HIV und Gehirn

Von Holger Sweers
Gehirn
HIV und Hirn: Manchmal können trotz wirksamer Therapie Viren im Zentralnervensystem nachgewiesen werden (Illustration: Vasiliy Yakobchuk / istockphoto.com)

Bei einigen HIV-Patienten lassen sich trotz erfolgreicher Behandlung Viren im Zentralnervensystem nachweisen. Peter Rehberg ist der Frage nachgegangen, wie häufig das vorkommt und welche Relevanz das für die Patienten hat.

Durch regelmäßig eingenommene HIV-Medikamente kann die Virusmenge im Blut so weit gesenkt werden, dass mit den heute üblichen Testverfahren keine Viruskopien mehr nachgewiesen werden können. Eine solche „Viruslast unter der Nachweisgrenze“ ist ein Zeichen dafür, dass HIV den Organismus nicht weiter schädigt. Vollständig aus dem Körper entfernen kann man HIV aber nicht: Die infizierten Zellen tragen weiterhin den Bauplan für neue Viren im Zellkern – wenn keine Medikamente mehr eingenommen werden, kann HIV sich wieder vermehren.

Außerdem gibt es Berichte darüber, dass sich HIV bei einigen Patienten in anderen Teilbereichen des Körpers findet, ohne dass Viren im Blut nachgewiesen werden können. Eine im Dezember 2010 im Journal of Infectious Diseases veröffentlichte Studie hat sich nun der Frage gewidmet, wie häufig HIV im zentralen Nervensystem gefunden werden kann, obwohl im Blut keine Viren mehr nachweisbar sind. Ergebnis: Aus einer nicht repräsentativen Gruppe von 69 Patienten aus Göteborg und San Francisco unter einer HIV-Therapie, die alle keine neurologischen Symptome hatten, konnten bei 7 – also bei gut 10 % der Teilnehmer – HIV-Viren im ZNS nachgewiesen werden, und zwar zwischen 52 und 860 Kopien pro Milliliter.

Wir wissen nicht genau, woher dieses Virus kommt

Dr. Georg Behrens von der Deutschen AIDS-Gesellschaft, die für die Erstellung und Abstimmung nationaler Therapieempfehlungen verantwortlich ist, findet diese Zahl nicht besorgniserregend: „Diese zehn Prozent sind ja nicht klinisch krank, die haben keine Symptome wie Konzentrationsstörungen oder Gedächtnisschwäche.“ Außerdem gebe es in der Studie keine Aussage darüber, ob die Viren sich weiter vermehren oder nicht. „Wir wissen nicht genau, woher dieses Virus kommt, ob es zum Beispiel zu Mutationen gekommen ist“, erklärt Georg Behrens. Und immerhin 90 % der Patienten wiesen laut Studie keine Viren im ZNS auf. Auch Dr. Christoph Mayr, HIV-Schwerpunkt-Arzt in Berlin, gibt Entwarnung: „In aller Regel ist die Viruslast bei Leuten unter einer Dreierkombination auch im Gehirn unter der Nachweisgrenze.“

Interessanterweise spielte die unterschiedliche Fähigkeit der HIV-Medikamente zur Überwindung der Blut-Gehirn-Schranke laut der Studie keine Rolle für die Frage, bei welchen Patienten HIV im ZNS nachgewiesen werden konnte. Als möglichen Grund nennen die Forscher stattdessen Therapieunterbrechungen, also das vorübergehende Absetzen der Medikamente: Von den sieben Teilnehmern mit nachweisbarer Viruslast im ZNS hatten fünf (71 %) bereits eine oder mehrere Therapiepausen von mehr als zwei Wochen gemacht, was zu einem Anstieg der Viruslast im Blut geführt hatte. Bei den 54 Teilnehmern ohne Viren im ZNS mit bekannter Therapiegeschichte waren es 15 %. Christoph Mayr kann diesen Zusammenhang aus der Praxis bestätigen.

