Passen Positive und Negative zusammen?
Zum ersten Mal habe ich den Begriff „serodifferente Beziehung“ [ein Partner ist HIV-positiv, einer HIV-negativ; d. Red.] gehört, als ich mit meinem damaligen neuen Freund in der Hassle Free Clinic in Toronto war. Ich schwebte im siebten Himmel, weil ein HIV-negativer Kerl wie er trotz meiner Infektion mit mir gehen wollte. Das meine ich gar nicht sarkastisch, ich denke, er sah das genauso. Mit den Taschen voll von Gratiskondomen und Gleitgelproben verließen wir das Gebäude.
„Schmutzig“, „unfickbar“, „gruselig“ – alltägliche Kommentare beim Dating
Es fühlte sich toll an, so ganz anders als die Anfeindungen, die ich sonst beim schwulen Dating erlebt hatte. Mehr als zehn Mal am Tag (im Ernst!) bekam ich damals auf Grindr entgegengeschleudert, ich sei „schmutzig“, „unfickbar“ oder einfach „gruselig“. Klar, dass ich jetzt im Schlaraffenland war. Zumindest dachte ich das.
Wie ich meine Diagnose bekam, weiß ich noch sehr gut. Es war Ende Februar, und ich war gerade mit dem Fahrrad unterwegs und unterhielt mich übers Handy mit meiner Tante über das ungewöhnlich warme Wetter, als ein zweiter Anrufer anklopfte. Mein Arzt war dran und teilte mir nach mehr als sieben Wochen schlimmster Ungewissheit mit, dass meine „uneindeutigen Testergebnisse“ vom Januar sich nun doch in Richtung Eindeutigkeit bewegt hätten. Natürlich könne ich jederzeit zu ihm kommen und mit ihm reden. Das Übliche halt, denke ich mal.
Ich war immer ein überzeugter Safer-Sex-Verfechter gewesen, und bei den wenigen Ausnahmen hatte ich mich doch immer an meinen eigenen Sicherheits-Standards orientiert. Mit den stigmatisierten Praktiken, bei denen man sich doch HIV holte, hatte ich einfach nichts zu tun. Ich hatte mich nie mehrfach besamen lassen oder Drogen gespritzt, und die Male, die ich betrunken war, konnte ich an einer Hand abzählen. Ich war einfach nicht der Typ, der sich mit HIV infiziert. Viele denken so.
Dieser Punkt ist mir wichtig, denn ich kannte damals keinen anderen HIV-Positiven und hatte auch überhaupt keine Ahnung, wann und wobei ich mich infiziert haben könnte. Meine einzige Option schien mir daher, mich weiter in der (in mehrfacher Hinsicht) „negativen“ Dating-Welt zu bewegen.
Ich meldete mich auf BarebackRT.com an – und hielt es ganze zwei Stunden aus. Mein Postfach wurde mit Angeboten von Aktivitäten überschwemmt, von denen ich noch nicht einmal etwas gehört hatte. Und trotzdem war ich nicht bereit (und bin es in vielerlei Hinsicht bis heute nicht), Fremden gegenüber meinen HIV-Status offenzulegen. Also hatte ich nur die Wahl, weiterzumachen wie bisher. Und falls ich jemanden finden sollte, der so geil auf mich war, dass er mich nackt sehen wollte, konnte ich es ihm immer noch sagen.
„Ich hatte Angst, mich würde nie wieder jemand anfassen“
Springen wir wieder vor zu meinem ersten Freund nach dem positiven Testergebnis: Er war hübsch und auch interessant, aber ich verliebte mich heftiger in ihn, als gut für mich war. Ich hatte solche Angst gehabt, dass mich nieder jemand anfassen würde, dass der erste Knabe, der es doch tat, für mich sofort so etwas wie der beste Freund wurde. Die Last meines positiven Coming-outs katapultierte uns quasi über Nacht in eine Beziehung. Armer Kerl.
Doch obwohl ich mich gewissermaßen mit Herz und Seele ausgeliefert hatte, war das Ganze viel, viel komplexer – das begriff ich aber erst mit der Zeit (und nach einigen weiteren Beziehungen).
An erster Stelle war da diese sehr interessante Dynamik, die sich jedes Mal nach einem positiven Coming-out gegenüber einem negativen Partner entwickelte. Auch wenn ich mich dafür schäme, muss ich zugeben, dass ich seine Gesundheit und sein Wohlbefinden sofort an die erste Stelle setzte. Das ist bis zu einem gewissen Grad ja auch nachvollziehbar, schließlich wollte ich, dass mein Partner negativ blieb. Die Vorstellung, dass ich einen anderen anstecken könnte – und erst recht jemanden, an dem mir viel lag –, bereitete mir schlaflose Nächte. Trotzdem schäme ich mich – und zwar über die Art und Weise, wie sich diese Sorge um die anderen zeigte:
Ich sagte zu allem Ja und Amen, was er vorschlug oder wollte – wohin wir zum Essen gingen, was mir im Bett machten und so weiter. Irgendwie dachte ich, ich müsste froh sein, dass er sich überhaupt mit mir abgab. „Sei einfach dankbar“, dachte ich, „das ist besser, als allein zu sein.“ Aber vor meiner Diagnose war ich beim Ficken nicht ausschließlich passiv gewesen – warum sollte ich plötzlich nicht mehr aktiv sein? Und eigentlich mochte ich den Brunch bei mir um die Ecke, aber wir gingen nur noch in seinem Kiez zum Essen und schliefen nur noch bei ihm in der Wohnung.
