„Ich bin HIV-positiv. Berühre mich!“
Janne Antin ist in Finnland durch seine Arbeit als Fernsehmoderator einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Das hat es für ihn nicht gerade leichter gemacht, offen mit seiner HIV-Infektion umzugehen. Dennoch hat er sich irgendwann zu einem positiven Coming-out durchgerungen und dann auch einen Weg gesucht, um der Stigmatisierung von Menschen mit HIV etwas entgegenzusetzen.
Seit wann weißt du, dass du HIV-positiv bist?
Ich hatte meinen ersten HIV-Test 2006 machen lassen, weil die Möglichkeit bestand, dass ich mich bei meinem Ex-Mann infiziert haben könnte. Ich wollte das aber nicht in Finnland abklären lassen. Die Leute kennen dort mein Gesicht aus dem Fernsehen, und ich wollte Tratsch vermeiden. Ich habe deshalb extra einen Trip nach Amsterdam gemacht. Erst als ich den positiven Befund hatte, bin ich in Helsinki in ein Krankenhaus gegangen, um mich dort behandeln zu lassen.
Wie hat sich das Personal dort verhalten? Waren deine Befürchtungen begründet?
Es lief sehr gut, alle haben sich vollkommen korrekt und diskret verhalten. Niemand bekam mit, dass ich positiv bin – bis auf diejenigen, denen ich es erzählt habe. Zunächst waren das nur Freunde und die Familie. Es war schließlich eine wichtige und große Sache, die mein Leben völlig verändert hat.
Ein Freund drohte, ihn zu outen
Was hatte dich dann dazu bewogen, dein Positivsein öffentlich zu machen, und noch dazu auf eine solch ungewöhnliche Weise?
Die Antwort ist eigentlich ganz einfach. Ich hatte einen Freund, den ich schon über 20 Jahre kenne und mit dem ich über SMS, Facebook und Telefon immer in engem Kontakt geblieben war. Als dessen Beziehung in die Brüche ging, hatte ich mich nicht, wie von ihm erwartet, auf seine Seite geschlagen, sondern ihn darauf aufmerksam gemacht, dass beim Scheitern einer Partnerschaft selten einer allein Schuld hat. Er war deshalb ziemlich wütend auf mich und drohte, meine privaten Nachrichten, in denen ich über meine HIV-Infektion berichtet habe, an die Presse zu geben. Daher hatte ich keine andere Wahl, als diesen Schritt selbst zu tun. Ich wollte nicht in der ständigen Angst leben, eines Morgens aufzuwachen, um festzustellen, dass heute vielleicht meine Geschichte auf dem Titelblatt einer Boulevardzeitung breitgetreten wird. Ich habe einen Urlaub auf Rhodos dazu genutzt, um gründlich darüber nachzudenken. 2013 habe ich dann entschieden, dass ein Coming-out das Beste wäre.
Wie hast du das in Angriff genommen?
Ich habe mir dazu das größte und schlimmste Boulevardblatt Finnlands ausgewählt.
Warum gerade das?
Das haben mich sehr viele gefragt. Ich dachte mir: Die werden die Geschichte ohnehin aufgreifen, dann aber sicherlich auf eine schlimme Weise. Arbeite ich also besser mit denen zusammen, dann kann ich wenigstens mitreden, wie sie die Nachricht ins Blatt bringen. Und das hat auch gut funktioniert.
Presserummel nach HIV-Coming-out
Wie hat die Öffentlichkeit auf dein Coming-out reagiert?
Es stand, wie zu erwarten war, in so ziemlich jeder finnischen Zeitung, und ich wurde danach in viele Talkshows eingeladen. Ich hatte durch verschiedene Fernsehsendungen bereits eine gewisse Bekanntheit im Land. Wäre ich beispielsweise ein gewöhnlicher Handwerker gewesen, hätte das längst nicht diese Wellen geschlagen. Für mich war das nicht leicht. Ich war es zwar gewohnt, in der Öffentlichkeit zu stehen, aber nicht, über meine Infektion frei und gelassen zu sprechen. Das fällt mir mittlerweile natürlich viel leichter.
Dass du schwul bist, war damals aber schon bekannt?
Ja, das war absolut keine Sensation mehr. Mein Coming-out als schwuler Mann hatte ich schon Jahre vorher.
Und wie haben deine Freunde reagiert?