Für das Gehirn ist ein früher Therapiebeginn wichtig

Ein weiterer Faktor, der diskutiert wird – allerdings in der hier genannten Studie nicht berücksichtigt wurde – ist der Zeitpunkt des Therapiebeginns. „Sogenannte Late-Presenter sind auch die, die später vermehrt ZNS-Symptome haben“, sagt Christoph Mayr. „Für unser Gehirn ist es wichtig, dass man bei HIV möglichst schnell mit der Therapie anfängt.“ Unter Neurologen, die sich mit HIV beschäftigen, gilt es inzwischen als Konsens, dass ein früher Therapiebeginn den Übergriff der Viren aufs Gehirn verhindern kann. „Je länger die Medikamente eingenommen werden, desto besser ist die Wirksamkeit“, bestätigt auch Georg Behrens, „und das spiegelt sich in allen Abteilungen des Körpers wider.“

Dennoch gibt Georg Behrens zu, dass die in der Studie genannte Zahl von 10 % Patienten mit nachweisbarer Viruslast im zentralen Nervensystem höher ist als erwartet: „Wir haben immer angenommen, dass es nicht so viele sind.“

Welche Konsequenzen wären nun daraus zu ziehen? Die europäischen Richtlinien schlagen bisher vor, dass sich HIV-Patienten alle ein bis zwei Jahre neurokognitiven Tests unterziehen sollten, bei denen zum Beispiel die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung, Lernen und Gedächtnis, die Aufmerksamkeit und die motorischen Fähigkeiten überprüft werden können. Christoph Mayr allerdings sagt, dass er bisher keine standardmäßigen Tests durchführt und auch eher zur Gelassenheit rät, solange es noch keine Symptome gibt.

Ärzte raten zur Gelassenheit

Legen die Ergebnisse der Studie nun nahe, das ZNS selbst routinemäßig zu untersuchen? Hierzu wird eine Nadel in den unteren Rückenbereich eingeführt, um dort Zellproben zu entnehmen (Lumbalpunktion). Auch wenn der Stich aus medizinischer Sicht nicht schlimm ist, kann die Prozedur unangenehm sein und zum Beispiel noch Tage später Kopfschmerzen verursachen. Christoph Mayr weiß, dass seine Patienten diese Untersuchung deshalb lieber meiden. Seiner Ansicht nach ist eine routinemäßige Kontrolle des ZNS aller HIV-Patienten auch nicht nötig: „So weit würde ich nicht gehen“, sagt er. Auch Georg Behrens interpretiert die Studie nicht als Anlass, hier stärker zu kontrollieren.

Welche Auswirkungen die HI-Viren innerhalb des Zentralen Nervensystems tatsächlich haben, ist bisher unzureichend erforscht. Es ist aber bekannt, dass leichtere Symptome wie zum Beispiel Konzentrations- oder Gedächtnisschwäche durch HIV verursacht werden können. HIV-assozierte Demenz hingegen, ein Schreckgespenst früherer Aids-Tage, ist durch verbesserte Therapieoptionen heute „sehr, sehr selten“, so Christoph Mayr. Wer an milderen Beeinträchtigungen des ZNS leidet, muss also nicht Demenz als zwangsläufige Spätfolge befürchten. Wer jedoch bereits Beschwerden wie Konzentrations- und Gedächtnisstörungen hat, sollte diese ernst nehmen und die Probleme mit seinem HIV-Arzt besprechen.

Patienten, bei denen sich Viren im ZNS nachweisen lassen, empfiehlt Mayr eine Umstellung auf Medikamente, die im ZNS aktiver arbeiten als andere: „Leute, die da Beschwerden haben, werden umgestellt. Da können wir optimieren.“

Quelle:

Edén, A. et al.: HIV-1 Viral Escape in Cerebrospinal Fluid of Subjects on Suppressive Antiretroviral Treatment. In: Journal of Infectious Diseases 2010; 202 (12): 1819–1825 (doi: 10.1086/657342)

http://jid.oxfordjournals.org/content/202/12/1819.full.pdf+html

1 Kommentare

Lukas 4. Februar 2011 22:44

Finde ich super, dass hier oft gepostet wird.

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