Und hier liegt nun das eigentlich Problem: Ich hab das nie angesprochen, sondern die ganze Zeit einfach nur runtergeschluckt – zusammen mit meiner morgendlichen Dosis Schuld, dass ich der „Beschädigte“ in unserer Beziehung war. Dafür schäme ich mich bis heute, für diese durch nichts zu erschütternde Trauer darüber, dass ich ein Idiot bin, ein minderwertiges Glied der schwulen Welt.
„Ich sagte zu allem Ja und Amen, was er wollte“
Eines Tages riss das Gummi, als mein Freund mich fickte. Ich habe nie jemanden so in Panik erlebt. Alles, was wir über die Übertragungsrisiken wussten (und seit meiner Diagnose hatten wir eine Menge darüber gelernt), war plötzlich weg. Wir hielten uns in den Armen und heulten. Das brachte uns in gewissem Sinne näher zusammen – so emotional hatte ich ihn noch nie erlebt. Langfristig war das aber der Keil, der uns auseinander trieb.
Wir riefen meinen Arzt an (zu Hause) und entschieden gemeinsam, dass das Risiko angesichts meiner Werte vernachlässigbar gering war. Keine PEP, kein Grund zur Sorge. Und trotzdem machten wir uns tierische Sorgen. Als das Ganze noch mal passierte, floh mein Freund buchstäblich aus dem Haus und ging schnurstracks zur Notaufnahme. „Einmal haben wir Glück gehabt“, meinte er, „das zweite Mal war ein Zeichen.“
Ich weiß nicht, wann wir „offiziell“ Schluss gemacht haben, aber mit dem Start seiner Post-Expositions-Prophylaxe löste sich unsere Beziehung in Luft auf. Ich bin mir nicht sicher, ob er mich plötzlich nur noch als Krankheitsträger und nicht mehr als Mensch sah oder ob er sich einfach nicht mehr sicher war, dass ich das Risiko wert war. Sicher bin ich mir hingegen, dass diese Erschütterung seines seelischen Gleichgewichts sein Verschwinden für mich einfacher machte. Ich rief ihn jedenfalls auch nicht an.
Meine nächste Beziehung, über ein Jahr danach, fing ganz anders an. Mein neuer Freund war älter und schien sich von meiner Infektion überhaupt nicht beeindrucken zu lassen. Bei unserem ersten Sex nahm er kein Kondom. „Bist du sicher?“, fragte ich ihn, bevor er zur Sache kam. Sein Verhalten schien mir Antwort genug. „Schien mir“ heißt hier das entscheidende Wort. Nachdem wir fertig waren, sagte er: „Das war echt geil. Aber wir hätten ein Gummi nehmen sollen.“
Ich war am Boden zerstört. Ein Jahr vorher hatte ich mich wohl oder übel damit abgefunden, vielleicht nie wieder Sex ohne Gummi haben zu können. Für mich waren Kondome lästige Verhütungsmittel, die man nach drei Monaten Monogamie mit einem Partner, dem man vertraute, über Bord werfen konnte. Kondome waren eine Barriere für Vertrauen, Nähe und Intimität. Ich fühlte mich wie Anna Paquin in den X-Men-Filmen: nach Nähe lechzend, aber zum Tragen von Handschuhen verdammt.
Dieser Knabe aber hatte gerade das Tor zu einem neuen Modell gelebter Sexualität aufgestoßen – und es gleich wieder zugeknallt, indem er die Verantwortung dafür allein bei mir abzuladen versuchte. Und ich dachte tatsächlich, dass es genauso mein Job sei wie seiner, mich ums Kondom zu kümmern, auch wenn ich eigentlich schon meine Pflicht getan hatte, indem ich ihn über meine Infektion informiert und ihn zunächst gestoppt hatte – was alles andere als einfach gewesen war.
Die Male, die wir in den acht Monaten unserer Beziehung geschützten Sex hatten, kann man an einer Hand abzählen. Er mochte auch keine Kondome. Aber er fühlte sich schuldig und lud das jedes Mal bei mir ab. Das vergiftete die Intimität zwischen uns – und seine Gedanken. Einmal sagte er mir en passant, dass er es niemandem erzählen würde, wenn er ein positives Testergebnis bekäme, und ganz besonders mir nicht. „Das könnte ich dir nie antun“, sagte er. Wahrscheinlich konnte er doch nicht so cool mit HIV umgehen, wie ich gedacht hatte.
