HIV-PrEP und Schutz durch Therapie: Zwei Seiten desselben Bettes
Fotos: Matt Spike, https://www.instagram.com/original_matt_spike/
Hans: Zum Glück hört man heute kaum noch die Frage „Bist du sauber?“. Das ist furchtbar, weil es jeden, der mit HIV lebt, für „schmutzig“ erklärt!
Und die Frage, ob man keine (anderen) Geschlechtskrankheiten habe? Jesus, als hätte jemals irgendjemand ernsthaft diese Frage mit „Nein, ich habe einen Tripper, aber können wir trotzdem Sex haben?“ beantwortet…
Früher habe ich mich stärker von Heteros stigmatisiert gefühlt: „Du bist schwul, du musst das Virus haben!“ Einige sahen uns als sexbesessene Monster. Das hat sich jetzt zum Glück geändert.
HIV-Stigma, HIV-PrEP und Schutz durch Therapie
Jason: Es ist unangenehm, vom HIV-Stigma zu hören. Aus eigener Erfahrung weiß ich: Am besten sage ich vorher, dass ich selbst HIV-negativ bin, bevor ich dann die Leute aufkläre, die ihr Unwissen von sich geben.
Leider sieht das so aus, als würde ich mich schämen, wenn jemand mich für HIV-positiv hielte. Aber es ist wichtig, damit sie eine Beziehung zu mir aufbauen und mir glauben, was ich ihnen dann erzähle.
Ich erkläre ihnen nämlich U=U und die PrEP.
U=U steht für Undetectable Equals Untransmittable, nicht nachweisbar ist nicht übertragbar. Das heißt: Wenn jemand HIV-Medikamente nimmt, wird die HIV-Menge in seinem Blut so gering, dass HIV nicht mehr gemessen und nicht übertragen werden kann.
Und ich erkläre ihnen auch, dass Menschen mit HIV ein erfülltes, langes Leben leben können.
Bei der PrEP, der Prä-Expositions-Prophylaxe, nehmen HIV-Negative ein Prophylaxemedikament ein. Es verhindert, dass sich PrEP-User anstecken, wenn sie HIV ausgesetzt sind.
Wenn ich das jemandem erkläre, sollte mein eigener HIV-Status eigentlich keine Rolle spielen. Aber Leute, die überhaupt keine Ahnung haben, könnten sofort eine diskriminierende Haltung einnehmen, wenn ein Mensch mit HIV ihnen das erklärt.
Mir kommt es in erster Linie darauf an, Ergebnisse in Sachen Entstigmatisierung zu erzielen. Also mache ich das auf diese Weise.
Wenn eine HIV-negative Person nicht akzeptiert, was eine HIV-positive Person sagt, ist das sogar für Außenstehende ärgerlich.
Jeder, der die Fakten kennt, sollte sich einmischen, wenn er HIV-Stigmatisierung erlebt, unabhängig von seinem eigenen Status.
Ablehnung, Scham und ein Gefühl der Schuld wegen HIV
Hans: In Deutschland haben die Leute früher nicht nach deinem HIV-Status gefragt, wenn du dich mit jemandem getroffen hast.
Du bist einfach davon ausgegangen, dass sie alles Mögliche haben könnten. Also hast du dich mit einem Kondom geschützt und dich von Körperflüssigkeiten ferngehalten.
Und sobald ich wusste, dass ich positiv bin, habe ich ganz besonders darauf geachtet, dass alles „sicher“ war.
Als ich in die Staaten zog, lief es dort anders. Ich hatte den Eindruck, dass die Leute nach deinem Status fragen, um bei der Antwort „HIV-negativ“ Sex ohne Kondom mit dir haben zu können. Mir kam das damals sehr seltsam vor, in Sachen Gesundheit anderen so zu vertrauen.
Natürlich wurde ich auch manchmal abgelehnt, wenn ich von meiner HIV-Infektion erzählte.
