Keine Angst mehr vor HIV
Die PrEP, ein Mittel zum Schutz vor HIV, ist in den Niederlanden noch nicht allgemein verfügbar – derzeit bekommen es nur Teilnehmer der AMPrEP-Studie des Amsterdamer Gesundheitsamts GGD. Wir haben mit drei von ihnen gesprochen.
Die PrEP (Prä-Expositions-Prophylaxe, auf Deutsch etwa „Vor-Risiko-Vorsorge“) besteht aus einem Medikament (Truvada), das bereits geraume Zeit gegen HIV eingesetzt wird. Zum Schutz vor HIV ist Truvada in den Niederlanden noch nicht verfügbar. Das Gesundheitsamt der Stadt Amsterdam führt aber eine Studie durch, an der 370 homosexuelle Männer und Transgender-Personen teilnehmen. Sie läuft bis 2018 und untersucht, wie die PrEP in der Praxis funktioniert. Der Hersteller von Truvada, Gilead Sciences, hat vor Kurzem bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) einen Antrag gestellt, das HIV-Medikament künftig auch für den präventiven Einsatz zuzulassen. Die Initiative PrEPnu („PrEP jetzt“) möchte, dass das Mittel in den Niederlanden schnell allgemein verfügbar wird. Angesichts von 1000 neuen Infektionen pro Jahr hält sie es für keine gute Idee, damit bis zum Ende der Studie 2018 abzuwarten.
JUSTIN (23)
Von der PrEP habe ich zuerst durch amerikanische Touristen gehört. Und auch auf Grindr-Profilen stellte ich immer häufiger fest, dass sich Männer mit der PrEP vor HIV schützten. Zuerst war ich skeptisch: Du fängst damit an, eine Pille einzunehmen, damit du den Rest deines Lebens keine Pillen nehmen musst? Aber die vorsorgliche Einnahme dieses Mittels soll ja gerade eine Infektion mit dem Virus verhindern. Und es fällt mir schwer, anderen Männern einfach zu glauben, wenn ich mich vor dem Sex nach ihrem HIV-Status erkundige. Ich wollte mehr Sicherheit in meinem Sexleben. Ich gehe immer sehr offen mit meinen sexuellen Aktivitäten um, und indem ich an einer solchen Studie teilnehme, kann ich zu mehr Klarheit für die Community beitragen. Ziemlich bald habe ich das Thema auch mit meinen Eltern besprochen. Sie wunderten sich: „Das ist eine Untersuchung, in der gesunde Menschen Medikamente einnehmen?“ Aber sie glauben schon, dass das eine gute Entwicklung ist. Meine Mutter möchte mich gerne vor allem Möglichen schützen. Der „Mama-Faktor“, könnte man sagen.
„Mein Sexleben ist einfach nicht planbar“
Negative Reaktionen bekomme ich von Menschen, die der PrEP argwöhnisch gegenüberstehen. Sie denken, dass man dadurch vollkommen enthemmt wird und seine Grenzen überschreitet. Für mich ist es gerade umgekehrt: Durch die PrEP bin ich viel besser in der Lage, mich selbst unter Kontrolle zu halten. Wenn ich mit jemandem schon mehrere Dates gehabt habe und wir reden über die Frage: Kondome – ja oder nein, dann treffe ich bewusstere Entscheidungen als früher, bevor ich die PrEP nahm.
Ich habe mich dafür entschieden, die PrEP jeden Tag zu nehmen. Für mich ist es einfacher, jeden Tag zur gleichen Zeit eine Pille einzunehmen, als vorauszuplanen. Mein Sexleben ist einfach nicht planbar.
Beim niederländischen HIV-Kongress am 1. Dezember 2015 war ich in einem Workshop zum Thema PrEP zu Gast. Der Workshop war gut besucht und die Reaktionen waren positiv. Ein bisschen einschüchternd war es schon, zwischen Robert Grant (der „Godfather“ der PrEP in den USA, Anm. d. Red.) und Elske Hoornenborg (Internistin und Leiterin der AMPrEP-Studie, Anm. d. Red.) zu sitzen. Meine unverblümte Meinung aus der Community war aber eine gute Ergänzung zu den medizinischen Informationen der beiden anderen.
Ich möchte, dass mehr Menschen die PrEP unterstützen, und halte gute, zuverlässige Informationen zu dem Thema für sehr wichtig. Sie senken die Hemmschwelle, die es bei vielen in Sachen PrEP gibt. Die PrEP ist nichts, wofür man sich schämen muss, und es sollte mehr Erfahrungsberichte von Männern geben, die sie nutzen.
OLAV (52)
Ich habe meiner Mutter erzählt, dass ich die PrEP nutzen will. „Ach, wie schön“, sagte sie. „Dann kannst du endlich wieder ohne Angst vor HIV Spaß haben.“ Wie du siehst, ist meine Mutter recht offen eingestellt.
Vor zwanzig Jahren starb ein Ex-Partner von mir an Aids. Als ich von seiner Infektion erfuhr, war ich überzeugt, dass ich auch infiziert war, hatte aber Angst, mich testen zu lassen. In der Zeit hätte mir das auch wenig genutzt, weil es keine Medikamente gab. Ich werde schon merken, wenn ich krank werde, dachte ich. Der Arzt sagte: „Versuch einfach, gesund zu leben.“ Aus Angst vor einer Übertragung traute ich mich kaum, meinen kleinen Nichten und Neffen einen Kuss zu geben. Und wenn ich Kaffee getrunken hatte, wusch ich die Tasse danach extrem sorgfältig ab. So tief saß die Angst.