Das war das wahrscheinlich Überraschendste für mich. Nachdem ich mit meiner HIV-Infektion an die Öffentlichkeit gegangen war, musste ich erleben, dass viele Freunde und Bekannte begannen, sich von mir zu distanzieren. Ich bin mir sehr sicher, dass sie das nicht bewusst gemacht haben. Ich bin eigentlich ein sehr geselliger Mensch, aber ich war nie so allein wie in dieser Zeit. Nun habe ich einen Hund, und Minnie ist mein beste und liebste Freundin geworden (lacht).
„Freunde haben sich von mir distanziert“
Du hast es aber nicht dabei belassen, in den finnischen Medien über dein Leben mit HIV zu sprechen. Du hast dich in Helsinki mit ausgebreiteten Armen auf einen Platz gestellt, neben dir ein handgeschriebenes Schild, auf dem stand: „Ich bin HIV-positiv. Berühre mich.“ Wie bist du auf die Idee zu deiner ungewöhnlichen Aktion gekommen?
Ich wollte irgendetwas tun, um die Menschen über HIV zu informieren. Viele wissen überhaupt nicht Bescheid, und es schwirren so viele Vorurteile und längst überkommene Bilder von HIV und Aids herum. Nur so kann ich mir das Verhalten, diese unausgesprochene Unsicherheit einiger meiner Freunde erklären.
Aber wir leben nicht mehr in den Neunzigerjahren. HIV-Positive sterben nicht mehr zwangsläufig an den Folgen der Infektion. Ich hatte deshalb die beiden finnischen Aids-Organisationen kontaktiert und ihnen meine Unterstützung angeboten. Die aber haben abgewinkt. Ich denke mal, weil ich nun mal eine gewisse Prominenz hatte und nicht der Eindruck entstehen sollte, ich wäre möglicherweise der Kopf ihrer Organisation. Ich hab’s nicht so richtig nachvollziehen können, und anderen ging es ebenso. Aber, dachte ich mir, dann stelle ich eben allein etwas auf die Beine. Ich habe einen Redakteur von YLE, dem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender Finnlands, angerufen und ihm meine Idee vorgetragen – und wir haben noch in der gleichen Woche gedreht.
„Ich möchte Vorurteile ins Wanken bringen“
Was hast du dir von dieser Form des Aktivismus erhofft?
Mir geht es darum, möglichst viele Menschen zu erreichen und deren Vorurteile ins Wanken zu bringen. Meine Erfahrung ist, dass Menschen erst dann bereit sind, sich mit dem Thema HIV auseinanderzusetzen, wenn sie einen konkreten Anlass dazu haben. Zum Beispiel, weil jemand in ihrem persönlichen Umfeld oder auch ein Prominenter, den sie aus dem Fernsehen kennen, HIV-positiv ist. Oder eben auch, weil sie eine überraschende Aktion gesehen haben und deshalb angeregt werden, über HIV nachzudenken.
Man sieht dich nun, wie du mit geschlossenen beziehungsweise mit verbundenen Augen auf die Reaktionen der Passant_innen wartest. Erst schauen sie skeptisch, einige berühren dich zaghaft, dann aber beginnen sie, dich zu umarmen.
Das Experiment hat großartig funktioniert! Es hat sich nach einer Weile eine richtige Schlange von Menschen gebildet, die mich umarmen wollten. Natürlich wissen wir nicht, warum sie es taten: weil ich der bin, der ich bin – oder weil ich HIV-positiv bin. Wenn ich heute darüber nachdenke, war es auf jeden Fall eine sehr einmalige und auch ein wenig mutige Aktion. Aber ich musste einfach etwas tun.
Seit einigen Monaten lebst du nun in Budapest. Was war der Grund für den Umzug?
Für mich war der Arbeitsmarkt in Finnland sehr schwierig geworden. Ob das mit meinem Coming-out zu tun hatte – wer weiß das schon? Mir war dann in Budapest ein guter Job angeboten worden, und nun moderiere ich eine tägliche Fernsehsendung, die von einer finnischen Firma produziert wird.
In Budapest hast du deine Aktion noch einmal durchgeführt. Waren die Reaktionen der Passant_innen dort anders?
Eine finnische Journalistin wollte mich für eine Dokumentation über HIV interviewen und ich habe ihr vorgeschlagen, stattdessen das Experiment noch einmal durchzuführen, nun aber in Budapest. Mich interessierte auch, ob sich die Leute dort anders verhalten würden. Und es war in der Tat sehr anders! Ich konnte es sehen und fühlen. Anders als in Helsinki hatte ich in Budapest die Augen nicht verbunden und trug nur eine Sonnenbrille, sodass ich wesentlich mehr wahrnehmen konnte. Es war so enttäuschend! Die Leute gingen alle schnell an mir vorbei. Wir mussten Stunden drehen, um wenigstens ein paar Menschen filmen zu können, die sich trauten, mich zu umarmen. In Helsinki hatten wir nach nur einer halben Stunde bereits ausreichend Material für das Video gefilmt.