In den ersten zehn Jahren meines positiven Lebens gehörten Ablehnung und Scham zu meinem Sexleben und ein Gefühl von „Schuld“, das häufig mit einer frischen HIV-Diagnose einhergeht.
Als ich in den 1990er-Jahren anfing, Sex zu haben, hatten sie uns schließlich ständig vor HIV gewarnt, und ich habe mich trotzdem infiziert. Ich hatte das Gefühl, es wäre meine eigene Schuld, weil ich es „nicht geschafft“ hatte, mich selbst zu schützen.
Es hat eine ganze Zeit gedauert, mich von diesen Gefühlen zu befreien. Außerdem machte ich mir Sorgen, wie die Gesellschaft mein HIV sehen würde. Und die Mainstream-Kultur tut wenig, um diesen Sorgen entgegenzuwirken.
Deshalb war es auch schwierig, eine Beziehung mit jemandem aufzubauen. Vielleicht hatte ich tief in mir das Gefühl, wegen meines Virus nicht mehr liebenswert zu sein.
Etwa 2010 fing ich an, einen Therapeuten aufzusuchen, Michael. Michael hat mir geholfen, die Dinge anders zu sehen.
Auch die neue Botschaft U=U, die 2018 ihr zehnjähriges Jubiläum feiert, hat mir sehr geholfen und mir ein neues Selbstwertgefühl gegeben.
Die Realitäten des heutigen Lebens mit HIV anerkennen
Jason: Wenn wir in ein Kaugummi treten, machen wir den Schuh einfach wieder sauber. Das ist weniger eine Sache von Schuld und Scham als vielmehr der Müllabfuhr. Manchmal tritt man eben in ein Kaugummi.
Ähnlich entspannt mit HIV umzugehen bedeutet nicht, dass man Ansteckungen nicht vermeiden sollte. Es bedeutet vielmehr, auch in Präventionskampagnen darüber zu informieren, dass Menschen mit HIV ein normales Leben führen.
Wir haben heute viele Medikamente gegen HIV, aber nur eine Therapie gegen das HIV-Stigma: normal mit den Menschen umzugehen, die mit dem Virus leben.
In den Medien dient HIV gelegentlich als Anlass für einen billigen Witz. Witze verstärken häufig überholte Vorstellungen, aber wenn man das anspricht, gilt man schnell als kleinkariert oder Spaßbremse.
Am frustrierendsten finde ich Leute, die für HIV-Organisationen spenden und frömmlerisch daherkommen; frustrierend, weil viele von ihnen nicht imstande sind, auf einer persönlichen Ebene über HIV zu sprechen.
Unterstützung ist wichtig, aber HIV-Positive zu bemitleiden oder sie zu ignorieren, das missachtet die Lebensrealitäten vieler Menschen mit HIV.
Man muss nicht selbst mit HIV leben, um zu erkennen, dass sich das ändern muss.
Nicht einmal Empathie ist dafür nötig, es reicht schon die Empörung über die verbreitete Ignoranz und das Verhalten anderen Menschen gegenüber.
„Manchmal habe ich in Sachen HIV-Status aus Angst vor Ablehnung gelogen. Ich sagte dann, ich sei negativ, wolle aber ein Kondom benutzen“
Hans: Als 2001 meine HIV-Infektion diagnostiziert wurde, habe ich nur einer Handvoll Menschen davon erzählt.
Manchmal habe ich in Sachen HIV-Status gelogen, wenn ein Date mich fragte, weil ich Angst vor Ablehnung hatte. Ich sagte dann, ich sei negativ, wolle aber ein Kondom benutzen.
Es kam auch vor, dass sie dann die Wahrheit herausfanden oder ich sie ihnen irgendwann erzählte, und das hat immer wieder zu jeder Menge Drama geführt.