Es dauerte bis 2006, bevor ich den Mut hatte, mich zum ersten Mal auf HIV testen zu lassen. Dabei stellte sich heraus, dass ich völlig gesund war. Zwölf Jahre lang hatte ich diese Last auf den Schultern getragen – die Angst vor HIV.
„Meine Mutter hat recht: Die PrEP ist toll“
Der zusätzliche Schutz durch die PrEP ist einer der Gründe, weshalb ich mich dafür entschieden habe. In den ersten sechs Wochen hatte ich ziemliche Beschwerden durch die Nebenwirkungen der Pillen. Mir war oft übel. Wenn das so bleibt, bin ich mir nicht so sicher, ob ich weitermache, dachte ich. Aber zum Glück verschwanden die Beschwerden. Ich empfinde es als große Erleichterung, dass ich mir jetzt keine Sorgen wegen HIV machen muss.
Inzwischen hatte ich häufiger Sex ohne Kondom. Ich weiß jetzt, was es bedeutet, wenn jemand eine Viruslast unter der Nachweisgrenze hat. Immer öfter gehen Männer, bei denen dies der Fall ist, offen mit ihrem HIV-Status um. Deshalb war ich beim Gebrauch von Kondomen nicht mehr so konsequent, auch nicht beim Sex mit Männern, über deren HIV-Status ich mir nicht sicher war. Das hatte allerdings zur Folge, dass ich schon einige Male eine PEP-Behandlung gebraucht habe, weil ich ein zu großes Risiko eingegangen war. Die Angst ist jetzt nicht mehr nötig.
In meinem Datingprofil steht, dass ich die PrEP nutze, aber ich muss immer noch regelmäßig erklären, was das heißt. Wenn jemand trotzdem Kondome benutzen will, werde ich ihn nicht zurückweisen – ich finde das nach wie vor eine gute Entscheidung. Aber Sex ohne Kondom ist mir lieber. So sollte Sex für mich sein. Vor zwanzig Jahren ging ich davon aus, dass ich nicht alt werde. Ich hätte nie zu träumen gewagt, dass ich jemals wieder unbefangen Sex ohne Kondom haben kann. Meine Mutter hat recht: Die PrEP ist toll.
ANNE (37)
Ich nehme jetzt seit drei Monaten die PrEP. Als Studienteilnehmer hat man die Wahl, jeden Tag eine Pille einzunehmen oder nur jeweils vor und nach dem Sex. Ich habe mich für die erste Option entschieden. Weil ich viele Leute mit HIV kenne, bin ich es gewohnt, dass man täglich ein HIV-Medikament nimmt. Außerdem bin ich niemand, der Sex plant. Ich weiß morgens doch noch nicht, was am Nachmittag passieren wird. Als ich meine erste Pille nahm, habe ich ein bisschen herumgealbert: „Hoppla! Das ist also die Pille, zu der jeder eine Meinung hat. Eine Pille, die man quasi wie ein Smartie schluckt und die sich dann in deinem Körper auflöst und dich gegen HIV schützt.“
Ich unterhalte mich auch mit Menschen, die HIV infiziert sind und aus diesem Grund Truvada nehmen. Manche von ihnen sagen: „Hör auf mit dem Scheiß. Es ist mein Medikament und nachher wirst du resistent und dann ist das Medikament nicht mehr wirksam. Glaubst du, das macht Spaß?“ Ich verstehe diese Reaktion schon. Wenn man das Medikament schon seit Jahren nimmt, weil man HIV hat, und dann kommt einer, der keine HIV-Infektion hat, aber das gleiche Mittel nimmt … Aber man muss bedenken, dass es uns alle gesund hält.
Bevor ich mit der PrEP anfing, hab ich nach so manchem wüsten Abend gedacht: Oh je, ob das gut endet? Außerdem war ich frustriert, weil ich mich an die Norm anpassen musste. Für viele Menschen ist die Nutzung von Kondomen selbstverständlich, für mich gilt das nicht. Aber ich versuche, meinen Verstand einzusetzen. Ich möchte kein HIV, aber ich möchte Sex schon auf meine Art erleben. Durch die PrEP muss ich keine Angst mehr haben und der Sex macht viel mehr Spaß.
„Für mich ist die Nutzung von Kondomen nicht selbstverständlich“
Ich erzähle jedem, dass ich die PrEP nehme, nur meine Verwandten wissen das noch nicht. Es ist kein Geheimnis, ich bin nur einfach noch nicht dazu gekommen. Meine Heterofreunde reagieren meistens pragmatisch und sagen zum Beispiel: Für eure Art von Sex ist das richtig gut. Unter Schwulen ist das anders. Für sie hat das Thema einen anderen Stellenwert. Es wird noch zu wenig darüber gesprochen und das sollte sich ändern, sodass es zum Alltagsthema wird. Die PrEP kann vielen Menschen helfen, nicht nur homosexuellen Männern. Auch Menschen, die aus anderen Gründen oder durch ihren kulturellen Hintergrund ein erhöhtes HIV-Risiko haben, könnten davon profitieren; beispielsweise Frauen oder Sexarbeiter.
Die PrEP ermöglicht gleichberechtigtere, neutralere Beziehungen zwischen Menschen mit und ohne HIV. Das Mittel wird auf jeden Fall eine wichtige Rolle spielen bei der Emanzipierung von HIV, wofür ich mich immer engagiert habe. Das Hauptproblem an HIV ist nicht die Infektion an sich, sondern das Stigma, das daran haftet.“
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