In Budapest haben sich nur wenige Menschen getraut
Wie erklärst du dir den Unterschied? Anders als in Finnland bist du in Budapest natürlich kein Prominenter, den man aus dem Fernsehen kennt.
Das ist sicherlich mit ein Grund, viel entscheidender aber: In Finnland ist die Gesellschaft wesentlich liberaler, offener und keineswegs so konservativ, wie ich sie in Ungarn erlebe. Das drückte sich auch in den Reaktionen der Passanten aus. Um ehrlich zu sein: Die meisten, die mich umarmt haben, waren Ausländer.
Hattest du eigentlich keine Befürchtungen, dass ein Passant vielleicht auch mal aggressiv reagieren und dich anschreien oder gar schlagen könnte?
Das war in der Tat meine größte Angst bei diesen Aktionen, insbesondere in Helsinki, wo ich mir ja zudem die Augen verbunden hatte. Ich wusste mich in gewisser Weise geschützt, weil ja drei Leute in der Nähe waren, die die Aktion filmten. Wäre wirklich etwas passiert, hätten wir es zumindest auf Band gehabt (lacht). In Budapest hatte ich hingegen das Gefühl, Kontrolle über alles zu haben. Ich war dann jedoch aus ganz anderen Gründen nervös, weil ich nämlich die Gesichter der Menschen sehen konnte, die mich argwöhnisch betrachteten, um dann möglichst schnell an mir vorbeizulaufen.
Wie hast du die Situation für schwule Männer in Ungarn bislang wahrgenommen?
Es ist ganz deutlich, dass man in Ungarn als Schwuler nicht so offen und frei leben kann, wie wir es in Finnland, Deutschland oder in anderen westeuropäischen Ländern gewohnt sind. Man nimmt Schwule hier auf der Straße überhaupt nicht wahr, gerade so, als versuchten sie, möglichst konservativ und unauffällig zu erscheinen. Heteromänner wirken hier schwuler als die Schwulen selbst (lacht).
HIV-Positive sind in Ungarn nicht sichtbar
Und wie erlebst du die HIV-Community?
Das ist wirklich interessant und war auch ein Grund, warum ich das Video hier drehen wollte. Ich hatte über das Internet versucht, HIV-Organisationen und -Gruppen ausfindig zu machen. Aber ich habe nichts finden können! Man hat das Gefühl, dass das Thema unter den Teppich gekehrt wird, dass sich nicht nur die HIV-Positiven verstecken, sondern sich auch die HIV-Gruppen, die es ganz bestimmt gibt, lieber undercover organisieren. Ein Ungar hat versucht, mir die Mentalität des Landes so zu erklären: „Wenn du ein Problem hast, kümmere dich nicht darum. Es wird schon wieder verschwinden. Solange du es nicht aussprichst, musst du auch nichts tun.“ Ich denke, dass dies sehr gut den Umgang Ungarns mit der HIV-Problematik beschreibt. Die Ungarn glauben, dass HIV nicht die Menschen im Land betrifft, sondern lediglich ein Problem der anderen Länder ist.
Hast du Pläne, das Experiment auch an anderen Orten zu wiederholen?
Ich denke darüber nach, eine ähnliche Aktion in meiner Heimatstadt zu machen, eine eher konservative 25.000-Einwohner-Stadt an der schwedischen Grenze, wo ich seit 25 Jahren nicht mehr gewesen bin. Nun bin ich allerdings eingeladen, dort ein Sommerfestival zu moderieren. Vielleicht sollte ich die Gelegenheit nutzen, wenn ich schon mal da bin (lacht)! Denn die Reaktionen dort könnten interessant sein. Möglicherweise wäre der Dreh auch der Auftakt zu einer ganzen Reihe. Ich bin gerade mit einer finnischen Produktionsfirma im Gespräch, um das Experiment an den unterschiedlichsten Orten, in verschiedenen Ländern zu wiederholen und so die unterschiedlichen Reaktionen gegenüberstellen zu können.
Also einmal um den Globus?
Bestenfalls eine kleine Weltreise. Saudi-Arabien werde ich definitiv auslassen (lacht).
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