Dank meines Mentors Michael habe ich gelernt, offener mit meinem HIV-Status umzugehen. Mittlerweile gebe ich sogar in meinen Dating-Apps an, dass ich HIV-positiv bin.
Zurückgewiesen werde ich nicht mehr. Entweder sind die Leute besser informiert oder sie verzichten wegen der Infektion auf ein Date mit mir.
Zumindest muss ich diese quälenden Gespräche nicht mehr führen.
Die HIV-Therapie schützt die Gesundheit von Menschen mit HIV
Ich weiß nicht, ob es das graue Wetter war, die Tatsache, dass ich von da an bis an mein Lebensende Medikamente würde nehmen müssen, oder ob es die möglichen Nebenwirkungen waren – aber als ich mit meinen Tabletten anfing, wurde ich depressiv.
Das verschwand dann, als der Frühling kam. Vielleicht hatte sich mein Körper auch einfach an die Medikamente gewöhnt.
Im Laufe der Zeit sind die Optionen in der HIV-Behandlung immer mehr geworden. Wenn ein Medikament Nebenwirkungen verursacht, gibt es in der Regel Alternativen, die individuell dann besser funktionieren.
Ich habe 13 Jahre gebraucht, um es meinen Eltern zu sagen. Ich wollte nicht, dass sie sich Sorgen machen oder gar „Angst“ vor mir haben.
Sie haben es sehr gut aufgenommen. Sie wussten sogar, dass ich kein Risiko für sie darstelle und dass die moderne Medizin mir ein langes und gutes Leben ermöglicht.
Ich war auch niemals krank; ein weiterer Beweis dafür, dass meine Medikamente wirken.
Seit ich es ihnen gesagt habe, hat sich nichts geändert. Sie behandeln mich genauso wie vorher. Aber es ist ein super Gefühl, dieses Geheimnis nicht mehr vor ihnen bewahren zu müssen. Manchmal unterschätzen wir wohl unsere Eltern.
Letzten Endes muss jeder selbst herausfinden, wem er es erzählen will, der Familie, Freunden …
„Seit ich 2015 mit der täglichen Einnahme der PrEP begonnen habe, sehe ich keinen Grund mehr, mit Partnern über HIV zu sprechen, es sei denn, sie wollen es“
Jason: Menschen sind verschieden, je nachdem, was sie gewohnt sind.
Manche HIV-Positive denken, wenn vor dem Sex nicht über den HIV-Status gesprochen wird, dann sind wahrscheinlich beide Seiten positiv.
Manche HIV-Negative dagegen gehen dann davon aus, dass beide Seiten negativ sind.
Menschen mit und ohne HIV haben oft unterschiedliche Erwartungen
Wenn HIV-negative Menschen eine PrEP machen, denken sie möglicherweise überhaupt nicht mehr über den Status ihres Partners nach.
Seit ich 2015 mit der täglichen Einnahme der PrEP begonnen habe, sehe ich keinen Grund mehr, mit Partnern über HIV zu sprechen, es sei denn, sie wollen es.
Da die PrEP nicht vor anderen Geschlechtskrankheiten schützt, frage ich aber nach, ob sie sich in der letzten Zeit auf Geschlechtskrankheiten haben testen lassen. Kondome senken das Risiko einer ganzen Reihe von Infektionen.
Ich habe keine Nebenwirkungen der PrEP gehabt und gehe immer ganz optimistisch zu den regelmäßigen Check-ups zur sexuellen Gesundheit.
Zusammen mit den ersten Tests wurde ich gegen HPV, Hepatitis A und Hepatitis B geimpft und außerdem darüber informiert, wie ich das Risiko einer Hepatitis C minimieren kann.
Viele HIV-Negative erwarten, dass HIV-Positive ihnen vor dem Sex von ihrer Infektion erzählen.
Sie sind dann oft sehr überrascht, wenn sie erfahren, dass ein Positiver unter der Nachweisgrenze kein Risiko darstellt und sie kein „Recht darauf“ haben, über die Infektion informiert zu werden.
