie. Der Mann soll die Frau nicht gebrauchen. Wenigstens außerhalb von Ehe oder Partnerschaft soll Geld kein Zugangsweg zu Sex sein. Es fehlt nur noch, dass das Liebeswerben selbst unter Strafe gestellt werden soll. Offensichtlich sind selbstbewusste Huren und ihr Umgang mit Männern für ein feministisches Weltbild eine kaum zu verkraftende Herausforderung.

Natürlich sind mir Erbsensuppenfreier ein Graus, die zu vorgerückter Stunde einen Schlafplatz im Tausch gegen sexuelle Dienstleistungen anbieten. Um ihnen ihr armseliges Geschäft abzugraben, braucht es mehr Notschlafplätze. Zu Recht ist heute schon verboten, jemanden zum Sex zu zwingen.

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Für die Stärkung der Rechte von Menschen in der Sexarbeit (Logo des Sexwork Interessenverbundes Deutschland)

Und natürlich gibt es auch in der Sexarbeit unendlich viel Elend. Die Diskussion über die Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen zeigt, dass auch in anderen Teilen der Wirtschaft sich viel Grausiges hinter der Fassade verbirgt. Aber all die Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter, denen ich begegnen durfte, hätten sich vehement gegen die Beschreibung gewehrt, die Alice Schwarzer ihnen ungefragt verpasste. Deswegen habe ich nicht den Appell von EMMA unterschrieben, sondern den der Sexarbeiterinnen für Prostitution.

Für ein Schwulenmagazin habe ich einmal einen Bericht über KISS, die Kriseninterventionsstelle für Stricher in Frankfurt geschrieben und auch einen schon etwas älteren bürgerlich-kreativ tätigen Escort interviewt. Ich fand es damals richtig, mein Autorenhonorar in die Lust zu investieren. Ich nehme an, er würde sich freuen, mal wieder von mir gebucht zu werden.

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