Nach Nähe lechzend, zum Tragen von Handschuhen verdammt
Nachdem wir schon lange auseinander waren, erzählte er mir, dass es für ihn immer schwieriger geworden sei, sich eine Beziehung mit mir vorzustellen, je stärker ihm die Realität meines HIV-Status klar geworden sei. „Eine Zeit lang war es aufregend, Risiken einzugehen, aber das konnte nicht immer so weitergehen“, sagte er. Ich fragte ihn nach seinem Testergebnis. „Negativ.“ Uff.
Mir wird immer klarer, dass meine eigene Stigmatisierung anderer HIV-Positiver mich dazu trieb, HIV-negative Partner zu suchen. Mir gefiel die Vorstellung, dass sie irgendwie unbefleckt waren, unberührt von den (emotionalen und körperlichen) Verheerungen, die HIV mit sich bringt. Aber meine Affinität für HIV-negative Männer wurzelt in der gleichen Haltung, die mich davon abhält, meinen HIV-Status auf Grindr von Anfang an offenzulegen, in derselben Ignoranz, der das Klischee vom schwulen Saunagänger reproduziert, der regelmäßig Crysal Meth raucht und die ganze Nacht Party macht, statt die Wäsche zusammenzulegen oder sich Tag für Tag seiner Karriere zu widmen.
Dieses Stigma treibt einen Teufelskreis aus Scham und Selbstverachtung voran, aus dem ich mich verzweifelt zu befreien versuche.
Ich weiß nicht, wer mein nächster Partner sein wird, jetzt, da ich fast sechs Jahre HIV-positiv bin, aber ich hoffe, dass ich jeden potenziellen Kandidaten so sehe, wie ich auch von ihm gesehen werden möchte – zuallererst als Mensch, der in dieser komplizierten und zugleich wunderbaren Welt zurechtkommen will.
Das englische Original des folgenden Beitrags erschien im März 2014 unter dem Titel „Sero-Discordant Relationships: More Complex than Just Sex“ auf dem Blog ouragenda.ca. Der Autor hat sich entschieden, anonym zu bleiben, und wählte das Pseudonym Peter Thomson, um negative Folgen für sein Sozialleben, seine Karriere und seine künftigen Reisemöglichkeiten zu vermeiden. Übersetzung: Holger Sweers
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2 Kommentare
Phil Berlin 9. Mai 2014 5:06
Bin selber seit 25 Jahren positiv und lebe seit fast 15 Jahren mit meinem negativen Partner zusammen. Auf dem Land damals, konnte man sich nicht mal schwulen gegenüber outen. Gerade die Gays untereinander waren mit dem Thema echt überfordert und man zeigte schnell mit dem Finger auf einen. Bösartiges Getuschel und man wurde abwertend behandelt. Aber von den Heteros kam viel Verständnis und Hilfe. Deshalb sind wir vor 10 Jahren in die Stadt geflüchtet. Heute trifft man genau diese bösartigen Land Gays sorry für den Ausdruck wieder hier in Berlin beim feiern und beim bare rumficken.
Florian Friedrich 27. Mai 2014 13:19
Ein toller Beitrag.
Es ist natürlich sicher stark abhängig vom jeweiligen Partner (und seinen jeweiligen gesunden, aber auch neurotischen Anteilen), ob eine serodiskordante Partnerschaft gelingt oder nicht.
Problematisch erscheint mir allerdings auch die Opferrole des Autors, der sich mit den Schamgefühlen, welche das System ihm zuspielt, zu stark identifiziert. Hinzu kommt die doppelte Diskriminierung (1. Wegen Homosexualität, 2. Wegen HIV)durch ein heteronormatives, homophobes System, welches Krankheiten (HIV, Krebs etc.) abspaltet und an „Sündenböcken“ bekämpft.
Möglicherweise hätte eine systemische Psychotherapie oder besser noch eine Paartherapie hier die Beziehungen retten können.
@ Phil: Ja, Gehässigkeiten, Intoleranz und faschistoides Verhalten sind auch in der Schwulenszene weit verbreitet. Dieses Fehlverhalten hat jedoch System, da viele LGBTs ihre eigenen Verletzungen (ich wurde und werde nicht so geliebt, wie ich bin) niemals aufgearbeitet haben und diese Kränkungen nun weitergeben (nach demselben psychischen Phänomen, nämlich der Identifikation mit dem Aggressor), welches auch geschlagene und misshandelte Kinder zu Eltern werden lässt, welche ihre eigenen Kinder nun wiederum schlagen und misshandeln.
Diese psychischen (Persönlichkeits-)Störungen unter LGBTs werden abnehmen, je toleranter, offener und akzeptanter unser System gegenüber LGBTs wird.