Wenn eine HIV-negative Person sich darauf verlässt, dass HIV-positive Partner vor dem Sex auf ihre Infektion hinweisen, besteht die Gefahr, dass sie ihre eigne Verantwortung vernachlässigt. Die Verantwortung zum Beispiel für regelmäßige HIV-Tests und dafür, sich über Schutz durch Therapie, die PrEP, die PEP – eine HIV-Notfallbehandlung innerhalb von 72 Stunden nach einem wahrscheinlichen Kontakt mit HIV – und Kondome zu informieren.
Als ob sie dächten, dass jemand anderes sich für sie um HIV kümmert!
Zwar gibt es in vielen Ländern Gesetze, die besagen, dass Menschen mit HIV, die nicht unter der Nachweisgrenze sind, Partner vor kondomlosem Sex über ihre Infektion informieren müssen.
Diese Gesetze beziehen sich aber nicht auf Positive unter der Nachweisgrenze. Und Gesetze dürfen auch keine Entschuldigung für HIV-Negative sein, sich weniger um ihre eigene sexuelle Gesundheit zu kümmern.
HIV-PrEP und Schutz durch Therapie sind wunderbare Safer-Sex-Optionen
Hans: Die PrEP ist eine weitere wunderbare Ergänzung der Palette der Safer-Sex-Optionen, die wir jetzt haben.
Als mein Sexleben anfing, waren unsere einzigen Optionen Kondome und Abstinenz. Seither hat es rasante Fortschritte gegeben. Aber die Leute brauchen natürlich Zeit, um sich darüber zu informieren und um das, was sie früher einmal gelernt haben, ad acta zu legen.
Jason: Leute, die jetzt von der PrEP hören, haben manchmal merkwürdige Annahmen rund um Promiskuität oder Kondome. Aber mit der Zeit werden die Leute das ähnlich sehen wie bei der Verhütungspille: als ein weiteres Instrument der sexuellen Gesundheit, das manche Leute für sich wählen.
Hans: Wenn Menschen mit HIV andere über HIV aufklären, werden sie zum Vorbild für den Fortschritt.
Meiner Meinung nach wäre es toll, wenn mehr Menschen mit HIV offen mit ihrem Status umgingen – und nicht nur gegenüber jenen, mit denen sie Sex haben wollen. Es würde der Welt zeigen, dass das etwas ganz Normales ist.
Dein Nachbar, dein Lehrer, dein Fußballstar könnte HIV haben. Wenn HIV-positive Menschen mehr Menschen kennen würden, die mit ihnen „im selben Boot sitzen“, könnten sie sich gegenseitig unterstützen und helfen.
Jason: Wenn HIV-Negative über den aktuellen Wissensstand zu HIV aufklären, werden sie zum Vorbild für schlecht informierte Menschen. Sie zeigen eine nachvollziehbare Perspektive auf, die mit veralteten, stigmatisierenden HIV-Vorstellungen aufräumt.
Wenn HIV-Negative solidarisch mit Menschen mit HIV sind – über den Bereich der Wohltätigkeit hinaus –, überbrücken sie die Kluft zwischen Positiven und Negativen.
Die Normalisierung des Austauschs in beide Richtungen bedeutet, keine Freundschaften und Liebesbeziehungen aufgrund von Unwissenheit oder Angst zu verpassen.
Offen gelebte serodifferente Beziehungen – also solche zwischen HIV-positiven und HIV-negativen Menschen – dürften in der Zukunft des HIV-Aktivismus eine große Rolle spielen.
Dieses Gespräch erschien zuerst unter dem Titel „Two sides of the same bed“ auf mainlymale.com. Wir danken Nuno Lopes (mainlymale.com), Jason Domino, Hans Berlin und Matt Spike für die Erlaubnis, den Text zu übersetzen und mit den Fotos von Matt Spike zu veröffentlichen.
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